laut.de-Kritik

Wenn The Mars Volta bekifft alte Metallica covern.

Review von

Australische Rockbands haben derzeit Konjunktur. Neben den ewig jungen AC/DC und ihren Kopisten von Airbourne muss man vor allem The Living End und The Butterfly Effect als Exponenten eines versierten Rock-Sounds nennen. Noch mehr Feintuning und übersprudelnde Kreativität haben derzeit wohl nur Karnivool im Angebot.

Das Songwriting der Aussies erinnert von der Struktur an Prog-Heroen wie Dream Theater oder Tool. Jedoch verzichtet man auf plakative Selbstbeweihräucherung oder ein allzu kaltes Soundspektrum. Gerade die Refrains und die Laut/Leise-Dynamik entstammen vom Klangcharakter eher den Genres Alternative Rock oder Metalcore. Dadurch ergibt sich ein ungemein breites Frequenzspektrum. Was bei anderen in weißem Rauschen endet, klingt bei den Australiern stets akzentuiert und nachvollziehbar.

Dieser Dualismus setzt sich auch im Gesang fort. Ian Kennys hohe, gemäßigte Vocals erinnern sowohl an Dream Theater oder Sieges Even, als auch an The Mars Volta oder Ignite. Die erste Single "Set Fire To The Hives" malträtiert mit satten Thrash-Riffs und noisigem Sound die Gehörgänge und setzt als Kontrast einen eingängigen, rockigen Refrain dagegen. Als würden The Mars Volta nach dem Genuss einer lustigen Zigarette eine Session mit frühen Metallica-Songs feiern und im Anschluss die Scorpions zitieren.

Dieser Song fällt jedoch etwas aus der Reihe, insgesamt präsentieren Karnivool melodiegespickte Hochglanzrefrains. Deklamatorische und dynamisch kontrastierende Strophen sowie sphärische Zwischenteile bauen Spannung auf, die sich in schroffen Riffs entlädt. Die hier auftretende Ideen-Dichte entblättert sich erst nach mehrmaligem Hören.

Spröde Dissonanzen in "Umbra" finden ihren beruhigenden Konterpart in der luftigen, auf Wohlklang ausgelegten zweiten Single "All I Know". Hier erinnern die Basslinie und die mit Chorus- und Delay-Effekten verzierten Gitarren dann aber doch zu frappierend an Tool. Auch den Refrain könnte man mühelos antizipieren; er fände ob seiner formelhaften Anlage in vielen Poprock- und Emo-Songs einen (austauschbaren) Platz.

Geduld und Muße fordern die beiden letzten Songs ein, die mit einer Gesamtspielzeit von ca. 25 Minuten fast ein Drittel der Scheibe in Anspruch nehmen. Hier zeichnet das Quintett musikalisch eine cineastische Szenerie, montiert rasche Schnitte, klingt dabei stets organisch und kreiert ein rhythmisches Gefühlschaos. Der Weg von Karnivool ist noch lange nicht zu Ende.

Trackliste

  1. 1. Simple Boy
  2. 2. Goliath
  3. 3. New Day
  4. 4. Set Fire To The Hive
  5. 5. Umbra
  6. 6. All I Know
  7. 7. The Medicine Wears Off
  8. 8. The Caudal Lure
  9. 9. Illumine
  10. 10. Deadman
  11. 11. Change

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LAUT.DE-PORTRÄT Karnivool

Futuristische Dream Theater, Tool in allen Spektralfarben schillernd? Klingt gut, trifft auch nicht ganz daneben. Alternative-Rock-Emotionalität, Metalcore-Momente …

9 Kommentare

  • Vor 14 Jahren

    Nach meinen bisherigen Eindrücken von myspace etc. stimme ich mit der Review überein. Ich weiß nur noch nicht, ob das ausreicht mir das Ding auch zu kaufen. Viele große Bands als Referenzen, aber in keinem Aspekt kommen sie an eine davon ran. Muss die noch mehr probehören.

  • Vor 14 Jahren

    bin letztes jahr nach australien geflogen und nen kollege hat mir die band mal empfohlen. nach bissl reinhören auf youtube fand ich die allerdings nicht so super. hörte sich für mich nach schlechtem radiorock an aber das neue album scheint besser zu sein! nach dem hören einiger neuer lieder find ich den vergleich zu tool allerdings ein wenig hinkend!! ein komisches auge als cd-cover macht noch kein third eye!!

  • Vor 14 Jahren

    klingt für mich irgendwie "verkrampft progressiv". abgesehen davon ist das pyramiden-setting im video von "set fire to the hive" ziemlich dreist bei dark tranquillity geklaut (lost to apathy).

  • Vor 14 Jahren

    also, ich habe auch höchsten respekt vor tool, deren schaffen aufgesaugt und bin ein wahrer fan von vertracktheiten und dergleichen... aber der song bzw. das songwriting steht für mich ganz klar im vordergrund... und da sind karnivool mit ihrem album "sound awake" der wahnsinn! karnivool kommen keineswegs konstruiert daher (im gegensatz zu vielen songs von tool; lass nicht von dream theater sprechen, die passen nicht ins genre hier) und bauen spannungsmomente auf die meiner meinung nach derzeit ihres gleichen suchen. jeder song und das gesamte album durchzieht nicht zulezt durch den eingängigen gesang ein wunderbarer roter faden. das ist konsequent! so ein album schreibst du nicht wenn du nicht weisst was du willst! (sorry ratflat, aber ich bin echt begeistert von karnivool.) für mich ist "sound awake" das beste album 2009. mag aber schon sein, dass es für diese einsicht ein paar durchläufe braucht. gebt dem album eine chance! übrigens: nicht umsonst wollten dredg nicht mit karnivool auf australien-tour... vielleicht waren sie ihnen zu gut ;-)

  • Vor 14 Jahren

    genau so wie "tops" seh ich das auch punkt

  • Vor 11 Jahren

    Dieses Album ist zurecht schon soetwas wie ein Klassiker.
    Ich mag Tool aber für Karnivool kann ich mich noch mehr begeistern, denn die setzen etwas weniger auf rhythmische Vertracktheit und mehr auf große Melodien, was mir noch mehr zusagt.
    'Sound Awake' ist ein Koloss von einem Album mit Übersongs wie 'New Day' und unglaublich dichter Atmosphäre.
    Kann das neue Album kaum erwarten, auch wenn mir das erste Lied, das es davon zu hören gibt, bisher eher weniger gefallen hat.