laut.de-Kritik
Vom Betrachten des Lebens in Zeitlupe.
Review von Markus BrandstetterJose González' Lieder sind vertonte Entschleunigungen, konzentrierte Betrachtungen in Zeitlupen, scheinbar angehaltene Zeit. Sieben Jahre ließ er sich für sein drittes Soloalbum "Vestiges & Claws" Zeit. Er erspielte sich nicht nur als Solokünstler ein stetig wachsendes Publikum, sondern veröffentlichte in der Zwischenzeit auch mit seiner Band Junip zwei Alben und vier EPs.
Während sich Junip mit dem Einsatz von Synthesizern gerne mal in Krautrock verliebte Gefilde wagen, ist es im Wesentlichen hier wie dort Gonzalez eindringliche, seltsam vertraute Stimme, die Arpeggios seiner klassischen Gitarre, dieses Fieber- und Soghafte, Anachronistische, das González in einem unüberschaubaren Meer voller Singer/Songwriter unverkennbar macht.
Spricht man persönlich mit José Gonzalez, fällt sofort auf, dass seine Art zu reden mit der Stimme in seinen Liedern nahezu identisch ist. Die Pausen, das Überlegen, das Konzentrierte, das gar nicht zu viel sagen müssen und wollen: Bei González Liedern geht es viel um den eigenen Atem, um Reduktion. "Vestiges & Claws" ist da keine Ausnahme, im Gegenteil. Der Longplayer setzt genau dort an, ist aber vielleicht noch ein klein wenig fokussierter, essenzieller und kerniger im Vergleich zu seinen früheren Alben.
"I know as I see / Touching through the mist / All hypocrites they're racing deadlines on the list" heißt es zu Beginn bei "With The Ink Of A Ghost": kleine Meditationen über die schnelllebige Welt da draußen. Dort tobt alles, geht alles drunter und drüber - das Leben, der Tod, die Liebe und die eigenen Gespenster. Man kann all dem Wahnsinn kaum Einhalt gebieten, aber man kann ihn definitiv in Zeitlupe betrachten. Und als wäre das nicht Entschleunigung genug, packt er mit "Vissel" noch ein ganz langsames Gitarreninstrumental mit halligem Pfeifen aufs letzte Drittel der Platte.
Sinnfragen, Alltagsbeobachtungen, Melancholie, Vewirrung: All das seziert González in aller Herrgotts Ruhe. "Against my will, a drifting vessel in the storm / Pushed around, from shore to shore / I know there's so much left to see / I know I have so much left to give /But the memories remain, yet the scars don't feel the same", schlussfolgert er im letzten Song der Platte, "Open Book".
Nach den zehn Lieder fragen wir uns, ob diese Stille noch Teil der Musik oder das Ende der Platte ist. In der Zwischenzeit hat sich die Welt bereits weitergedreht, rasant sogar. Jetzt, wo alles vorbei ist, wirkt das da draußen noch lauter, schriller und unangenehmer als zuvor. Als hätten wir den Tag mit Zen-Meditationen verbracht und müssten nun wieder raus in die Rush Hour.
1 Kommentar mit 2 Antworten
muss dem album noch etwas zeit geben, glaube allerdings, dass es für mich nicht an den vorgänger rankommen wird. einige songs stechen sofort raus (der opener, forest, every age, open book), andere sind für jose gonzalez-verhältnisse überraschend up-beat; dadurch ergibt sich als gesamtbild 'ne relativ bunte mischung. ich persönlich mochte aber gerade am vorgänger, dass es wie aus einem guss klang. mal schauen, wie es sich entwickelt...
ach, und cool, dass die review noch gekommen ist
cheers
Möchte ich von vorne bis hinten genauso unterschrieben. Bei mir hat sich dieser Eindruck auch nach der Zeit, die ich ihm jetzt mittlerweile schon eingeräumt habe, nicht verändert. Bereue den Kauf inzwischen schon ein wenig.
Hrnpf, ich mein' natürlich "unterschreiben". Editierfunktion!