28. Juni 2010

"Ich genieße es sehr, allein zu sein"

Interview geführt von

Angesichts des kaum vergleichbaren Welterfolgs ihrer ehemaligen Destiny's Child-Schwester Beyoncé will man Kelly Rowland gerne eine gewisse Verbitterung unterstellen. In einem prunken Hotelzimmer nahe des Brandenburger Tors in Berlin, an dem zur gleichen Zeit Heerscharen den hiesigen Christopher Street Day feiern, sieht die 29-Jährige jedoch keinen Grund für Futterneid.Kelly Rowland strahlt. Sie lacht. Und sie genießt ganz offensichtlich ihre neu gefundene Position zwischen David Guetta, Lady Gaga und The Black Eyed Peas im aktuellen Dance Music-Spektakel der Pop-Welt. Aus dem R'n'B-Häschen mit Welt-Erfolg ist zwar noch nicht die von ihrer Promo-Firma erdichtete "Disco Diva, die den Club Sound von 2010 definiert," geworden, ihre Single "Commander" schlägt sich jedoch wacker als Dancefloor-Kracher in Großraumdiskotheken zwischen Itzehoe und Los Angeles.

Das noch unbetitelte Album, das für kommenden Herbst angekündigt ist, soll in genau die gleiche Kerbe schlagen und verspricht auch hierzulande ein Erfolg zu werden. Zwischen Interviews mit der deutschen Vogue, dem Promi-Blatt Gala und der Bild Zeitung bekam auch laut.de die Chance, Kelly Rowland nach den neuen musikalischen Vorlieben, den neuen Fans und dem neuen Genuss am Alleinsein zu fragen.

Mir ist aufgefallen, dass du gerade überall auf der Welt auf verschiedenen Veranstaltungen rund um den Christopher Street Day teilgenommen hast.

Ja! Überall. Ich komme gerade von einer Veranstaltung in LA.

Bist du also auch wegen des Christopher Street Days dieses Wochenende in Berlin?

Nein, da bin ich nicht dabei. Leider. Ich wäre wahnsinnig gerne da aufgetreten.

Wie kam es denn dazu, dass du bei so vielen Homosexuellen Festivals dabei bist?

Oh, ich liebe es dort einfach. Ich kann mich daran erinnern, dass ich früher geglaubt habe, dass ich da nichts verloren habe. Aber jetzt seit ich in der Dance Music-Szene bin, bin ich auch da reingerutscht. Und ich finde es wunderbar. "When Love Takes Over" war letztes Jahr einer der größten Club-Hits und auch ein Riesen-Erfolg in der Schwulen-Szene.

Du hast also mit der Schwulen-Szene deine Fan-Gemeinde ausgebaut?

Offensichtlich. Und ich kann gar nicht sagen, wie toll ich das finde. Ich liebe es.

Wird dein neuer Sound denn auch noch deinen alten Fans gefallen?

Natürlich. Ich habe meine alten R'n'B und Urban Fans nicht vergessen. Überhaupt nicht. Ich vermische neuerdings einfach Dance Music mit R'n'B.

Es scheint ein bisschen so, als ob du international erfolgreicher wärst als in Amerika. Wie siehst du das?

Kann gut sein. Und ich habe da auch überhaupt gar nichts dagegen.

Das kann ich mir vorstellen. Was glaubst du denn, ist der Grund dafür?

Ich habe einfach immer mit verschiedenen Arten von Musik experimentiert, die eher außerhalb von Amerika funktionieren. Und das hat sich für mich ausgezahlt. Zur Zeit glaube ich voll und ganz an Dance Music und die Vermischung mit R'n'B. Ich bin absolut davon überzeugt, dass ich mit Erfolg das Risiko auf mich genommen habe, beides gemeinsam mit meinen Produzenten im Studio zu fusionieren. Sie waren genauso motiviert wie ich, mit Kreativität ganz neue Wege zu gehen. Man sieht es ja auch bei den Black Eyed Peas und Lady Gaga, die ihren Horizont in Richtung Dance Music erweitert haben, dass es auch in den USA funktioniert. Ich hatte ja auch selbst schon mit David Guetta und "When Love Takes Over" einen Untergrund-Hit in den Staaten. Ich kann es also auch auf jeden Fall in den USA schaffen.

Welche Schwierigkeiten stellen sich dabei denn?
Naja, es ist halt Dance Music. Hier in Europa hört man diesen Sound ständig im Radio. Das war in den USA früher mal so – da war das Radios voll davon. Und dann wurde das Radio irgendwann von anderen Genres übernommen. Aber jetzt ist Dance Music zurück. Und da habe ich rein gar nichts dagegen.

Gab es denn irgendwelche Schwierigkeit, als du dich in diese neue musikalische Richtung aufgemacht hast?
Nein, gar nicht. Das war überhaupt kein Problem. Ich habe auch nie groß darüber nachgedacht. Es war eine ganz natürliche Entwicklung: Ich war im Studio, ich hab es ausprobiert, es hat funktioniert und auf einmal hatte ich dafür einen Grammy in der Hand. Dann konnte ich ja gar nichts anderes mehr denken als "Wow, es hat wohl funktioniert!" (Lautes Lachen)

"Ich wollte etwas machen, das größer ist als R'n'B."

Wie bist du denn mit Dance Music in Berührung gekommen?

Das ist schon ewig her. Ich hatte immer wieder Kontakt mit dieser Musik, seit ich mit 14 oder 15 mit den Mädels von Destiny's Child durch Europa getourt bin. Es begleitet mich also schon immer. Wir hatten ja auch immer unsere Dance Remixes. Schon damals mit Destiny's Child. Meine eigenen Tracks "Like This" oder "Dilemma" gab es dann auch als Dance Remix. Das war nie eine bewusste Entscheidung, ist einfach nur so passiert. Nach dem "Ms. Kelly"-Album musste ich aber etwas Neues ausprobieren. Ich brauchte eine neue Richtung.

Inwiefern?

Ich kann es nicht genau erklären. Ich wollte einfach etwas...ich weiß nicht...ich wollte etwas machen, das größer ist als R'n'B.

Und jetzt wirst von deinem Label als "Disco Diva, die den Club Sound von 2010 definiert" promotet.

Genau. Ich liebe es!

Das gefällt dir?

(Lacht) Ich liebe es. Es ist wahnsinnig cool, so genannt zu werden. Was für ein geiler Titel. Wenn ich nur an die vorangegangenen Disco Divas denke: von Donna Summer über Denise Williams bis Diana Ross. Auch Dionne Warwick hatte ein paar Disco Songs. Es gibt so viele von ihnen. Von diesen wunderbaren, schwarzen Divas. Sie haben ihr Ding gemacht und Unglaubliches geschafft.

Haben sie dich auch dazu inspiriert, in die Dance- und Disco-Richtung zu gehen?

Absolut. Das haben sie. Als ich ein wenig skeptisch war, ob es überhaupt funktionieren kann, habe ich mich an ihre großen Tage erinnert. Sie haben mir also gezeigt, dass es möglich ist.

Whitney Houston und Janet Jackson sind erst in ihrer späteren Karriere in die Club-Richtung gegangen und ...

Nein, so kann man das, glaube ich, nicht sehen. Dass man mit einer länger andauernden Karriere zwangsläufig auf Disco macht. So läuft das nicht. Man will einfach etwas Neues ausprobieren. Janet Jackson hat schon Dance Music gemacht, als sie mit "Throb" ihren größten Hit hatte. Auch Whitney Houston hatte schon immer ihre Dance Remixes. Wie hieß das eine Album noch mal?

"My Love Is Your Love"?

Genau. Das ist das beste Beispiel dafür: Wenn es klappt, dann klappt's einfach.

"Alle anderen können mich mal."

Wie definierst du denn diesen angesprochenen "Club Sound von 2010" für dich selbst?

Dieser Sound bedeutet für mich absolute Freiheit. Als ich "When Love Takes Over" geschrieben habe, fühlte ich mich vollkommen frei. Ich kann mich noch perfekt an die Nacht davor erinnern: Ich war in St. Tropez und habe acht Stunden lang durchgetanzt. Es war der Hammer. David Guetta hat aufgelegt und die Atmosphäre war perfekt. Ich war so frei und so unglaublich glücklich. Wenn ich "Commander" oder "When Love Takes Over" singe, bringt es mich genau dorthin zurück. Und es gibt keinen Ort, an dem ich besser aufgehoben wäre.

Was gefällt dir an Dance Music am meisten?

Diese Energie.

Die Energie?

Ja, genau, die Energie. Wenn du ausgehst und diese unbändige Energie spürst. Das ist das Allerbeste. Du spürst sie am ganzen Körper und kannst nicht anders, als dich von ihr vereinnahmen zu lassen.

Wann hast du diese Energie zum ersten Mal gefühlt?

In St. Tropez! Ich bin in einen völlig überfüllten Club gegangen. Die ganzen Leute waren völlig verschwitzt. Es war wahnsinnig eklig, weil ich Schweiß nicht ausstehen kann. Ich hatte 15-Zentimeter hohe Schuhe an und wusste, dass das eine verdammt harte Nacht wird. Ich habe dann die komplette Nacht durchgetanzt. Auf diesen Schuhen. Völlig verschwitzt. Und es hat mir rein gar nichts ausgemacht!

Ein Erlebnis aus deiner Zeit, in der du in Europa gelebt hast. Wie hat dich denn außerdem deine Zeit in Europa persönlich beeinflusst?

Ich habe einige wichtige Entscheidungen in der Zeit getroffen. Ich war oft ganz auf mich allein gestellt. Ich bin ganz alleine nach Europa gezogen. Ich hatte viel Zeit, um über mich selbst nachzudenken und herauszufinden, was ich persönlich vom Leben erwarte. Wo bin ich in fünf Jahren? Wo in zehn? Was wünsche ich mir von meiner Familie? Was von meiner Karriere? Einfach alles.

Und wie hat es dich auf künstlerischer Ebene beeinflusst?

Ich habe endgültig die Scheu vor Dance Music verloren. Komplett. Ich hab den Sound die ganze Zeit gehört und es ging mir einfach gut. Ich war glücklich. Es war wie eine Rettung. Wenn ich mich alleine gefühlt habe, bin ich einfach raus gegangen und habe die Nächte durchgetanzt. Ich bin in die Musik geflüchtet und das hat mir unglaublich gut getan.

Und das Album ist aus diesem Gefühl heraus entstanden?

Genau. Der internationale Style. Die Mode. Ich kann einfach überall in einem Cafe oder Restaurant sitzen und Leute beobachten. Das war mein Haupteinfluss. In der Zeit, in der ich alleine auf Reisen war, konnte ich viel über mich selbst nachdenken. Es hat mir sehr gut getan, einfach nur ganz alleine einen Kaffee zu trinken oder etwas zu essen. Immer mal wieder wurde ich angesprochen, ob ich Kelly Rowland sei und wieso ich denn ganz alleine in einem Cafe sitze. Ich genieße es sehr, allein zu sein.

Liegt das vielleicht daran, dass du bereits so jung mit einer Gruppe erfolgreich warst und deswegen nie Zeit für dich alleine hattest?

Auf jeden Fall.

Wie hast du denn das erste Mal deine Freiheit eines Solo-Künstler erlebt?

Das war auf der Bühne. Komplett zufrieden. Ganz alleine auf der Bühne. Früher habe ich einfach viel zu viel über alles nachgedacht. Egal ob über Tanzschritte oder Noten. Ich hatte nichts anderes im Kopf, als alles richtig zu machen. Und wenn ich etwas falsch gemacht habe, ging es mir immer ziemlich übel. "Du Idiot, du hättest eigentlich nach links gehen sollen!", ging mir dann die ganze Zeit durch den Kopf. Jetzt aber mache ich einfach. Es passiert von ganz alleine. Ich befinde mich gerade in dieser Phase meines Lebens.

Wie sieht diese Phase genau aus?

Ich habe keine Angst mehr. Ich fürchte mich vor nichts und niemandem. Ich fürchte nur Gott allein. Alle anderen können mich mal.

(Das Interview führte Keisha Heard)

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