laut.de-Kritik

Ein Kaleidoskop voller Geheimnisse, Metaphern, Kritik und Liebe.

Review von

Dieser Bursche lässt einfach keine Langeweile aufkommen: Nach dem experimentellen "The Boxer", dem technoid wabernden "Trick" und dem ruhigen Singer/Songwriter-Album "Fatherland" mischt Kele alles in einen großen Topf und braut ein musikalisch wie textlich wuchtiges Gebräu.

"2042" trumpft mit 16 Songs auf, darunter drei kurze Interludes, die unterschiedlicher nicht hätten ausfallen können. Von Indierock über Elektro und Alternative bis hin zu Funk steckt alles drin. So bunt wie das Cover gestaltet sich der musikalische Regen, der auf den Hörer einprasselt.

Inhaltlich dreht es sich vorherrschend um Rassismus, das fängt direkt beim groovigen "Jungle Bunny" an. Darin erklärt Kele, dass man selbst als privilegierter Bürger in der westlichen Welt nicht vor Diskriminierung gefeit ist oder sie einfach ignorieren kann, sobald man keine weiße Haut hat. Im dunklen "Let England Burn" setzt sich die Gesellschaftskritik fort, gepaart mit mythischen Metaphern aus der Antike. Verzerrte E-Gitarren und ein manisch lachender Kele verdeutlichen seine Geschichten von fehlender Akzeptanz.

Dass daraus aber kein verweichlichter, sondern ein charakterlich starker Mann entwuchs, stellt er in "My Business" zur Schau, indem er Respekt einfordert: "Take the bass out of your voice / put your tongue back in your head / Tip toe back to where you came from / because you're writing a check your ass can't cash."

Den Finger legt er jedoch an zwei anderen Stellen tiefer in die Wunde, wie die Titel schon erahnen lassen: In "St. Kaepernick Wept" prangert Kele die besonders in den USA zur Schau gestellte Diffamierung von people of color an. Dazu nimmt er neben dem knienden NFL-Star auch den Vorfall des in den 40er-Jahren ermordeten 14-jährigen Emmett Till als Beispiel. Die beiden Täter wurden gegen Zahlung eines Geldbetrags von ihrer Tat freigesprochen. Dieser Skandal markiert, zusammen mit Rosa Parks' Weigerung, ihren Sitzplatz im Bus einem Weißen zu überlassen, den Beginn der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung.

All dies lässt der Brite Kele mit einem Gospel beginnen, flüstert die erste und rappt die zweite Strophe, bettet das Thema in einen religiös angehauchten Kontext ein und verbindet es mit einem samtigen Refrain aus weichen Synthies und wehenden Gitarren. Ein bemerkenswerter Husarenritt.

Das nur von einer traurigen Gitarre begleitete Interlude "A Day Of National Shame" beinhaltet ein längeres Zitat aus der letztjährigen Rede des Abgeordneten David Lammy im britischen House of Commons. Darin fragt er die Regierung nach den Gründen, wie es sein könne, dass man britisch-karibische Bürger der Windrush-Generation fälschlicherweise abschob und man nicht wisse, wie viele es tatsächlich waren.

Die Brücke zu "Fatherland" schlägt Kele sowohl atmosphärisch (wie im druckvollen "Cyril's Blood") als auch zwischen den Zeilen, wenn er (wie in "Ceiling Games") von der nigerianischen Filmindustrie Nollywood und vom nordafrikanischen Wind Harmattan spricht. Eine wundervolle Ballade im Bossa Nova-Kleid, mit behutsamem Gesang und verspielten Melodie-Kaskaden.

Generell gelingen die Lovesongs auf "2042" gut. Das an Reggae angelehnte "Natural Hair" knüpft an die DNA der früheren Bloc Party an, das an "Trick" erinnernde, butterweiche "Catching Feelings" sowie der nostalgische Schlussakt "Back Burner", in dem Kele über eine vergangene Liebschaft sinniert. Einzig das zu stark fragmentierte und sehr träge "Ocean View" inklusive Autotune fällt ein wenig ab.

Apropos Autotune: Im sechsminütigen "Between Me And My Maker" nimmt uns Kele auf eine spirituelle Reise zu seinem Schöpfer, die über raue Klanglandschaften in die Unterwelt führt und am Ende mit breiten Synthies die Himmelspforten aufstößt. Hierauf stellt er mit besagter Stimm-Software kryptische Fragen.

"2042" wirkt wie ein farbenprächtiges Kaleidoskop voller Geheimnisse, Metaphern, Gesellschaftskritik und Liebe. Jeder Song ist einzigartig und versprüht eine besondere Aura. Kele verknüpft die vielen Stilrichtungen auf einem Album, ohne dass der Eindruck wahlloser Zusammenstellung entsteht. Dabei hilft ihm seine variable, markante Stimme, die nuanciert jedes Gefühl transportiert.

Trackliste

  1. 1. Jungle Bunny
  2. 2. Past Lives (Interlude)
  3. 3. Let England Burn
  4. 4. St. Kaepernick Wept
  5. 5. Guava Rubicon
  6. 6. My Business
  7. 7. Ceiling Games
  8. 8. Where She Came From (Interlude)
  9. 9. Between Me And My Maker
  10. 10. Natural Hair
  11. 11. Cyril's Blood
  12. 12. Secrets West 29th
  13. 13. Catching Feelings
  14. 14. A Day Of National Shame (Interlude)
  15. 15. Ocean View
  16. 16. Back Burner

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