laut.de-Kritik

Eine neue Generation tritt das Erbe des Dub-Schöpfers an.

Review von

Zwei Jahre nach seinem Tod erscheinen die Aufnahmen, die Produzenten-Legende Lee Perry in seinen letzten zwölf Lebensmonaten anging. Der umtriebige Upsetter wollte - lange schon in der Schweiz lebend - an die aktuell aufstrebenden Artists Jamaikas andocken, und zwar an solche, die Neues und Traditionelles besonders intelligent fusionieren: Xana Romeo, Yaadcore, Addis Pablo, die beiden Reggae-R'n'B-Souler Blvk H3ro (sprich: Black Hero) und Leno Banton, Teenie-Dancehall-Phänomen Wayne J, Evie Pukupoo von den No-Maddz und Rap-Roots-Kombinierer Kabaka Pyramid.

Über die Produktionstechniken hinaus war es Perry ein Anliegen, auch lyrisch jedes Detail zu schleifen. Unter der Regie des Multiinstrumentalisten und Produzenten Bob Riddim liegt nun das Ergebnis, eine EP mitsamt zwei Dub-Versions vor: "Destiny", ein Statement des Modern Roots Reggae.

Perry war der untypische Produzent, der wenn er wollte, auch sang und Percussion spielte. Wobei sein Gesang etwas Erratisches, Suchendes hatte, wie wenn jemand unter der Dusche für sich selbst verstohlen herum probiert und man ihn ertappt, dabei durchaus schön und mit dem Charme der Ironie.

Sowohl Lees Lyrics als auch seine Art zu betonen zeigen, auch jetzt wieder, dass er gerne überspitzte und mit Worten spielte. Etwa wenn er in einer Neuauflage seines Klassikers "Police And Thieves" erzählt, "I found my thrill in a blue-Perry Hill" und auf die "thieves" reimt, "I don't wanna be killed / I have to kill the bees" ("Ich muss die Bienen töten, um am Leben zu bleiben"). Xana Romeo singt anmutig dazu "scaring the wo-o-orld with their guns and ammunition ("Police And Thieves ft. Xana Romeo"). Der originale Track von 1977 hatte maßgeblichen Einfluss auf die Übernahme von Roots- und Dub-Bestandteilen in Londons Punk-Welle, wo The Clash ihn prominent und stilsicher coverten.

"Green island ... Trinity ... Shine - in my eye", spinnt der Meister einen Wortfaden zusammen. "Jah bless, Jah, tell the truth! / Jesus black, Negus black, Marcus black, I am black, I am black / Christus black" holt Lee Perry aus und steigert sich in seiner kuriosen Aufzählung, wird laut, als ihm einfällt, dass er ja selber 'black' sei. Kabaka Pyramid referiert dazu über Melanin und repetiert wie ein Mantra "proud to be black, black, black". Zu hören in "Black ft. Kabaka Pyramid".

Zugegeben, "Destiny" kann kein riesengroßer Wurf werden, der Verstorbene hat bis kurz vor seinem Ableben unentwegt Nachschub veröffentlicht. Anders als bei Princes 'Vault' steigen die Hinterbliebenen hier nicht in eine tiefe, unerschöpflich scheinende Schatzkammer. Was die Platte aber leistet, ist für einen behelfsmäßigen Release dieser Art trotzdem das Maximum: Hier steckt von allen wichtigen Aspekten etwas drin, die den Tüftler Lee 'Scratch' Perry ausmachten.

Es gibt meditatives Nyabinghi-Trommeln mit Saxophon und Sound-Spielereien mit Underwater-Flair ("Space Echo"), ein atmosphärisches Instrumental mit Melodica ("Infinity Dub ft. Addis Pablo"), Wortwitze, eine humorvolle Hörspiel-Collage ("Infinity ft. Yaadcore") und einen Ohrwurm, "Destiny ft. Evie Pukupoo". Ein trockener Rap-Ansatz inklusive High-Speed-Spit unterlegt, wie sehr Perry das Bestreben hatte, wieder die Brücke zur Gegenwart seines Herkunftslands zu schlagen: "Ring Pon My Finger ft. Wayne J, Blvk H3ro + Leno Banton". Von den rigiden Pandemie-Bestimmungen der Eidgenossen genervt, kehrte er Alpen und Sihlsee in der zweiten Corona-Welle den Rücken und erwischte die Karibik gerade noch in dem Augenblick, als die Fallzahlen niedrig waren.

Besonders niedlich an "Destiny" ist die Symbolik, dass Xana an Bord ist, und sie und der Senior am Mikro einander toll ergänzen. Perry hatte sich trotz der produktiven Arbeit an "War In A Babylon" mit Xanas Papa überworfen, obschon Max und Lee (und die Upsetters-Backing Band) zusammen mit mehr Durchhaltevermögen gute Chancen hatten, ein Dream Team von Weltruhm zu werden. Es dauerte 30 Jahre, bis sie sich zwar wieder vertrugen, ihre abermalige Zusammenarbeit aber quasi unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit vollzogen. Für Xana Romeo sind dieses Cover und diese Album-Plattform wichtig. Seit Jahren ist sie ein ungehobener Schatz der Musikindustrie. Tief religiös, Frau, Mama, abseits von Partys und 'jeder-kennt-jeden'-Geklüngel, nimmt ihr Heimatland sie nicht für voll - und andererseits, da sie kein Blatt vor den Mund nimmt, könnte sie manchen dort auch ein bisschen gefährlich werden. Anders bei uns: "Ich fühle mich geehrt, dass meine Familie in Europa behandelt wird, als wären wir Royals", sagte sie mir letztes Jahr.

Bereits ihre EP "Wake Up" mit Jallanzo als Beatmaker zeigte vor Jahren, dass sie das Werk Lee 'Scratch' Perrys offensichtlich liebt und mit zeitgemäßen Texten und neuen Produktionsmethoden würdig in die Zukunft führen kann. "Destiny" vermittelt dank ihres Beitrags und insgesamt mit den verschiedenartigen weiteren Tracks, das angenehme Gefühl, dass das Ganze keine Leichenfledderei ist, sondern recht liebenswert, rund und im Sinne des Erfinders zusammen gebaut wurde. Ein posthumer Perry, aber ein echter!

Trackliste

  1. 1. I Am
  2. 2. Destiny ft. Evie Pukupoo
  3. 3. Black ft. Kabaka Pyramid
  4. 4. Space Echo
  5. 5. Police And Thieves ft. Xana Romeo
  6. 6. Ring Pon My Finger ft. Wayne J, Blvk H3ro + Leno Banton
  7. 7. Infinity ft. Yaadcore
  8. 8. Infinity Dub ft. Addis Pablo
  9. 9. Destiny Dub

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