27. Mai 2020
"Es war eine wilde, bewegte Zeit"
Interview geführt von Markus BrandstetterZum fünfzigsten Jubiläum seiner damaligen Kombo Motherhood nimmt sich Musiklegende und Saxophonist Klaus Doldinger mit seiner Band Passport dem damaligen Material noch einmal an – und bringt seine alten Stücke in die Jetztzeit.
Kaum jemand prägte die deutsche Musiklandschaft in so vielen Hinsichten wie Doldinger. Als Jazzmusiker feierte der heute 84-Jährige internationale Erfolge, wurde von Atlantic Records unter Vertrag genommen, spielte mit Donald Byrd und Don Ellis. Als Komponist schuf er die Filmmusiken von "Das Boot" und "Die Unendliche Geschichte". Auch die Titelmelodie vom "Tatort" ist von ihm. Nebenbei war er als Aufsichtsrat der GEMA auch für die Förderung des Jazz in Deutschland verantwortlich.
Zur Veröffentlichung von "Motherhood" verabredeten wir uns mit Klaus Doldinger zum Telefongespräch. Es ist gerade der Beginn der Corona-Isolation, die auch dafür sorgt, dass Doldingers Albumrelease (und somit auch dieses Interview) etwas nach hinten verschoben wurde.
Herr Doldinger, wie geht es Ihnen in der Isolation?
Die empfinde ich gar nicht als Isolation. Ich bin hier ja auf dem Land draußen, da ist alles fast wie immer. Die Leute gehen einkaufen, die Sonne scheint – alles atmet frei und fühlt sich wohl, muss ich sagen. Es ist nicht soviel Verkehr wie sonst, aber alles ist lebensfroh.
Nutzen Sie die Zeit zum Musik machen?
Ich spiele jeden Tag meine gewisse Zeit – fünfzig bis sechzig Minuten – Saxophon, relativ frei allerdings. Es geht darum, den Ansatz, den man ja braucht, um Töne zu erzeugen, zu erhalten. Ein Klavier habe ich auch hier, ich spiele darauf auch jeden Tag ein wenig. Ich muss sagen, es lebt sich ganz gut hier. Momentan ist es hier extrem ruhig.
Also ziehen Sie einfach ihre ganz reguläre Übungsroutine durch wie auch sonst?
Ja, genau.
Sie feiern dieses Jahr das 50. Jubiläum von Motherhood. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie an die Anfänge der Kombo denken?
Es war eine sehr wilde, bewegte Zeit. Mit den heutigen Zuständen ist das überhaupt nicht vergleichbar. Wenn man in diesem Übergangsalter ist, um die 30 herum, und das kräftig durchlebt – wie das damals gang und gäbe war – dann prägt sich das natürlich tief ein. Wenn man da Vergleiche zieht zu der Zeit, die 20, 30 Jahre danach liegt, ist das schon ein gewaltiger Unterschied.
Wenn Sie die Jazzszene damals und heute vergleichen: Was hat sich verändert?
Es ist eigenartig, dass sich die Jazzszene nicht so umfangreich und wild weiterentwickelt hat, wie ich das erwartet hätte. Es ist heute eine interessante Szene, es gibt viel mehr Musiker als in der damaligen Zeit – auch sehr gute Musiker. Aber sagen wir mal: An die Öffentlichkeit zu treten war damals in gewisser Hinsicht weniger belastend, freier. Wir spielten unsere Konzerte sehr oft auch in Jugendclubs. Wir spielten auch weltweite Tourneen, für das Goethe-Institut oder das Auswärtige Amt, das war sehr schön, mit internationalen Künstlern in Berührung zu treten. Wir haben 1960 unsere erste USA-Tour gemacht, da war ich damals ganz glücklich, in New York im Birdland zu spielen. Wir waren in New Orleans, in Chicago – eine tolle Tour. Danach kamen eine Menge andere Auslands-Tourneen, Südamerika, Afrika, Nahost, Fernost. In den USA habe ich oft gespielt, weil ich damals dort ja unter Vertrag genommen wurde. Das war ein wesentlicher Punkt meiner Laufbahn als Musiker: Plötzlich bei einem amerikanischen Label – Atlantic – zu sein. Das hat mir sehr viel gegeben. Ich hatte das große Glück mit sehr vielen amerikanischen Musikern befreundet zu sein und gemeinsam zu musizieren. Das hat sich aber zum Großteil in Europa abgespielt, zum Beispiel in Paris, zum Beispiel mit Johnny Griffin.
Sie haben ja auch mit Donald Byrd und Don Ellis gearbeitet. Welche Zusammenarbeit ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Die genannten Künstler, das war immer von großer Bedeutung. Was mich auch angesprochen hat, war, nachdem ich erste Orchesterwerke geschrieben hatte, mit meiner Band Passport und Sinfonieorchestern zu spielen. Dieses Klangvolumen, das einen umgibt – und die Ernsthaftigkeit, mit der die Musiker meine Musik interpretiert haben, das hat mich schon sehr bewegt. Wir haben vor einem halben Jahr mit der Nordwestdeutschen Philharmonie eine Tournee gemacht, das war wunderbar. In jungen Jahren war das eine große Überraschung, später wirkte es, als gehörten wir schon zum Repertoire dieser Orchester. Das hat großen Spaß gemacht mit dieser andersartigen Musik gelegentlich Konzerte zu spielen. Man kannte ja natürlich schon Orchesterwerke mit Jazzcharakter – wenn George Gershwin mit Orchester auftrat, klang das auch so – aber in meinen Stücken war natürlich noch mehr Raum für Soli vorhanden und das hatte noch mehr Jazzcharakter als Orchesterwerke, die in diesem Rahmen aufgeführt wurden.
"Es ist ja überall schwierig"
Mit Motherhood haben Sie ein damals neues Kapitel aufgeschlagen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für Fusion, Jazzrock, Rockjazz oder wie man es auch immer nennen möchte.
Ja, das war sicherlich so. Es war am Anfang noch etwas ungewöhnlich, aber die Leute haben es sehr begrüßt – und uns hat es großen Spaß gemacht.
Was war denn Ihr Mindset, als Sie begannen, in diese Richtung zu gehen? Was hat Sie beeinflusst – und wo sollte die Reise hingehen?
Ich hatte eigentlich keine Zukunftsvisionen, muss ich ehrlich zugeben. Ich habe mich jedes Mal über Möglichkeiten, mit meiner Band und anderen Musikern zu musizieren gefreut – aber habe da nichts reininterpretiert. Ich habe mich immer wieder vom Charakter jeder Veranstaltung überraschen lassen, es hängt ja zum Teil vom Temperament von den Leuten ab, mit denen man zu tun hat. Das ist ja immer unterschiedlich — genau wie die Arrangements. Das hat mir großen Spaß gemacht – und dass da Deutschland ein tolles Pflaster ist, das mehr Möglichkeiten als viele andere Ländern bieten kann, hat mir sehr viel Freude bereitet.
Würden Sie sagen, dass man es als Jazzmusiker in Deutschland eher leicht oder eher schwer hat?
Ich glaub, dass kann man nicht beurteilen. Es ist ja überall schwierig. Man muss auch das Glück haben, entdeckt zu werden – und dass die Leute etwas hören, das sie auch hören wollen. Bei mir spielte natürlich in gewissem Sinne auch eine Rolle, dass ich in diesem Rahmen auch Musiken einbringen konnte, die ich in Filmen aufgeführt habe oder die ich für Filme komponiert hatte und die bereits eine breite Popularität hatten. Das war natürlich ein großes Vergnügen, das Musik von "Das Boot" mit Orchester und Band zu präsentieren. Da kann man lange suchen, bis man als Komponist und Musiker solche Gelegenheiten findet.
Bevor wir über die Filmmusik sprechen, möchte ich über "Motherhood" sprechen, für das sie alte Stücke ja neu eingespielt und interpretiert haben. Wie sind Sie an die Sache herangegangen – und wie kam es dazu?
Es war für mich eine Überraschung. Meine Plattenfirma war der Meinung, ich sollte dieses Album noch mal neu aufnehmen. Wir hatten es damals nur als LP rausgebracht – im technologischen Sinn waren die Aufnahmen weit entfernt, von dem was heute gang und gäbe ist. Deswegen war es für mich interessant, die Musik mit den heutigen Möglichkeiten noch einmal neu aufzunehmen und anders zu interpretieren. Ich habe es als Aufgabe angesehen, die dazu führen könnte, dass die Stücke nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Das Problem bei Stücken, die man nur in einer Art aufgenommen hat, ist, dass sie vergessen werden. Ich dachte, es ist besser, wir nehmen das mit moderner Technologie neu auf. Mich hat sehr inspiriert, diese Aufgabe auf mich zu nehmen. Den Musikern hat es auch Spaß gemacht – und es hat neue Möglichkeiten geöffnet. Ich bin sehr dankbar, dass meine Plattenfirma mir diese Möglichkeiten gegeben haben.
Ist Motherhood – die Band – das biographische Bindeglied zu Passport?
Passport in der damaligen Zeit und den neuen Möglichkeiten, die sich damals eröffneten. Technologische Möglichkeiten und dem, das wir uns weltweit bewegen konnten. Vor einem vollen Haus in Rio de Janeiro zu spielen, das hat uns allen sehr viel gegeben.
Für "Turning Around" treten Sie ans Gesangsmikro.
(Lacht) Ich hab ja immer wieder mal gesungen, aber das immer im Verborgenen gehalten. Das ist ein Titel, den ich mal mitgesungen habe – aber das hielt ich nicht für so wichtig. Es hat aber viel Spaß gemacht. In jungen Jahren habe ich auch mal im Chor mitgesungen – aber es war nie so, dass ich mich berufen fühlte, als Gesangsstar nach oben zu wollen. Ich bin immer Saxophonist und Keyboarder gewesen – aber es war eine schöne Dreingabe. Aber mir war immer klar, dass ich nie in erster Linie Sänger sein würde.
Auf dem Stück "Devil Don't Get Me" ist ja ihr alter Freund und ehemaliger Schlagzeuger Udo Lindenberg mit dabei. Ich habe ihn zunächst gar nicht erkannt.
Ich auch nicht! (lacht).
Sie sind ausgebildeter Tonmeister.
Ja, aber das will ich nicht überbewerten. Ich war in Düsseldorf während meiner Zeit am Gymnasium auch auf dem Konservatorium. Manchmal denke ich mir rückblickend schon, gut, dass ich das alles geschafft habe. Es war ja doch immer viel zu tun. Sie wollten einen natürlich voll einspannen – man hatte Klavierstunden, man sang, hatte Harmonielehre, Musikgeschichte. Das war eigentlich neben der höheren Schule ein Musikstudium. Jürg Bauer war einer der Professoren, der ein berühmter Komponist wurde und den ich sehr schätzte. Später traf ich ihn öfters wieder, ich wurde ja in den GEMA-Aufsichtsrat berufen, weil sie jemanden aus der Jazz-Ecke drin haben wollten. Ich war immerhin zwanzig Jahre im Aufsichtsrat der GEMA als Stimmungsmacher in Sachen Jazz, der ja im Gesamtleben etwas unterprivilegiert war. Der damalige Chef hat das dann aber auch sehr beeinflusst, dass sich das nach oben bewegte und ein angemessenes Standing hat. Wir hatten immer lange Diskussionen. Damit bin auf viele andere Leute aus der Musikszene zusammengetroffen. Das war für mich eine sehr ansprechende, aufregende Zeit.
Doldinger über die Musik von "Das Boot"
Sie wurden mit Ihren Filmkompositionen weltberühmt. Haben Sie Lieblingsprojekte?
Ach Gott, es hat mir immer wieder großen Spaß gemacht. Es gibt eine ganze Reihe von Produktionen, die nicht so populär waren wie "Das Boot" oder "Die Unendliche Geschichte", die mir aber auch sehr viel bedeutet haben. Die Möglichkeit, als Komponist und Musiker in der Filmszene wahrgenommen zu werden, hat mir viel bedeutet. Das wurde auch anerkannt – und hat mir große Freude bereitet. Auch, dass Filmmusik anders bewertet wurde. Das zeigte sich auf Filmfestivals, wo man die Chance hatte, mit Orchester aufzutreten. Es war auch eine Freude, viele Leute kennenzulernen, die man nicht erwartet hätte. Aufregende und interessante Persönlichkeiten, mit denen ich ja auch zusammengearbeitet habe.
Dieses grandiose Thema von "Das Boot" – wie ist Ihnen das damals eingefallen?
Ich sitze gerade neben dem Flügel, den ich damals schon hatte. Damals konnte man sich den Film nicht einfach auf CD mit nach Hause nehmen. Die Filme wurden am Schneidetisch vorgeführt – und es hat sich innerlich eingeprägt, dass mir zu den Bildabläufen und Dialogen, zu der Handlung Musik eingefallen ist. Auch zu den Geräuschabläufen, denn das hat bei "Das Boot" eine große Bedeutung. Die Musik war schnell so, dass ich nichts verändern musste. Ich habe ja mit Wolfgang Petersen, den ich sehr schätze, schon mehrmals davor zusammengearbeitet und waren immer sehr schöne Zusammenarbeiten. Aber bei "Das Boot" wurde das nochmal übertroffen. Von der Beweglichkeit, wie das funktionierte – der Größe dieser Produktion. Der Produzent sorgte dafür, dass immer Bewegung drin blieb. Das war zu der damaligen Zeit eine völlig neuartige Erfahrung, auch, dass man als Komponist im Film plötzlich so große Freiheiten hatte. Wobei ich dazu sagen muss, dass von den Schauspielern – ich möchte jetzt keine Namen nennen – nicht alle damit einverstanden waren (lacht). Aber damit muss man auch als Komponist leben können. Wenn der Regisseur sagt "Des mog i gar net", dann muss man da schon Rücksicht drauf nehmen. Aber Produzent, Regisseur und die meisten Schauspieler waren auch zufrieden – nur eben einer nicht, und da kamen schon mal mahnende Stimmen. Was ich auch in Ordnung fand.
Die Geschichte hat Ihnen mit dieser Melodie jedenfalls Recht gegeben.
Ja, natürlich.
Herr Doldinger, Ich danke Ihnen für das Interview.
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