laut.de-Kritik
Dreckig und beklemmend: ein ohnmächtiger Wachtraum.
Review von Thomas HaasVier Jahre sind vergangen, seit ein blasser, karger Junge mit unverkennbarer, dröhnender Stimme die Indie-Musiklandschaft nachhaltig beeinflusste. King Krules Debütalbum "6 Feet Beneath The Moon" läutete seinerzeit die Rückkehr des Schmutzigen und zugleich Schüchternen ein – ein desillusioniertes und auch unheimlich innovatives Stück Musik. In den vier Folgejahren nahm Archy Marshall unter seinem bürgerlichen Namen das Multimedia-Projekt "A New Place 2 Drown" zusammen mit seinem Bruder auf. Ein verschrobenes, dystopisches Instrumental-Werk, das nach dem grauen, nebelverhangenen London klang.
Auf seiner neuen, wieder unter dem Alias King Krule erscheinenden Platte "The OOZ" bündelt der Londoner in gewisser Weise seine bisherigen Ansätze und verdichtet sie zu einem dunklen, schwerfälligen und teilweise sogar ohnmächtigen Wachtraum, der über 70 Minuten andauert. "The OOZ", damit meint Archy "den Schweiß, die Nägel, den Schlaf, der aus den Augen kommt, deine tote Haut". All den Schmutz also, mit dem sich die glänzende Popwelt ansonsten nicht befassen will. Genau an dieser Stelle erschafft das Album seinen eigenen, vereinnahmenden Mikrokosmos: meist bittersüß-melancholisch, zuweilen rotzig und punkig.
Im Gegensatz zum eigentlichen Vorgängeralbum "6 Feet Beneath The Moon" hat Marshall die Fäden diesmal komplett selbst in der Hand. Während Produzent Rodaidh McDonald einst federführend beteiligt war, stammen nun sowohl Texte als auch Musik allein von Krule. Das entzieht dem Album im direkten Vergleich zum Erstling zwar etwas an Zugänglichkeit – dem schwerfälligen Gesamtkontext von "The OOZ" steht es aber blendend. Dem typischen Genremix von einst bleibt der Alleskönner in abgespeckterer Form treu: zwischen Lo-Fi-Indierock, Trip-Hop, Darkwave, Punk und Neo-R'n'B verbindet der 23-Jährige unnachahmlich die mannigfaltigsten Einflüsse miteinander.
Im tristen "Czech One", dem ersten Vorboten des Albums, umreißt Archy bereits das grobe Themenspektrum: Es handelt von Trennung, vom Scheitern und vom Verlorensein. Im Song, der ohne Hook, dafür aber mit wohligen Orgelklängen und verträumtem Saxofon auskommt, croont Marshall mit seinem unwiderstehlichen britischen Akzent: "She looked me in the eye/ 'Loverboy, you drown too quick/ You're fading out of sight'". Ähnlich bedrückend verhallen weite Teile des Albums. "A Slide In (New Drugs)" erzeugt mittels Gitarre und hochgepitchten Vocals eine beklemmende Atmosphäre, während Krule über Selbstzweifel spricht: "I'm wasting your own time/ My skin is bleach, my hair is long/ I have no teeth, I've never done/ My gums are raw and bleeding all of time".
Die Songstrukturen bleiben zu diesem Zeitpunkt oft fragmentartig. Meist bestehen die Titel nur aus Strophen und einem Outro, in denen fast immer neue Instrumente einsetzen. So offenbart sich "The OOZ" dem Hörer nur schrittweise und langsam. Es steht seinem Vorgänger in Sachen Eindringlichkeit zwar in Nichts nach, nur ist die Botschaft unzugänglicher und sperriger verpackt. Dem entgegen stehen einige wenige Punk-Nummern, die besonders am Beginn der Platte ihren Platz finden. So erhält man den Eindruck, als entlädt sich die geballte, aufgestaute Wut Marshalls in Songs wie "Dum Surfer" oder im entfesselten "Emergency Blimp".
Nichtsdestotrotz ist "The OOZ" so etwas wie der Soundtrack für einsame, verlorene Nächte. Ein komplexes, immersives Stück Musik, in das es sich allemal einzutauchen lohnt. Zwar tut die überlange Spielzeit gespickt mit Interludes dem ein klein wenig Abbruch. Ein über alle Maße talentierter und großartiger Musiker bleibt Archy Marshall aka King Krule aber auch mit 23 Jahren weiterhin - "The OOZ" ist dafür bester Beweis.
2 Kommentare mit einer Antwort
bin erschrocken als ich die ersten Songs hörte. Rappt der jetzt oder wie?
sowas ähnliches auf jeden Fall
Gutes Ding, aber sollte man nicht hören, wenn man am Straßenverkehr teilnimmt