laut.de-Kritik
AC/DC, Neil Young und Donna Summer im Akustik-Format.
Review von Matthias von Viereck"It's the end of the Plattenbesprechung as we know it ...". Die gute alte Tante Spex setzt seit geraumer Zeit auf Häppchenkritik, pardon, Pop Briefing ("Es gibt keine Rezensionen mehr in dieser Zeitschrift"), mag dabei jedoch nicht auf eine gute alte Print-Tradition verzichten: die Platte der Ausgabe. Schon Ende Februar kündete die Spax (wie man das Magazin ob der vielen von Chefschreiber Max Dax verantworteten Neuerungen mittlerweile eigentlich nennen müsste) in eben dieser Rubrik von einer Platte mit dem schönen Titel "Bourgeois With Guitar".
Die erste Soloscheibe des ehemaligen Sängers und Texters der Kolossalen Jugend (Vorläufer respektive Pioniere der "Hamburger Schule"), Kristof Schreuf, sei "überraschend angenehm zu hören und frei von jeglichem Schlaumeiertum", es handele sich um "Trümmermusik mit Steinbruchtexten, ganz und gar wundervoll". Einer der kurzen Pop-Briefe, aus denen sich bei Spex nun die Rezensionen konstituieren, konstatierte gar: das Album klinge "extrem frisch, leicht, rund, neu und ja: elegant". Mit einem Wort: Man konnte es kaum abwarten, das Album, das ja erst zwei Monate nach der März/April-Spex erscheinen sollte, einmal selbst zu hören.
Was also ist das nun, was Schreuf hier betreibt? Appropriation Art, Dekonstruktion, Neuinterpretation von Klassikern, postmodernes Zitate-Spiel, Hybrid-Pop, Cover-Versionen auf Meta-Ebene? Oder einfach: gute Musik? Sicher von allem ein wenig. Keine musikalische Offenbarung, nein, so toll Tobias Levins Produktion Herrn Schreuf "and his guitar" auch in Szene zu setzen weiß. Der Gestus aber, die Art, mit der sich Schreuf Stücke, die größtenteils nicht aus seiner Feder stammen aneignet und sich zu Eigen macht, fasziniert, wenn auch nicht auf CD-Länge.
Ganz großartig aber der Einstieg: The Whos "My Generation" zur Melodie von "Scarborough Fair", ohne dass den Vorlagen dabei ein wie auch immer geartetes Leid angetan würde. Und komplett ohne begleitendes Instrumentarium! AC/DCs "Highway To Hell" rockt auch ohne Wechselstrom, überhaupt spielt die Akustische auf dieser Scheibe eine sehr angenehme Rolle. "I Feel Love" (Donna Summer) ist so betörend wie "Last Night A DJ Saved My Life", im Original von Indeep.
"A Walk In The Park" setzt virtuos auf nicht nur eine Gesangsspur, schließlich versucht sich Schreuf gar an "Keep On Rocking In The Free World". Geradezu frech, wie er hier gegen alle Erwartungen den Refrain entrockt. Zu gern wüsste man, was der olle Neil wohl zu dieser Version sagen würde. Nicht zu vergessen: die wenigen Eigenkompositionen Schreufs, unter denen das Titelstück mit famosen Bläser hervorsticht: "Es ist mir egal, wofür ihr mich haltet (...), aber hoffentlich für dünn". Heidi Klums gebeutelte 'Mädchen' lassen grüßen.
Auch stimmlich geht Schreufs Leistung vollkommen in Ordnung. Levins kongeniale, dabei stets sehr klare Produktion, die Schreufs Gesang gern mal mit subtilen Hintergrundsounds unterlegt, zahlt sich aus. Das Miteinander von englischen Texten und deutschen Einwürfen ("Etwas bricht genau über mir zusammen") bereitet Freude. Selten jedenfalls war das Spiel "Rate-das-Original" kurzweiliger und unprätentiöser als hier. Es geht eben nicht um das nerdige Geheimwissen hornbebrillter Popwissenschaftler, hier kann auch Ottonormalhörer mitsummen. Und sich darüber freuen, wie unironisch das alles zumeist vonstatten geht.
Nur an wenigen Stellen wünscht man sich einen mutigeren Umgang mit dem Ausgangsmaterial. Das Wort Original erscheint einem in diesem Zusammenhang geradezu zeitwidrig. "Was ist überhaupt ein Original?", fragte sich Schreuf denn auch 2008 in einem Beitrag für die Spex. Eine Antwort freilich liefert auch diese Platte nicht. Sie führt aber vor Ohren, dass Musik über Musik sehr wohl rocken, teilweise gar berühren kann.
Dass die "famoseste Nervensäge, die die Hamburger Popmusik hervorgebracht hat" (die taz über Schreuf)keineswegs nervt, fast alle Songs tatsächlich sehr eingängig und apart daher kommen, überrascht. "Anfänger beim Rocken" (so der Titel von Schreufs seit Jahren angekündigtem Roman) jedenfalls ist der 1963 geborene Künstler keineswegs. Dagegen spricht schon die Chuzpe und auch Nonchalance, mit der er sich hier an Klassikern 'vergeht'.
Man kann es sogar als hintersinnigen und sympathischen Kommentar zur aktuellen Diskussion um prominente Diebstahlsfälle (Hegemann, Bushido) lesen: "Keep on stealing in the free world".
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