laut.de-Kritik

Die Sonic Youth-Bassistin suhlt sich im zerbrochenen Alltag.

Review von

Trap is dead. Was gibt es schließlich Uncooleres als einen Trend, der mit ewiger Verspätung in den Händen einer älteren Generation landet. Selbst wenn diese Hände zu Kim Gordon gehören. Setzt dieser Tod einer Musikrichtung erst einmal ein, spielt alles danach keine Rolle mehr. Doch das Gute: Was tot ist, kann niemals sterben. Im Grunde fängt es ab hier erst wieder an, interessant zu werden. Ab nun kann sich ein Genre wieder in jede Richtung entwickeln, kann etwas Neues entstehen, können Menschen wie die ehemalige Sonic Youth-Bassistin frei mit dem Genre spielen.

Gordons Hauptquelle bleibt jedoch eh der Lärm. Egal womit sie experimentiert, sie assimiliert es in ihrem riesigen Borgwürfel aus Krach. So stellt "The Collective" keine brachiale Neuausrichtung dar. Viel mehr folgt sie dem bereits auf "No Home Record" eingeschlagenen Weg weiter, auf dem sie sich bereits vom Sound ihrer alten Band verabschiedete.

Wie bereits auf dem Vorgänger arbeitet sie mit Produzenten Justin Raisen (KiD CuDi, Charli XCX) zusammen, der zuletzt Lil Yachtys "Let's Start Here" produzierte. Gemeinsam zermahlen sie Gordons Songideen, bis sie in Fetzen liegen und neu zusammengefügt werden können.

Gordon bleibt defokussiert, huscht von Bild zu Bild, Einfall zu Einfall, ohne lange zu verweilen. Hooks bleiben Andeutungen. Sie suhlt sich im zerbrochenen Alltag, in der Magie des Tohuwabohus. Das ist ihr Weg, die sinkende Konzentration unserer Zeit aufzuzeigen. Das Ergebnis klingt wie das erwachsene Album, das 100 gecs aufnehmen werden, wenn sie in zwanzig Jahren Nimmerland leider verlassen.

Den Beat von "Bye Bye" hatte Raisen zuerst Playboi Carti zugedacht, doch letztlich landete er bei Gordon. Sie packt über diesen eine Art "Ich packe meinen Koffer". "Sleeping pills, sneakers, boots, black dress, white tee, turtleneck", liest sie ungerührt von ihrer Checkliste ab, während hinter ihr in einer Kakophonie bedrohliche 808-Bässe dröhnen, das Feedback einer Fuzz-Gitarre kratzt, Industrial-Synthesizer kreischen. Ohne die Zigaretten für ihren 2023 verstorbenen Bruder Keller einzupacken, verlässt sie das Haus erst gar nicht. Mit einem "Eyelash curler, vibrator, teaser / Bye-bye", geht sie letztlich auf ihre "The Collective"-Reise.

Nah am Abgrund schlüpft die Künstlerin in "I'm A Man" in die Zerrwelt eines Incels. "So what if I like the big truck? / Giddy up, giddy up / Don't call me toxic / Just cause I like your butt!", jammert dieser unangenehm. Unter dem maschinenhaften Getöse eröffnet sie ihrer Figur jedoch eine unterdrückte feminine Seite: "I'd like to shave my beard just so / Manicure my nails / Put on a skirt." Für die Lo-Fi-Dissonanz "The Candy House" ließ sich Gordon von Jennifer Egans gleichnamigen Buch inspirieren.

Selbst in dem bereits bestehenden Soundwirrwarr des Albums findet sie mit "It's Dark Inside" eine weitere Steigerung. Ein in die Düsternis führender, beklemmender Rausch. "Going to the store / Gonna cook it up / Passing all the kids / Tik-Toking around" beobachtet sie in "Psychedelic Orgasm", bevor die entfernte Autotune-Hook im harten Kontrast zu dem Trümmerhaufen des restlichen Tracks steht. "Wish I knew what / ... / They were cookin' up / … / Picking out potatoes / $20 each / ... / L.A. is an art scene".

Längst hat Kim Gordon ihre eigene Sprache abseits ihrer Ex-Band entwickelt, die sie mit "The Collective" noch einmal erweitert. Ein spannendes, rücksichtsloses Album einer auch nach vier Jahrzehnten noch neugierigen Künstlerin. Die Antithese zum Mainstream, welche sich genau aus diesem speist.

Trackliste

  1. 1. Bye Bye
  2. 2. The Candy House
  3. 3. I Don't Miss My Mind
  4. 4. I'm A Man
  5. 5. Trophies
  6. 6. It's Dark Inside
  7. 7. Psychedelic Orgasm
  8. 8. Tree House
  9. 9. Shelf Warmer
  10. 10. The Believers
  11. 11. Dream Dollar

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