7. Oktober 2017

"Kein Bock auf Gleichschaltung!"

Interview geführt von

Kreischende Bravo-Leserinnen, Hosenbünde in den Kniekehlen und vielleicht auch die eigene "rebellische" Jugend kommen wohl gemeinhin in den Sinn, denkt man an die Killerpilze. Davon ist die Band mittlerweile allerdings weit entfernt. Über die Jahre erarbeiteten sich Jo, Fabi und Mäx durch viel Eigeninitiative ein Standing unabhängig von Hype und großen Labels.

Im zarten Alter zwischen 13 bis 17 Jahren eroberten die Killerpilze vor über zehn Jahren deutsche Teenieherzen. Mit Major-Vertrag bei Universal in der Tasche erschien im Mai 2006 das Album "Invasion Der Killerpilze" und brachte vier Jugendliche auf einige der größten Bühnen des Landes. Die Erfolgswelle schwappte gar in internationale Gewässer, war jedoch insgesamt nur von kurzer Dauer. Universal setzt die Band vor die Tür, doch statt sich unterkriegen zu lassen, gründen die Killerpilze kurzerhand ihr eigenes Label. Über die Folgejahre bauen sie sich ein stabiles, größtenteils unabhängiges Business auf, wagen musikalische Experimente, organisieren 2014 die bis dato größte, erfolgreiche Crowdfunding-Aktion der deutschen Musikszene und schaffen es schließlich sogar zu Rock am Ring.

2017 – im 15. Bandjahr – präsentieren Jo Halbig, Mäx Schlichter und Fabi Halbig ihre turbulente Geschichte in Form der Kinodokumentation "Immer Noch Jung". Co-Regie führte neben Mäx' Bruder David Schlichter Drummer Fabi, inzwischen Student an der HFF München. Wir trafen die Band, David und Managerin Agnes Stamml am Berliner Spreeufer, um über das Filmprojekt und so manch anderes der letzten 15 Jahre zu sprechen.

Wie wars auf der Wiesn?

Jo: Wie jedes Jahr: Erst kriegst du den Kulturschock deines Lebens, aber dann findet man sich doch wieder relativ schnell zurecht.

Mäx: Also ich war nicht dabei. (lacht)

Jo: War auf jeden Fall schön, noch einen Tag mit Freunden in München zu verbringen, bevor wir jetzt auf große Filmtour starten. Und du als Oberbayer wirst das sicher nachvollziehen können: Bis es soweit ist, hasst man die Wiesn immer, aber dann ists eigentlich doch ganz schön, haha.

Es hieß im Vorfeld, eventuell würde das Interview auf dem Dach des Universal-Gebäudes stattfinden. Jetzt sind wir zwar doch ein paar Häuser weiter, aber: Bahnt sich da etwas an oder wolltet ihr nur alte Connections spielen lassen?

Mäx: Wir streuen die Gerüchte! We're gonna be big!

Jo: Hahaha, Agnes weißt du mehr?

Agnes: Nee, das stand nur aus Gründen der Vergangenheit und natürlich der Aussicht zur Debatte. Außerdem gibts dort Getränke for free!

Jo: Uns fällt einfach auch elf Jahre später noch nichts besseres ein, um in Berlin einzukehren, haha. Mittlerweile pflegen wir zu Universal ein normales Verhältnis; wir kennen viele Leute, die dort arbeiten. Einige sind Freunde geworden, die besucht man eben ab und zu. An der Spree ist es sowieso immer schon. Aber jetzt sind wir halt doch im alten VIVA-Gebäude gelandet.

Ist zwar niedriger, dafür aber noch näher am Wasser gelegen. Wie auch immer: Ihr feiert 15-jähriges Jubiläum! Die meisten Bands organisieren zu solchem Anlass eine Tour, graben alte Songs aus – wie kamt ihr darauf obendrein noch einen Film ins Kino zu bringen?

Fabi: Die Idee kam uns letztes Jahr. Wir hatten gerade ein neues Album veröffentlicht und plötzlich wurde uns bewusst, dass ja bald 15-Jähriges ansteht. Wir wollten irgendwas Besonderes vorbereiten, konnten aber nicht gleich das nächste Album schreiben.

Jo: Genau, das hätten wir zeitlich gar nicht hinbekommen. Wobei: Wenn wir gewusst hätten, was so ein Film letztendlich für ein Prozess ist... (lacht) Wir sind mehr oder weniger hinein gestolpert mit dem Ansinnen, etwas für unsere Fans vorzubereiten – vielleicht ein DVD-Projekt. Dass es jetzt als Killerpilze-Kinofilm sogar in die breite Öffentlichkeit kommt, ist natürlich ein schöner Begleiteffekt.

Mäx: Außerdem spielen wir ja trotzdem eine Tour und veröffentlichen noch ein Best-Of-Album.

Jo: Best-Of im Sinne von "Alle Singles der letzten 15 Jahre".

Wie lange habt ihr insgesamt an dem Film geschraubt?

Fabi: David hat letzten August angefangen, die Interviews zu führen. Zwischendurch gab es ein paar Breaks, verschiedene Schnittversionen entstanden. So richtig tief drin waren wir ab Februar 2017. Innerhalb von etwa vier Monaten haben wir alles fertiggestellt und schließlich beim Filmfest München vorgestellt, wo wir den Publikumspreis gewonnen haben. Weil sich alles so gut entwickelte, überlegten wir, vielleicht mehr zu machen als "nur" eine DVD. Kino wär doch geil!

Jo: Von Anfang an war klar, dass wir nicht die typische Banddoku drehen wollen. Jeder packt sowas irgendwann mal als Bonusmaterial zum Album. Wir wollten eine weitere Perspektive als schlicht: "Was haben die Killerpilze die letzten 15 Jahre getrieben?" Wir wollten den Weg zum eigenen Label beleuchten, den Bruch mit Universal und uns auch mit den alltäglichen Struggles als DIY-Musiker auseinandersetzen. Deshalb war schnell klar, dass auch externe Leute über uns und das Musikbusiness generell zu Wort kommen sollten. Erst das machte das Projekt für uns spannend.

Federführend waren Fabi und David?

Fabi: Genau. David hatte das ganze Material und ist vorangegangen. Ich bin dann über die Produktionsseite reingerutscht und habe natürlich "Band-View" mitgebracht. Irgendwann saßen wir dann freilich alle vor dem Bildschirm und haben die Clips durchgeguckt. Das war wie Fernsehen. David hatte zu dem Zeitpunkt alles schon zigmal gesehen und langsam die Nase voll – wir waren total begeistert und wollten alles laufen lassen. (lacht)

Mäx: Es war einfach eine krasse Zeitreise.

David: Das stimmt. Dabei waren lauter Videos von früher, wo ich teilweise einfach eine halbe Stunde draufgehalten hatte. Alte Bandproben, zum ersten Mal Bravo Super Show ... solche Sachen. Gerade am Anfang finden sich im Film ja einige Homevideo-artige Sequenzen.

Wie ist das eigentlich für euch so als Brüder-Clique?

David: Das läuft ja im Grunde schon seit Anfang an so. Ich hatte zwischenzeitlich sogar mehr Konzerte auf dem Buckel als Mäx, weil er beim fünfzigsten krank wurde, ich aber trotzdem am Start war. Bis zur goldenen Schallplatte fungierte unser Vater außerdem als Manager, gewissermaßen war das also Familienbusiness.

Ihr geht euch immer noch nicht auf die Nerven?

Jo: Frag uns in zwanzig Tagen nochmal, wenn wir von der Kinotour zurückkommen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass alles gut ist.

Jetzt muss sich die Brüderkombination nicht nur im Musik- sondern auch im Filmbusiness bewähren...

Jo: Das ist schon spannend. In der Musikwelt haben wir schon viel erlebt und gesehen, aber durch den Film öffnen sich natürlich ganz andere und neue Türen. Wir wissen noch nicht recht, was uns bevorsteht, aber ich denke, für ein 15. Bandjahr ist der Anspruch, etwas Neues zu wagen, definitiv der richtige.

Apropos Neues: Ich nehme an, ein Teilziel, das ihr durch den Film erreichen wollt, ist, den Leuten, die euch bislang noch als Teenie-Hype abstempeln, zu zeigen, dass mehr dahinter steckt?

Fabi: Es ist vielleicht nicht das Ziel, aber definitiv die Konsequenz der letzten zehn Jahre. Es soll jedoch kein Abfeier- oder Rechtfertigungsfilm sein. Wir wollen einen Blick hinter die Kulissen bieten und knallhart sehr ehrlich und manchmal vielleicht unglamourös zeigen, wie es wirklich war – auch was das eigene Label angeht. Das war auch nur dadurch möglich, dass David im Grunde immer dabei war und wichtige Momente festhalten konnte. Relativ früh war schon klar, dass wir chronologisch durch den Film führen wollen, um nichts auszulassen. Die Szenen sprechen dann für sich.

Jo: Ich sehe es allerdings schon so, dass der Film unser Standing im Musikbusiness auf ein anderes Level heben darf und kann. Wir hatten oft das Gefühl, unterschätzt und von vielen Medien – da gehört laut.de natürlich auch dazu – belächelt zu werden. Wir freuen uns, dass jetzt Interesse da ist und man sich wirklich mit unserer Band auseinandersetzt. Das große Problem mit den Killerpilzen war glaube ich nicht, dass wir nur Scheiße gemacht hätten, sondern dass – von Musikmagazinseite und Meinungsbildnerseite – grundsätzlich gesagt wurde: "Es war damals kein Thema, weil es eine Bravo-Band war. Und deshalb wird es auch kein Thema mehr." Ich hoffe, dass der Film bei Musikjournaille und Leuten, die sich mit diesem Business auseinandersetzen, vielleicht einen Perspektivwechsel anstößt. Deswegen haben wir ihn ja auch so weit gefasst. Man muss kein Killerpilze-Fan sein, um sich diesen Film anzuschauen. Es geht weniger um die Musik als um den Rahmen. Das Projekt ist größer als eine Platte.

Bei mir ist es ehrlich gesagt genau so. Bevor ich den Film gesehen habe, kannte ich im Grunde nichts von euch. Die letzten Tage habe ich mich jetzt ein bisschen durchgehört.

Mäx: Da gibts einiges zu entdecken!

Vor allem wechselt mit jedem Album der Stil.

Fabi: Das ergab sich teils auch unbeabsichtigt. Wir haben einfach immer gemacht, wonach uns gerade der Sinn stand. Mal härter, mal poppiger...

Gibts schon einen Plan, wohins als nächstes geht?

Mäx: Na, auf Kinotour!

Fabi: Kinotour, Tour, Urlaub. Und musikalisch ... vielleicht jamaikanisches Reggae-Zeugs? Nee. Wir sind schon eine Gitarrenband, aber der kreative Prozess hat gerade Pause. Dahingehend haben wir uns jetzt das ganze Jahr mit dem Film beschäftigt. Darin hat natürlich viel Musik von früher und auch vom aktuellen Album Platz gefunden. Sich durch die ganze Diskographie zu hören, war für uns übrigens auch sehr spannend. Man hört, wie sich die Musik im Lauf der Zeit verändert und entwickelt hat.

"Wir klingen geiler als Max Giesinger"

Was haltet ihr heute von der Musik, die ihr früher gemacht habt?

Jo: Immer noch geil.

Mäx: Wir würden heute die Songs natürlich nicht mehr so schreiben, weil wir uns musikalisch weiterentwickelt haben. Das klingt zwar platt, aber das ließ sich einfach nicht vermeiden – gerade da wir so jung waren. Aber ich feiere die Songs nach wie vor. Auch live. Eine unserer Stärken ist sicherlich, auf der Bühne aus 15 Jahren Material schöpfen zu können, das am Ende eins ergibt: die Killerpilze. Es funktioniert im Ganzen supergut.

Fabi: Wer sich fragt, wie all das Unterschiedliche zusammengeht, muss echt mal live vorbeischauen. Ich geb' dir schon recht: Manchmal pendeln wir zwischen Extremen, aber live passt das tatsächlich gut zusammen – und ist spannend.

Im November steht die Tour an oder?

Jo: Genau. Oktober, November und ein Abschlusskonzert vor Weihnachten in München.

Im Film kommt relativ explizit der Satz vor: "Wir wollen keine Punk-Band mehr sein."

Jo: Der stammt von mir und ist das einzige, bei dem mir im Nachhinein ein bisschen wehgetan hat, wie es letztendlich im Film steht. Dabei ging es konkret eigentlich um unser Logo und die Schreibweise des Bandnamens. Anfangs fiel das Sex Pistols-mäßig aus, im Stil ausgeschnittener Zeitungsbuchstaben. Deshalb war es für mich an der Stelle wichtig zu sagen, dass wir keine Punk-Band mehr sind.

Fabi: Aber unsere aktuelle Platte ist auch wirklich nicht die einer Punk-Band.

Jo: Das stimmt schon. Trotzdem ist das ein spannender Punkt. Wir wissen ja zum Beispiel selbst nicht, wie die nächste Platte klingen wird. An diesem Punkt stehen wir noch nicht.

Ich wollte damit mehr auf die Vorgeschichte hinaus. Gab es einen gewissen Punkt, an dem ihr wusstet, dass ihr eben den Weg von "High" einschlagt und euch damit auch ein bisschen von der Vergangenheit und der Rockgitarrenmusik abkapselt?

Jo: Wie du sagst: Auf diesen Weg einigten wir uns vor "High". Davor erschienen ebenfalls größtenteils selbstproduziert die beiden Alben "Ein Bisschen Zeitgeist" und "Grell". Darauf hatten wir uns stilistisch komplett ausgelebt. Jedes Jahr ist auf gewisse Weise wieder ein musikalisches Findungsjahr. Du trittst für jedes Album mit einer neuen Vision an. Bei "High" war der Punkt erreicht, an dem wir sagten: "Wir wollen unsere Pop-Platte machen". Wir wollten uns aber mit dem Selbstverständnis positionieren, eine Popplatte zu machen, die nicht Max Giesinger ist, sondern geiler. Ich glaube nach wie vor, dass wir das geschafft haben. Das Album ist sehr vielfältig. Aber klar: In Sachen Produktionsweise haben wir damit neue Wege beschritten, hinter denen wir damals voll und ganz standen. Wir spielen die Songs auch immer noch super gerne live. Uns war immer wichtig, nicht dieselbe Platte zweimal zu machen. Das finde ich auch bei anderen Bands spannend. Nur weil drei Songs funktioniert haben, muss man ja nicht genau die wieder und wieder schreiben. Wir sind sehr vielseitige Musikhörer und deshalb kannst du immer mit Überraschungen rechnen – ob nun in eine härtere oder poppigere Richtung. Wir arbeiten viel mit Referenzen und privat hört jeder von uns Unterschiedliches. Beim einen Album fließt das somit eben mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung. Gerade im letzten Jahr haben wir außerdem festgestellt, dass es uns extrem viel Spaß macht, als Trio auf der Bühne zu stehen und Rockmusik zu machen. Live ist es immer Rockmusik – Gitarre, Bass, Schlagzeug. Ohne jetzt gleich die Hand dafür ins Feuer zu legen, könnte ich mir deswegen auch vorstellen, dass das nächste Album mehr Rock als Pop in sich trägt.

Mäx: Im Findungsprozess ist es ja meist so, dass irgendwann ein Schlüsselsong entsteht. Im Falle von "High" war das "Immer Noch Jung". Danach haben wir letztlich ja auch den Film benannt. Das Lied fing einfach den Spirit ein, den wir im Moment fühlten. Also entschieden wir uns, in diese Richtung weiterzudenken. Zusammen mit weiteren Songs formte sich dann langsam ein Bild. Auf einem Album möchte man ja nicht unbedingt das Phänomen, das sich vielleicht in der Diskographie findet. Darauf soll eben nicht unbedingt jeder Song in eine andere Richtung gehen, sondern zu einer homogenen Platte beitragen.

Weil du eben meintest, ihr hört privat ganz unterschiedliche Sachen: Spiegelte sich das auch bei der Filmproduktion wider? Gab es bei der Auswahl, was es in den Film schaffen sollte, manchmal Diskrepanzen?

David: Meistens waren wir uns einig. Die Songs, die zur jeweiligen Periode passten, kamen rein.

Fabi: Du meintest es eher generell aufs Material bezogen oder?

Ja, genau. Nicht nur auf die Musikauswahl bezogen, sondern vor allem, was die Ansprache bestimmter Themen angeht.

Fabi: Man musste vor allem kürzen. Eine Schnittversion war zweieinhalb Stunden lang. Wir mussten uns erst einmal klar darüber werden, wen wir erreichen wollen und welches Material wir konkret zur Verfügung haben. Wir stellten fest, dass genug vorhanden war, um eben die chronologische Erzählweise umzusetzen. Ich finde, es macht Spaß, gewissermaßen mit der Band mitzuwachsen – von der Heimat zu den großen Bühnen. Insgesamt gab es glaube ich 30 verschiedene Schnittfassungen. Was wir Mäx, Jo und unserem Team jeweils präsentiert haben, war ja auch bereits nur ein Exzerpt des Ganzen. So merkt man, was noch fehlt oder wo es noch kritischer werden kann. Zwischenzeitlich ging es wohl schon etwas mehr in die Abfeier-Richtung. Um das auszugleichen, haben wir dann wiederum mehr andere Statements eingearbeitet.

Jo: Uns war wichtig, den Film insgesamt so objektiv wie möglich zu gestalten – um ihn eben auch für Leute relevant zu machen, die sich im Killerpilze-Universum nicht auskennen. Gerade die kritischen Momente verleihen in dieser Hinsicht dann eben Glaubwürdigkeit. Ich bin total happy, dass das in den ersten Kritiken auch so erkannt wird. Wir vermitteln eben nicht eine "Es war immer mega-geil in den letzten 15 Jahren"-Stimmung. Es gab Höhen und Tiefen und die kann man auch als Zuschauer miterleben. Zum Beispiel ist auch ein sehr privater Moment mit drin, der sich essentiell auf die Band ausgewirkt hat: der Tod unseres Vaters. Natürlich haben wir darüber diskutiert, ob wir das wirklich reinnehmen sollen. Aber es geschah nunmal genau in der Phase, in der wir davor standen, unser erstes großes Festival zu spielen. Wir hatten jahrelang darauf hingearbeitet, uns Kredibilität erarbeitet, um dieses Level zu erreichen – und dann passiert so etwas. Welche Auswirkungen hatte das? Haben wir deswegen eine Pause eingelegt? Diese Aspekte flossen letztendlich ein. Die Szene ist gerade für uns harter Tobak, aber wir haben uns darauf geeinigt, dass sie dem Film gut tut.

Fabi: Was den Stil angeht, dienten vor allem amerikanische Fokus als Referenz, die wir selbst auch gern gucken – sei es eine Oasis-, Pearl Jam- oder Amy-Doku. Wir versuchten schon, visuell einen gewissen Step in der deutschen Doku-Landschaft zu machen. Es sollte eben kein Wackelkamerafilm werden, sondern unterhaltsam – man soll ihn gern gucken. Bis zum letzten Tag haben wir in der Postproduktion an Animationen etc. gearbeitet, damit ein Film daraus wird und eben nicht die nächste YouTube-Banddoku. Wenn schon denn schon.

Kritische Untertöne schwingen vor allem mit, wenn es an den Punkt von Schlagis Ausstieg geht. Wie war es eigentlich für euch, für den Film wieder mit ihm zusammenzuarbeiten?

Jo: Super spannend.

Fabi: Dazu kann David glaube ich mehr sagen.

David: Er war sehr offen, das war schön. Er hat seinen Frieden gefunden und es war spannend, im Nachgang über diese alte Zeit zu sprechen. Er konnte sich gut mitteilen, denke ich, und wurde auch recht emotional. Sein Leben hat sich schon deutlich verändert mit der Entscheidung, aus der Band auszutreten. Das sitzt natürlich tief.

Fabi: Wir haben uns auch extra nochmal mit ihm getroffen, was nicht im Film gelandet ist. Im Abspann sieht man es kurz und auch im neuen Musikvideo zu "Immer Noch Jung". Das war unser erstes Zusammenkommen seit vielen Jahren und wir konnten auch dabei offen sprechen. Dass wir uns dagegen entschieden haben, es ausführlich in den Film zu schneiden, lag nicht daran, dass kein gutes Material dabei gewesen wäre. Es wäre stilistisch etwas rausgefallen und was Schlagi uns gegenüber gesagt hat, hat er auch alles schon in den Interviews kommuniziert. Dabei kam er voll auf den Punkt.

Jo: Der Film dient für uns zum Teil auch als Ebene zur Aussöhnung mit Schlagi. Naja, Aussöhnung klingt, als hätten wir uns gestritten... Aber wir können seine Beweggründe jetzt besser verstehen und er vielleicht auch unsere. Damals war das wie im Rausch. Schlagi verlässt die Band? Wir verstehen die Welt nicht mehr! Aber okay, es geht weiter! Wir hatten uns nie die Zeit genommen, nüchtern und mit Blick von außen über den Vorfall zu reden. Das gleiche gilt für die Sache mit Universal. Erst jetzt – elf Jahre später – erfuhren wir über die Interviews konkrete, für uns fassbare Gründe, warum es damals zu Ende ging.

Fabi: Plausible vor allem. Ich verstehe durchaus, wie es zur Entscheidung kam.

Mäx: Kann ich auch nachvollziehen, ja. Damals war das natürlich ein harter Schlag. Aber mit gewissem Abstand betrachtet man so etwas anders. Letztlich ging es für uns super weiter.

Jo: Ein Stück weit hat der Film auch für uns etwas aufgemacht, was wir sonst vermutlich nie erfahren hätten. Das finde ich schon spannend.

"Kaum jemand arbeitet so hart wie wir"

Seit ein paar Jahren agiert ihr ja quasi selbstorganisiert. Aber wo hört diese Selbstorganisation eigentlich auf? Wo sagt man: "Das geben wir weiter"?

Mäx: Das ist schwierig zu trennen, weil wir wirklich in allen Bereichen irgendwie mit drin hängen. Klar gibts viele Bereiche, in denen man Unterstützung braucht.

Jo: Allein für solche Dinge wie einen Labelcode oder dass ein Werk bei Spotify angemeldet wird – da arbeiten uns natürlich Leute zu und helfen, sei es das Management oder ein Fachmann. Das ist aber vielleicht auch die letzte Instanz. Wirklich alles davor läuft bei uns zusammen.

Mäx: Zumindest sind wir im Loop. Nur wir drei, komplett alleine, geht natürlich nicht.

Jo: Im Film heißt es an einer Stelle: "Richtige Labelarbeit haben sie eigentlich erst bei 'High' kennengelernt."

Fabi: Es musste sich freilich erst alles entwickeln. Anfangs war das für uns Neuland und wir brauchten fett Unterstützung. Abgesehen vom Musikmachen und ab einem gewissen Punkt selbst aufnehmen, verstanden wir recht wenig. Irgendwann kamen Videos dazu, Marketing, Finanzen ...

Mäx: ... das Crowdfunding.

Jo: Und natürlich jetzt der Film.

Fabi: Genau. Das Management wechselte, damit hat sich auch wieder einiges verändert. Inzwischen sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir auch in der Lage sind, viel abzugeben. Wobei ich glaube, dass wir recht anstrengend zu managen sind. Frag mal Agnes.

Ist es so?

Agnes: Nee, definitiv nicht! Man kann immer nach einer Meinung fragen und ist nie auf sich allein gestellt. Das finde ich sehr, sehr positiv.

Jo: Wir haben inzwischen sehr klare Vorstellungen davon, was wir wollen und was wir nicht wollen.

Fabi: Unterstützung brauchen wir trotz allem. Es ist ein zu großes Projekt, um es zu dritt zu stemmen.

Mäx: In der Promotion hingen wir auch mit drin. Es gab Zeiten, an denen wir keine externen Promoter hatten und die Jungs neben mir tagelang in Redaktionen durchklingeln mussten, um Interviews an den Start zu kriegen.

Jo: Ich habe zwar keinen Einblick in andere Bands, aber ich würde schon sagen, dass wir zu den am allerhärtesten arbeitenden Bands zählen, die es überhaupt gibt. Kein Scheiß. 17 von 24 Stunden pro Tag kleben wir da dran – gerade in einer Phase wie jetzt mit dem Kinofilm. Wir sind nur am Machen, Machen, Machen. Das hat auch viel damit zu tun, dass wir oft gegen Windmühlen ankämpfen mussten. Wegen unserer Geschichte gibt es viele, die sich erst einmal seeehr kritisch mit uns auseinandersetzen. Das erschwert zum Beispiel Promo ungemein. Wir finden allerdings, dass unsere Band einen Platz im Musikbusiness verdient hat, auch weil wir jetzt Produkte wie etwa den Film an den Start bringen. Entsprechend kämpft man dann halt zwei-, dreimal, bis XY sich den Streifen zumindest mal anschaut, statt einfach in der ersten Mail zu sagen...

Fabi: ... "War kein Thema, ist kein Thema." Sowas begegnet uns immer weniger, aber immer noch. Auch jetzt beim Film. Das ist allein deshalb schon schade, weil ein Film schließlich ein ganz anderes Produkt als ein Album ist. Mein Gott, jeder Künstler macht bessere und schlechtere Alben, das finde ich ja auch – muss man nicht mögen. Der Film jetzt ist aber zum Beispiel die einzige größere deutsche Musikdokumentation dieses Jahres und es steckt eine Heidenarbeit dahinter – schon aus Anstandsgründen könnte man sich zumindest mal damit auseinandersetzen. Danach kann man immer noch sagen: "Hey, ich find' den Film nicht gut." Das ist total okay. Es tut nur manchmal ein bisschen weh, einfach so abgetan zu werden.

Jo: Es gibt natürlich ein paar Meinungsbildner im Musikbusiness, die uns gerne raushalten. Die sitzen am längeren Hebel, das hat letztlich nichts mehr mit unserem langen oder kurzen Atem zu tun. Es gibt einige, die könnten, wenn sie wollten, haben aber einfach keinen Bock. Ich will mir übrigens nicht anmaßen zu sagen, wir wären die einzigen, denen es so geht. Aber ich glaube, wir haben uns bis heute zumindest eine Relevanz erkämpft, die es rechtfertigt, zumindest mal reinzuhören. Im Zweifel fahren wir zu dem Typen nach Hause und legen ihm die DVD auf die Fußmatte, damit er sie sich anguckt. Danach zerreiß' den Film von mir aus.

Mäx: Schlicht zu sagen: "Mach ich nicht, weil Killerpilze draufsteht", ist einfach. Wirds aber wohl immer geben.

Wobei sich gerade die Promo-Landschaft in den letzten Jahren deutlich gewandelt hat. Als ihr angefangen habt, hatte etwa MTV noch großen Einfluss. Heute zum Beispiel ist Social Media sehr wichtig, Selbstmarketing über Instagram und Co..

Fabi: Dadurch ist es auf der einen Seite sehr viel anstrengender geworden. Es sei denn, du hast einen riesigen Kontaktepool, den du supereinfach erreichst. Als wir damals bei VIVA eine Top-Rotation bekamen, hieß es: Geil, wir können auf jeden Fall mit Top 20 rechnen. Das galt als gesetzt und es kam letztendlich genau so. Krass oder? Ein, zwei Wochen später stand in den Charts Platz 17.

Mäx: Damals lief alles fokussierter. Heute gestaltet es sich wesentlich kleinteiliger.

Fürs DIY-Modell dürfte euch das heutige Modell ja in die Karten spielen oder?

Jo: Auf jeden Fall. Wir machen ja auch viel mit den Fans. Nimm zum Beispiel das Crowdfunding.

Für den Film habt ihr ja schon wieder eins organisiert.

Jo: Genau. Das funktioniert auf sehr enger Basis. Wobei ich es als Künstler auch sehr anstrengend finde, dass Social Media gewissermaßen gleich Musik geworden ist. Du machst nicht Musik und ein bisschen Social Media nebenher, um sie zu bewerben, sondern es ist ein ganz eigener Zweig, den man idealerweise dauerhaft bedient und beherrschen muss. Letztlich bedeutet das weniger Zeit für die kreative Arbeit, weil natürlich dafür viele Ressourcen aufgewendet werden müssen. Für die kreative Arbeit muss man sich bewusst Freiräume schaffen, was im Zweifel einen Social Media-Break bedeutet. Ich bin unser Social Media-Beauftragter übrigens.

Fabi: Klar kann man sich solche Pause nehmen, wenn man möchte. Aber ein Projekt wie der Film will natürlich auch promotet werden. Dahingehend ist alles sehr viel vielschichtiger geworden, was Vor- und Nachteile hat.

Jo: Wir nehmens eh wie es kommt.

Fabi: Eben. Bei Spotify war anfangs natürlich auch die Frage, ob das jetzt gut oder schlecht für uns ist. Ändern können wir es aber sowieso nicht. In unserer Rolle nehmen wir es dann eben an und am Ende hat es unserer Platte echt geholfen.

Jo: Wer weiß, was künftig für Entwicklungen anstehen. Bald kommen vielleicht selbstfahrende CDs. Wer weiß.

Eine letzte Frage: Ihr wart einst Zeitgeist – was denkt ihr, ist heute Zeitgeist?

Jo: Musikalisch meinst du?

Unabhängig davon. Vielleicht ist Zeitgeist nicht mehr Musik.

Fabi: Philosophisch...

Jo: Ich glaube Musik ist immer Zeitgeist. Musik fängt vor allem immer Zeitgeist ein – manchmal besser, manchmal schlechter. Hin und wieder haben wir denke ich schon geschafft, Zeitgeist einzufangen. Generell würde ich sagen, dass in allen Bereichen aktuell eine sehr diffuse Stimmung herrscht, was Zeitgeist angeht.

Mäx: Das werden wir vor allem nach der Wahl sehen.

Jo: Das stimmt. Was uns als Band angeht und uns hoffentlich in die Karten spielt, ist, dass sich Rockmusik wieder auf einem starken Weg befindet. Man nimmt bewusst wahr, dass viele Leute keinen Bock mehr auf dieses gleichgeschaltete Zeug haben. Für eine Band wie uns, die eigentlich immer ihren eigenen Stiefel gemacht hat, ist das ein positives Zeichen. So hat man nach wie vor seinen eigenen Platz in der Welt und kann seinen eigenen Weg weitergehen. Also: Rockmusik ist immer Zeitgeist.

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