laut.de-Kritik
Nicht nur für Krebskranke und Magersüchtige.
Review von Gerd HauswirthWie kommt es zu einem Album, das Hasch zum einzigen Thema macht? Ganz einfach: Die Bayern sind schuld - bzw. der Bundesgrenzschutz! Nicht, dass sie die CD in Auftrag gegeben hätten, nein sie erwischten den Berliner Knut Knutson bei einer Zugfahrt nahe Augsburg mit einem Beutelchen Gras. Die Frage nach dem Sinn der Kriminalisierung von sieben Mio. friedlichen Cannabiskonsumenten Deutschlands führte Knutson zur musikalischen Traumabewältigung seiner Bayernniederlage.
Knut, der am Berklee College of Music in Boston (USA) studierte und Bassist von Bands wie Theatre of Hate und Peacock Palace war, wirkte auch als Multiinstrumentalist bei And.Ypsilon (Die Fantastischen Vier) und anderen Größen mit. Als Musiker vieler Bands fiel es ihm nicht schwer, Berühmtheiten der Musikszene für seine zündende Idee zu gewinnen: Nach dem Vorbild von "We are the world, we are the children" sollte eine Musiker-Community von THC-Freunden ein gemeinsames Album schaffen.
Beim ersten Song "Marie-Johanna" (... Marie-Johanna e una Koka-Kola ...), der sich an "Carbonara" von Spliff anlehnt, ergab sich beispielsweise die folgende außergewöhnliche Starbesetzung: Herwig Mitteregger (Ex-Spliff), Rod Gonzales (Die Ärzte), P.R. Kantate, Sebastian Krumbiegel (Die Prinzen), Axel Hilgenstöhler (Thumb, The Machine), Flo Dauner (u.a. Fanta 4), Uwe Hoffmann (Produzent der Ärzte und Sportfreunde Stiller) und andere. Der Brandherd war nun nicht mehr zu löschen, weitere Musiker wurden von dem Projekt angesteckt: Cappucino (Jazzkantine), Ralf Goldkind (Lucilectric, Thomas D.), Pat Appleton (De-Phazz), Susi von der Meer (Ex-Spliff), Jan Plewka (Ex-Selig, Zinoba, Tempeau) Spider Stacy (The Pogues), Moses Schneider (Produzent der Beatsteaks, Tocotronic) sowie die Mitglieder der Knutson Live Band ließen diesen Joint nicht an sich vorüber gehen. Getrost kann man in diesem Zusammenhang auch von einer Euro-Platte sprechen, denn abgesehen von der multinationalen Musiker-Beteiligung wurde sie in Berlin, London und Spanien produziert.
Durchgezogen entsteht eine flockige Mischung aus dicht gestopften Musikgenres wie z.B. Pop, Funk, Hip Hop, Reggae, Latin und Punk - oft sogar innerhalb eines Tracks. Größtenteils sind die Songs auf's Chillen ausgelegt. Manche allerdings fallen auch kantiger aus, wie etwa "High Sein", ein Punk-Rock Lied, das sich beim Refrain an Tito and Tarantulas "Titty Twister"-Track anlehnt.
Unüberhörbar ist der Berliner Einfluss bei den Songs "Coffeeshop" oder "Tage, Die Mich Freuen", in denen ein Hintergrundchor zur Reggaemusik singt und damit stark an Seeed erinnert. Hervorhebenswert erscheint "Grasdealer", der Hip Hop mit Westernsound verbindet und im cleveren Text auf den Missstand der scheinheiligen Drogenpolitik hinweist. Bei allen Liedern singt der Kopf Knut Knutson - meist zusammen mit einem/r der oben genannten - abgesehen vom letzten Piece, das rein instrumental mit einer "akustischen Weltraum Gitarre" zum Abheben einlädt.
Zu den etwas platten und konfusen Texten mag man stehen wie man will, alles andere als Shit sind jedenfalls die sphärischen Klangteppiche und Hintergrundklänge, die dazu einladen, mit der Musik süßlich abzudriften. Außerdem sind auf dem vielseitigen Album eher seltene Instrumente wie z.B. Bariton, Banjo, Sitar und Harfe zu hören, die die breite Mischung bereichern.
Auch wenn die Euro-Platte meine persönlichen Geschmacksknospen nicht ganz aufblühen lässt, erfreut die Perfektion der Produktion. Zudem profitieren Hanf-Organisationen, (wie z.B Hanfparade, Hanfverband und VfD) von den Einnahmen, damit sich die Idee der kollektiven Infragestellung des Cannabis-BtMG-Abschnittes nicht in Rauch auflöst.
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