laut.de-Kritik

Meisterliche Melange aus Text und Musik.

Review von

Seit dem Kino-Erfolg "Das Wunder von Bern" ist Peter Lohmeyer wieder wer. Natürlich war er schon vorher ein großer Schauspieler, man denke nur an einige Tatorte oder seine herrliche Kommissarenrolle im ansonsten hanebüchenen Thriller "Sieben Monde". Vor allem ist der ausgebildete Theaterdarsteller aber seit dem rührigen Fußballwunder-Film wieder in aller Munde und daher wahrscheinlich auch dem allmählich zum Cash-Nachlassverwalter-Label avancierenden Bear Family-Team in den Sinn gekommen, als über ein Johnny Cash-Hörbuch nachgedacht wurde.

Fraglos ist Lohmeyer vor allem durch seine Böse Buben-Rollen berühmt geworden, was alleine schon als Voraussetzung dafür herhalten könnte, um auf satten 273 Minuten eine Person vorzustellen, die sich Zeit ihres Lebens auf die Seite der Ausgestoßenen, Dissidenten und gebrochenen Individuen gestellt hat. Doch Lohmeyer besitzt eben auch eine charakteristische Stimme.

Mancher mag zwar beim Hören zunächst noch den bekannten Schauspieler vor sich sehen, wie er im Aufnahmestudio ein Hörbuch einspricht. Doch dies ist bei Einspielungen bekannter TV-Stars wie Ben Becker oder Harry Rowohlt nicht anders. Im besten Fall aber verschwindet der Sprecher mit zunehmender Hörspiel-Dauer hinter der zu porträtierenden Figur, wodurch zwangsläufig eine enge Bindung zum Plot entsteht. Und Lohmeyer verschwindet.

Sanft hebt er an, mit dieser unaufgeregten, oftmals leidenden Stimme, und führt den Hörer zunächst mittels einer Einleitung in die allseits bekannten Leistungen des Künstlers Johnny Cash ein, bevor er seine Erzählung mit der Geburt des Sängers am 26. Februar 1932 in Kingsland, Arkansas beginnt. Entgegen erster Befürchtungen hält sich die als exklusives Hörbuch-Manuskript gepriesene Vorlage akribisch an die biographischen Fakten, tastet sich so Schritt für Schritt chronologisch voran und erlaubt erfreulicherweise auch eigene Wertung.

Von den Tagträumen des kleinen Jungen mit den vernarbten Baumwollpflückerhänden über die Hochwasser-Katastrophe seiner Kindheit, seine erste Heirat, das Zusammentreffen mit Elvis und Sam Philipps in Memphis, bis hin zu den Gefängniskonzerten und dem kreativen Tief in den 80er Jahren - Lohmeyer reißt die Geschichte an sich, ohne sich dabei aufzudrängen. Außer einer leichten "th"-Schwäche meistert der Mann seinen Job bravourös.

Inhaltlich erfährt selbst der eingefleischte Cash-Maniac zum Beispiel, dass manche Hits vom Chef auch auf deutsch eingesungen wurden: "Five Feet High and Risin'" ("Wo ist zuhause, Mama"), "I Got Stripes" ("Viel zu spät") oder "I Walk The Line" ("Wer kennt den Weg"). Letztere Aufnahme, die wie alle anderen Mitte der 60er Jahre für Columbia Records entstand, hat es glücklicherweise auf die Tracklist geschafft. Ob der einst in Landsberg am Lech stationierte Cash aber so genau wusste, was er da trällerte, darf anhand der Übersetzung und des holpernden Vortrags stark bezweifelt werden.

Doch gerade die Mischung Text/Musik ist den Machern von "Auf Kurs" meisterlich gelungen, die zudem dafür Sorge trugen, dass die Songinhalte thematisch passend zum Einsatz kommen. Zu den Highlights der mutigen, weil nicht auf Hits ausgerichteten Songauswahl gehört zweifellos der "Transfusion Blues", der den meisten wohl als "Cocaine Blues" in der Live-Version der "Folsom Prison"-Gefängnisplatte bekannt ist. Die Schuld am Mord an seiner Frau sieht Cash in der Originalversion des Klassikers von 1960 noch in einer Infusion (welcher Art auch immer) und massivem Likör- anstelle von Whiskeykonsum, und das, obwohl das Wort "transfusion" nicht einmal gescheit ins Versmaß passt.

Ebenfalls ein schönes Frühwerk ist die musikalische Liebeserklärung "Home Of The Blues" von 1957 oder das belehrende "Understand Your Man" (1964), das Cash seiner ersten Frau Vivian netterweise noch während der Beziehung widmete. Auch die 1970 aufgenommene Kris Kristofferson-Nummer "To Beat The Devil" ist ein so unbekanntes wie hinreißendes Kleinod. Mit Cashs Tod im Jahr 2003 findet der Geschichtsmarathon zwar ein realitätsgetreues Ende, er handelt die späte Rick Rubin-Erfolgsstory aber vergleichsweise zügig ab.

Nach dem zeitintensiven Genuss des Vier-CD-Hörbuchs hat man tatsächlich das Gefühl, die Figur Johnny Cash noch genauer zu kennen, selbst als Cash-Fan. Angereichert mit einem Vorwort Wiglaf Drostes und haufenweise seltenen Booklet-Fotos ist dieses Mammutwerk trotz des stolzen Preises von knapp 50 Euro rundum empfehlenswert, um nicht zu sagen ein Muss.

Trackliste

  1. 1. Cotton Pickin' Hands
  2. 2. In Them Old Cotton Fields Back Home
  3. 3. Five Feet High And Rising
  4. 4. The Frozen Four-Hundred-Pound-Fair-To-Middlin' Cotton Picker
  5. 5. Daddy Sang Bass
  6. 6. I Wanna Go Home
  7. 7. Hey Porter!
  8. 8. Busted
  9. 9. Home Of The Blues
  10. 10. Wide Open Road
  11. 11. Cry, Cry, Cry
  12. 12. So Doggone Lonesome
  13. 13. I Walk The Line
  14. 14. Give My Love to Rose
  15. 15. Guess Things Happen That Way
  16. 16. All Over Again
  17. 17. Don't Take Your Guns To Town
  18. 18. Don't Make Me Go
  19. 19. Everybody Loves The Nut
  20. 20. Transfusion Blues
  21. 21. Jeri's And Nina's Melody
  22. 22. Forty Shades Of Green
  23. 23. Tennessee Flat Top Box
  24. 24. Come In, Stranger
  25. 25. Understand Your Man
  26. 26. The Ballad Of Ira Hayes
  27. 27. All God's Children Ain't Free
  28. 28. Wer kennt den Weg
  29. 29. Folsom Prison Blues
  30. 30. Ring Of Fire
  31. 31. Luther Played The Boogie
  32. 32. To Beat The Devil
  33. 33. Man In Black
  34. 34. One Piece At A Time
  35. 35. The Baron
  36. 36. Highwayman

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