laut.de-Kritik
Dickes Boxset feiert das Lebenswerk der Living Legend.
Review von Michael SchuhDie erste der drei Set-CDs, "Love" benannt, läuft gerade zwölf Minuten (was bei Cash bereits fünf Songs sind) und ich muss inne halten, um mich zu fragen: Warum hast du je etwas anderes gehört? Wie konnten deine Gehörgänge sich nur dem tiefen Bariton dieses Mannes verschließen?
Die seit Ewigkeiten präsente "Fuck off Country"-Einstellung wird mir spätestens bei diesem in Ton und Design geschmackvoll ausgebreiteten Lebenswerk des Altmeisters peinlich. Denn verdammt, Johnny is the Man!!!
Die drei CDs des Boxsets sind aufgeteilt in Cashs Dauerthemen Liebe, Gott und Tod und zudem "personally selected by Johnny Cash himself". Somit finden sich unter den 48 Nummern neben bekannten Hits auch B-Seiten aus den 50ern und Songs des '94er-Comebackalbums mit Rick Rubin. Außerdem schrieb der Meister zu allen drei Themen ein paar Sätze nieder und enge Vertraute wie U2-Bono, Quentin Tarantino und seine Frau June durften ebenfalls prosaisch in Erscheinung treten.
Liest man in den Liner Notes zur "Love"-CD, wie sich June Carter und Johnny einst trafen, beide verheiratet und Cash zudem im Drogentief und wie sie beide (letztlich erfolgreich) dafür kämpften, diesem "Ring of Fire" zu entkommen, dann will das Herz ausgewrungen werden und "Romeo und Julia" verkommt zu Aschenputtel. Doch was macht diese Stimme so einzigartig, die sich auslässt über Gott und die Unterwelt?
Das kann man vor allem auf den anderen beiden CDs heraus hören: Cash singt nicht über die Verdammten, er singt mit ihnen, wie Bono treffend anmerkt. Reue, Buße, Untreue und Schuld; große Worte, ja Eckpfeiler im Cash-Universum. Songzeilen wie "I cant forget the day I shot that bad bitch down" (Cocaine Blues) oder "They put me in the jailhouse and they threw the key away" (Austin Prison) kommen von einem Mann, der zwar kein zwölffacher Mörder ist, der die Tiefen der menschlichen Existenz aber ausgelotet hat wie kein Zweiter.
Da verwundert es wenig, dass Cashs meist umjubelte Auftritte vor bösen Buben hinter Gittern statt fanden. "Orleans Parish Prison" ist so eine Live-Aufnahme, bei der man sofort den verrauchten und vergitterten Besucherraum vor Augen hat. Und über allem knistert das "chick-a-boom-boom"-Pferdegetrappel, mal leidend schlurfend, mal hoffnungsvoll galoppierend.
Dieses Wechselspiel ist wiederum im "God"-Teil auffällig, wo spirituelle Gospels mit Chorgesängen nicht fehlen dürfen. Alles in allem ist diese Cash-Box nicht nur eine schmuckvolle Regalzierde, sondern vielmehr Countrygeschichte einer Living Legend, die einen mehr fesselt, als man im Freundeskreis zugeben will.
Noch keine Kommentare