laut.de-Kritik
Sag' nicht Lebwohl, bevor es vorbei ist.
Review von Markus BrandstetterDer ewige Canadien Errant, der große, alte Field Commander Cohen: Er hat uns das Licht noch einmal so richtig runtergedimmt. Am Ende – und diesem Ende nähern wir uns mit dem Protagonisten irgendwann, wie wir es auch drehen und wenden wollen – stehen weder Erlösung noch Versöhnung, sondern Verdichtung, Zuspitzung, der "awful truth that you can't reveal to the ears of youth, except to say it isn't worth a dime".
Hineni, hebräisch für "Hier bin ich": So lautet Abrahams Antwort in der Genesis, als ihn der Schöpfer ruft. "Hineni, hineni, I'm ready my Lord", singt auch der greise Cohen im Titelstück. Der Shaar Hashomayim Synagogue Chor verleiht all dem noch einmal ein paar Zentner Extra-Schwere. Cohen, der sein Seelenheil in Arzneischränken, Meditationshallen, auf Flaschenböden und in fremden Betten suchte: Ihm wird die Zeit knapp. Das weiß er und das hat Einfluss auf die Arbeitsweise, auf die Disziplin, aber deswegen ist nicht jeder Song gleich zwingend ein Schwanengesang. "You Want It Darker" zeigt einen Cohen, wie er lebendiger nicht sein könnte: weise, poetisch, resignativ, charmant, augenzwinkernd, charismatisch, dunkel. Sag' nicht Lebwohl, bevor es vorbei ist.
Cohen wirkt lakonisch, schwer, sein Gesang elegisch, manchmal grimmig, aber auch zärtlich, heiter. In diesem Sermon besingt er sie alle: seinen Schöpfer, seine Vergangenheit, seine amourösen Kollateralschäden, seine Reisekrankheiten, alte Verbundenheiten. Die Dunkelheit ist mit dem grandiosen Titelstück, diesem Moloch der Nicht-Erlösung, gerade erst exerziert, da schüttelt Cohen mit "Treaty" eine wundervolle Ballade aus dem Ärmel. "I'm so sorry for that ghost I made you be / Only one of us was real and that was me", trägt er die Geister der Vergangenheit mit schwerem Gemüt zu Grabe.
Zum ersten Mal zeichnet sein Sohn Adam Cohen für die Produktion verantwortlich. Er hat seinen Job bravourös gemacht. Lange vergessen sind die blechern-synthetischen Sharon-Robinson-Produktionen von Alben wie "Dear Heather", der all zu süßliche Hintergrundgesang, diese seltsamen Synth-Sounds. Stattdessen gibt es eine dezente, aber effektive Produktion, Orgeln, Pianos, Violinen, rudimentäres Schlagzeug, Gitarre, filigrane Färbungen, Untermalungen.
Cohen Junior liefert seinem Vater die perfekte musikalische Umrahmung, über die dieser stoisch seine formstrenge, wie immer großartige Poesie rezitiert, mit noch rauerer, noch tieferer Stimme als früher. Es passt einfach alles, die fiebrige Tremolo-Gitarre und der sentimentale, müde Dreivierteltakt bei "Leaving The Table" (wieder ein Lied, das man als Abgesang ans Leben deuten wird), die sanfte Orgel bei "If I Didn't Have Your Love", die griechische Bouzouki bei "Traveling Light", die schweren, düsteren Chöre bei "It Seemed The Better Way".
Das alles ist "You Want It Darker": Hydra und Marianne, Leben und Sterben, Hoffnung und Ausweglosigkeit, Liebe und Trennung, Glaube und Verzweiflung. Ein großes Werk.
Ganz am Ende bäumen sich die Streicher zur Reprise auf, ehe uns Cohen noch einmal ein paar Verse mit auf den Weg gibt: "I wish there was a treaty we could sign / It's over now, the water and the wine / We were broken then, but now we're borderline / I wish there was a treaty, I wish there was a treaty / Between your love and mine." Sagenhaft schön.
Dass er bereit sei zu sterben, hat Cohen kürzlich bereits revidiert. Er neige zum Überdramatisieren und plane sowieso, 120 Jahre alt zu werden. Außerdem habe er bereits zwei weitere Alben in Planung, so der 82-Jährige. Wir nehmen ihn beim Wort.
17 Kommentare mit 28 Antworten
chappeau, kollege markus. wir sagen hier oben dazu gern "2 leute, ein gedanke!"
ich sehe manches detail anders. aber wäre ja auch gruselig, wenn die wahrnehmmung deckungsgleich wäre.
Ach herrjeh, hier im Pott der einzige wahre Ort wo man Örtchen Scheißhaus nennt, also beim Namen nennt, sagen wir zu so was "Zwei Doofe ein Gedanke". Aber die ihm Süden oder Norden, atmen ja auch nicht durch die Hose. Alles gut also.
Er wird uns noch einige Zeit erhalten bleiben. Er singt immer noch so samtig-warm wie früher, braucht auf der Bühne keinen Rollator und die Frauen liegen Cohen immer noch zu Füßen. Ich will einfach nicht den Glauben daran verlieren, dass er bis 120 noch durchhält und freu mich wie bei dem Anblick eines gut gereiften irischen Whiskeys auf den ersten Hördurchgang.
du gießt dir whiskey ins ohr? das erklärt manches.
Da klingt der Herr doch gleich viel besser.
wohlsein.
Davor die Lauscher noch mit einer Machete sauberkratzen, dann kann's losgehen.
Bin restlos überzeugt von dem Album. Endlich.
thank you leonard, i am so sad.
thank you leonard, i am so sad, rip
Schönes Abschiedsalbum, als hätte er es gewusst