27. Dezember 2024
"Böhmermann ist eine crazy Figur"
Interview geführt von Florian DükerFrüher Tatort-Darsteller, heute gefragter Featuregast: Levin Liam hat ein erfolgreiches Jahr hinter sich. Sein Debütalbum ist auf Platz 10 der deutschen Charts eingestiegen, Kollaborationen mit Stars wie Trettmann, Ufo361, OG Keemo, Paula Hartmann und Miksu / Macloud schlugen ein.
In Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale gab es den ersten großen Fernsehauftritt als Musiker. Dabei dichtete Levin Liam den Text extra um, um von der Bühne seine Oma zu grüßen, die den Shoutout allerdings nicht so richtig verstanden hat, wie er uns im Interview erzählt. Das war eigentlich auf eine halbe Stunde angesetzt, entwickelte sich dann aber zu einem über eineinhalb Stunden langen Plausch mit einem sehr entspannten Interviewpartner, der nebenbei eine Zigarette nach der anderen wegrauchte.
Neben dem Böhmermann-Auftritt spricht Levin über die Gemeinsamkeiten zwischen der Film- und Musikbranche, den Wechsel von englischen auf deutsche Texte, die Zusammenarbeit mit OG Keemo, Nuscheln als Stilmittel, seine Arbeitsweise und den Wunsch, Celine Dion auf Jerk-/Hoodtrap-Drums zu samplen. Wenige Stunden nach dem Interview ist der Plan dann auch schon in die Tat umgesetzt und der Remix online: ein umtriebiger Künstler mit großen Plänen im Interview.
Du hast dieses Jahr dein Debütalbum veröffentlicht und bist im ZDF bei Jan Böhmermann aufgetreten. Wie hat Oma Gine darauf reagiert?
(lacht) Meine Großeltern verstehen fast gar nichts von dem, was ich in meinen Songs sage, und lassen es sich immer ein bisschen erklären. Aber als sie es dann gecheckt haben, haben sie sich sehr gefreut, und mir wurde berichtet, dass danach noch sehr viel darüber geredet wurde. Meine Großeltern waren auch schon bei dem ein oder anderen Konzert dabei und freuen sich immer total, aber akustisch und inhaltlich verstehen sie erstmal nichts.
Wie war das für dich, mit einem Orchester aufzutreten?
Das war geil, die waren echt cool. Allgemein war ich sehr beeindruckt von dem Orchester und der musikalischen Leitung. Sie haben das Stück wirklich in sehr kurzer Zeit auf diese Besetzung übersetzt. Das war einer der Auftritte, bei dem ich – trotz anderer Größen, die ich schon gespielt hatte – mit am nervösesten vorher war. Einfach wegen dieser Besetzung und ich finde, Böhmermann ist auch einfach eine crazy Figur.
Hattest du von Anfang an eine Vision für das Album, zum Beispiel mit den ganzen wiederkehrenden Instrumenten wie dem Rhodes-Piano und den Streichern, die in verschiedenen Songs immer wieder vorkommen? Oder hat es sich einfach so entwickelt?
Ich hab sonst immer sehr drauf los musiziert und produziert. Diesmal hab ich einen anderen Ansatz gewählt. Ich wusste von Anfang an, das wird jetzt mein Debütalbum und ich arbeite auf ein Gesamtwerk hin. Diese Streicheridee hatte ich sehr früh, und das Rhodes habe ich mir neu geholt, kurz bevor ich mit der Arbeit an dem Album angefangen hatte. Es war auf jeden Fall anders als sonst, alles aus einem Guss, aus einer Zeit und mit einem Grundgedanken, keine Kompromisse einzugehen bei dem Album.
Wann bist du persönlich am kreativsten?
Unterschiedlich. Ich muss sagen, tendenziell hab ich das Gefühl, ich bin nachts am kreativsten, abends, wenn es dunkel wird. Vor allem, wenn mein Kopf frei ist, wenn ich weiß, ich hab nächste Woche keine Shows und morgen keine Termine. Ich hab schon das Gefühl, dieses Einkehren von Ruhe und Zugang finden zu den eigenen Gedanken, das hilft.
Viele kollaborative Songs entstehen ja heutzutage, ohne dass sich die jeweiligen Künstler begegnen. Ein Song, bei dem ich mir das nur schwer vorstellen kann, ist "Bee Gees", dein Feature auf OG Keemos letzten Album. Es klingt auf jeden Fall so, als hättet ihr euch so Pingpong-mäßig gemeinsam im Studio die Ideen hin und her gespielt. War das so oder trügt da der Schein?
Da war ich bei den Jungs in Mannheim. Ich hatte eigentlich eine Session mit Gianni. Keemo war auch da, man kannte sich auch schon ein Tick länger. Wir hatten zwar noch keine Session zusammen, aber es gab schon immer die Idee. Dann musste Gianni irgendwann los und ich hatte dieses Sample, das mir jemand zugeschickt hatte. Das hab ich dann Franky gezeigt und dann haben wir noch bis 5 bis 6 Uhr nachts daran gearbeitet, so wie du sagst eigentlich. Das war so ein freier Fluss.
Kollaborationen funktionieren ja generell ziemlich gut bei dir, du scheinst ein gefragter Featuregast zu sein. Warum gibt es auf deinem Album nur ein Feature?
Bei dem Album war mir von Anfang an klar, dass das keine Mixtape-Feature-Sampler-Parade werden sollte. Es hat für mich außerdem Sinn ergeben, das zu machen, was man nicht unbedingt von einem Levin Liam-Debütalbum erwartet hätte.
Was mir an deinen Texten aufgefallen ist, auch schon an den älteren, ist, dass du auch Themen wie mentale Gesundheit oder die Suche nach einem Therapeuten anschneidest. Hat dich das Überwindung gekostet?
Ich würde nicht sagen Überwindung, weil dieses ein bisschen Durchlässige und emotional Offenere bei mir schon zu Anfang rausgestochen ist. Ich hatte nie den Anspruch, vorzumachen, dass ich ein perfekt funktionierender, obercooler Typ bin. Ich hab schon ewig einen Therapieplatz, gesucht und das war ein übertriebener Struggle. Das weiß ja jeder, der das versucht. Kassentherapeuten haben alle keine Plätze und dieses Kostenübernahmeverfahren ist ein ziemliches Gef****. Das kam einfach so raus. Mittlerweile ist das aber auch eine gern gesehene Abwechslung, wenn man das nicht kaschiert.
Noch eine letzte Frage zu "Gesicht Verlieren": Du sprichst auf dem Album von Trittbrettfahrern, die deinen Sound kopieren. Du nennst sie nicht, aber mich würde trotzdem interessieren, wen du meinst.
(Lacht) Namedropping kriegst du nicht. Es ist eher so allgemein diese Art, zu flowen, zu schreiben, eine Soundrichtung. Vielleicht auch die Art, sein Projekt zu kommunizieren. Wenn man sich damit auseinandersetzt, checkt man glaub ich schon, was gemeint ist. Allgemein herrscht so eine Umbruchstimmung in der deutschen Musiklandschaft. Daraus ergeben sich ein paar Waves, und ich glaube, auf eine davon hab ich einen Einfluss gehabt.
"Die Musikindustrie ist voller Wichtigtuer und Blender."
Mit Blick in die Vergangenheit: Du hast ja Schauspiel studiert und in der Filmbranche gearbeitet. Glaubst du, das hat dir Türen geöffnet oder einen bestimmten Einfluss gehabt?
Türen geöffnet glaub ich nicht. Ich glaube, dafür sind die Welten Theater und populäre Musik auch zu weit voneinander entfernt. Als ich anfangen hab, Musik zu droppen, hatte ich schon ein paar Sachen gedreht, die auch ein paar Leute gesehen hatten. Aber es wurde nie so groß, dass ich als Levin Liam bekannt war. Dieses Schauspiel-Klischee war vielleicht sogar eher ein Hindernis.
Wobei es mir aber geholfen hat: Ich hatte in der Schauspielschule viele Möglichkeiten, mich kreativ auszuleben, diesen kreativen Muskel zu trainieren und hab dort angefangen, ein bisschen zu singen. Wir hatten da Gesangsunterricht und ich hatte vorher nie gedacht, dass da ein Talent liegt. So hab ich dann den Impuls bekommen, auch mal auf meinen eigenen Produktionen zu singen.
Ist die Schauspielindustrie die perfekte Vorbereitung auf die Musikindustrie, weil dort so viele Fakes und Schauspieler rumlaufen?
(Lacht) Ja, würd ich schon sagen. Beide Branchen haben auf ihre eigene Weise voll den Schaden. Die Musikindustrie, wie man es aus den Klischees kennt, ist voller Wichtigtuer und Blender. Es geht immer viel um Kohle, Gewinnmaximierung und Multiplikatoren. In der Theaterbubble nehmen alle auch das, was sie machen, so krass wichtig – was ja auch gut ist, wenn man etwas macht. Aber das ist mir am Ende schon auf die Nerven gegangen, wie wichtig es alle nehmen, obwohl es ja am Rande der Gesellschaft stattfindet. Diese beiden Welten haben auf jeden Fall ihre Abgründe, die man des Öfteren zu spüren bekommt.
Siehst du dich in der Zukunft trotzdem noch als Schauspieler?
Beim Theater, was ich durch die Schauspielschule angegriffen hab, ist es glaub ich schwer, wieder zu einzusteigen, wenn man länger inaktiv war und nicht angefangen hat, an irgendeinem Haus zu spielen. Ich seh die Position, in der ich bin, aber als Luxus. Wenn ein Filmprojekt kommen sollte, das ich cool finde und das einen vielversprechenden Eindruck macht, hätte ich da total Bock drauf. Ich bin jetzt halt nur nicht mehr finanziell darauf angewiesen, jeden Scheiß zu drehen, der mir angeboten wird, um davon leben zu können.
Ich könnte mir auch gut vorstellen, an der Produktion oder Konzeption von Kurzfilmen, Filmen, Musikfilmen zu arbeiten. Das ist auf jeden Fall ein Reiz oder eine Leidenschaft, die in mir steckt. Etwas Eigenes zu schaffen, ist das besonderste Gefühl an kreativer Arbeit, das ich mitnehmen durfte.
Hast du Vorbilder in der Filmbranche?
Ich hatte da verschiedene Phasen. Früher fand ich Jake Gyllenhall richtig geil. Auf der Schauspielschule haben wir mit einem Schauspieler aus Berlin namens Daniel Hoevels zusammengearbeitet. Das ist ein Theaterschauspieler, dem ich sehr gerne beim Spielen zugucke. Ich war, seit ich fertigstudiert hab, zwar nicht mehr oft im Theater. Zur Zeit meines Studiums und auch davor war ich aber gern am Thalia, hab mir die Sachen schon gerne angeguckt. Das fand ich schon immer sehr geil. Und bei Filmen und Serien, die ich geil finde, gibt es immer etwas, was mich inspiriert.
Ich hab zuletzt die Sopranos geguckt und hab das Gefühl, ich kann jetzt erstmal gar nichts anderes mehr gucken.
Das ist diese Mafiaserie, ne? So ein bisschen auf Pate-Style?
Ja, genau. Aber eigentlich auch eine Familienserie und so ein bisschen eine Sitcom. Kann ich nur empfehlen, und unbedingt auf Englisch gucken.
Ja, das sowieso.
Apropos Englisch, da haben wir jetzt eine passende Überleitung: Du hast ja ursprünglich angefangen, auf Englisch zu singen. Warum hast du dich entschieden, auf Deutsch zu wechseln?
Während ich Englisch getextet hab, hab ich schon ein, zwei deutsche Sachen versucht. Immer, wenn ich deutsche Musik gehört hab oder immer noch höre, bringt mich das zu schnell in Alltägliches, alltägliche Sprache, Gedanken. Ich hab dann aber irgendwann übers Weiterprobieren und Weitermachen geschafft, meinen Weg zu finden, sodass es mir selber auch gefällt und ich es vom Sound her cool finde.
In deutschen Texten haben sich dann viel mehr Möglichkeiten aufgetan, viel detaillierter und individueller zu beschreiben, was vor sich geht. Der Grund, warum ich nicht auf Deutsch geschrieben hab, war, weil ich es in den meisten Fällen nicht gern höre. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum man es schlecht oder schlechter versteht, was ich sage.
Es ist ja schon fast ein Meme geworden, deine manchmal schwer verständliche Aussprache. Ist das eine bewusste Entscheidung?
Wenn ich selber privat Musik konsumiere, steht das Gefühl, das beim Hören entsteht, an erster Stelle. Der Sound, die Delivery, die Produktion. Es ist natürlich wichtig, dass ein schlechter oder ein corny Text einen nicht rausholt, bzw. davon abhält, die Musik zu genießen.
Es schon etwas, das natürlich kommt, wenn ich aufnehme. Manchmal merke ich auch, während ich aufnehme, das war jetzt zu undeutlich und nehme nochmal auf. In der Wirkung bzw. im Ergebnis ist es etwas Bewusstes, Gewolltes.
Wie ein Stilmittel.
Ja, genau. In der Rezeption von deutscher Musik wird vorrangig auf die Texte geschaut und nach Mustern gesucht. Deutsche Texte, die ich geil finde, da geht es für mich nicht darum, dass es in der dritten Verständnisebene ein superschlaues Bild oder eine superschlaue Metapher ergibt, sondern um eine Stimmung, die erzeugt wird. Das kann auch total platt und banal sein.
Was ich schon interessant finde, sind die Motive, die in Texten auftauchen. Da ist mir bei dir, vor allem wenn man in ältere Texte schaut, das Thema Geduld aufgefallen. Ist der 'echte' Levin auch ein ungeduldiger Mensch, und wie ungeduldig warst du auf dem Weg zu deinem Durchbruch als Musiker?
Ich würde mich schon als ungeduldigen Menschen bezeichnen. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, geht es mir auf den Sack, wenn es zu lange dauert, bis es zur Realität wird. Dieses Künstler-ADHS-typische Impulsive hab ich schon in mir.
Zu diesem Durchbruch bzw. Aufstiegsthema: Ich bin schon von Anfang an von meiner Musik bzw. dem was ich mache sehr überzeugt gewesen, und hatte schon immer das Gefühl, dass es auf jeden Fall wohin gehen könnte. Als ich angefangen hab, deutsche Musik zu releasen, hat es sich angekündigt, dass es wohin gehen könnte. Die Rückmeldungen von Leuten, die in der Szene großflächiger stattfinden, waren von Anfang an sehr bestärkend, wegweisend.
Um darauf zurückzukommen: Dieses Treibende die letzten Jahre war ein bisschen wie ein Arcade-Spiel: Wie funktioniert dieser Markt? Wie schaffe ich es, das, was ich mache, dort zu platzieren? Es gab nie so richtig Zeit, um innezuhalten und zu merken: Okay, krass, hier passiert ja jetzt schon ganz schön was. Immer, wenn das kam, hat sich schon das Nächste angekündigt und man war schon wieder mit dem Kopf beim nächsten Projekt. Es ist ein treibender, intensiver Weg gewesen.
Um es zusammenzufassen: Du warst von einem Erfolg nicht soo überrascht?
Ne, ne. Es gab zwar schon diese Momente, in denen man gemerkt hat: Heftig, schon krass, was grade passiert. Aber es hat mich nicht überrascht.
Vielleicht auch weil du schon in einer anderen Branche erfolgreich warst? Oder hat das damit nichts zu tun?
Doch, das kann auch sein. Ich hab das für mich als Weg gefunden, mit dieser Unsicherheit oder dieser Unbeständigkeit von so einem kreativen Lebensweg umzugehen. Zum Beispiel, als ich an den Schauspielschulen vorgespielt hab, war das ein ganz schöner Hustle, zu Castings zu gehen und Absagen zu bekommen. Beim Spielen gab es nie diesen Faktor, der mich irgendwo platziert hat, sondern es war immer wieder ein neuer Versuch und man musste gucken, was dabei herauskommt. So hab ich als Weg für mich gefunden, einfach davon auszugehen, dass das was ich mache, den Outcome verdient, den ich mir dafür wünsche.
Bei der englischen Musik kam nie dieser Punkt, dass es alle mitbekommen haben. Es kam nie dieser Knallmoment. Ich hab versucht, mir in den Kopf zu setzen: Warte mal ein, zwei Monate ab, dann ist alles schon da, wo es sein soll. Im Endeffekt hat es dann noch etwas länger gedauert.
Aber von der englischsprachigen Musik warst du ähnlich stark überzeugt?
Ja, aber als ich diese englischsprachige Musik gemacht hab, kannte ich wirklich niemanden aus der Musikindustrie, von einem Label, oder andere Musikerinnen oder Musiker, mit denen ich mich darüber hätte austauschen können. Da hab ich den Erfolg in der Musik noch viel abstrakter wahrgenommen, viel mehr wie ein Lotterieticket: Ah okay, dann kommt es wirklich darauf an, dass man one in a million ist, der rausgepickt wird. Dieser Gedanke, ich hätte das schon verdient, dass Leute das hören, den gab es schon immer.
"Ich hatte auch schon immer den Traum, mal ein Konzert in der Elbphilharmonie zu machen."
Als du angefangen hast, Musik zu machen, was waren deine musikalischen Vorbilder? Ich habe bei dir von Chopin und Kanye gelesen, in "btw" nennst du zum Beispiel Sexion D'Assaut. Wer hat dich inspiriert und wer inspiriert dich heute, oder sind es so viele, dass man es gar nicht aufzählen kann?
Ja, es ist schon ist schon mega viel und ich vergesse auch immer viel bei diesen Aufzählungen. In der Zeit, in der ich nur produziert und viel Klavier gespielt hab, hat es sich aufgeteilt in viel Ami-Hip Hop – Kanye hast du ja schon genannt. Er ist von Produktion, Innovationen und dem gesamten Paket her für fast alle, die irgendwie Mucke machen, immer eine sehr inspirierende, wegweisende Figur gewesen.
Ich habe viel Young Thug gehört. Ich habe sehr früh auch immer sehr viel Meek Mill gehört. Grundsätzlich bei Ami-Hip Hop hab ich immer Leute gefeiert, die einfach einen bestimmten Nerv kitzeln, die geflowt haben, das fand ich immer geil, geflowt über treibende Beats und sowas.
Und ich hab auch viel instrumentale Musik gehört, auch teilweise klassische Sachen. Vor allem, wenn ich selber Klavier gespielt hab und mir selber am Klavier Sachen überlegt hab. Eher so Romantik, Neoklassik, Schubert, Maler.
Hattest du Klavierunterricht oder hast du es dir selber beigebracht?
Ne, ich hatte keinen Klavierunterricht. Es gab so ein Buch von Chilly Gonzales, das hat mir am Anfang sehr geholfen und ich fand auch seine eigenen Werke cool. Für Leute, die keinen Bock auf diese krassen Konventionen im Unterricht haben oder die einfach die Basics lernen wollen, kann das hilfreich sein.
Ich hab aber Geigenunterricht gehabt als Kind. Das hatte ich mir irgendwann in den Kopf gesetzt und es auch echt lange gemacht, so zehn Jahre ungefähr. Aber ich wurde nie so richtig gut – bei Geige dauert es echt lange, bis es sich geil anhört. Als ich mit Geige aufgehört hab, hab ich dann mit Klavier angefangen, aber ohne Unterricht. Das hat mir viel mehr Spaß gemacht und es kamen viel schneller schöne Sachen raus. Fürs Produzieren ist Klavier auch das viel zuträglichere Instrument. Wenn man ganz gut Klavier spielen kann, kann man eigentlich alles umsetzen und hat es auf Produktionsebene viel leichter.
Du hast angefangen mit den "Leaks" und einfach drauf los gesampled, teilweise ohne es zu clearen: Akon, Lana Del Rey, Norah Jones, all sowas. Als du das dann nicht mehr machen konntest, hat dich das ein Stück weit in der künstlerischen Freiheit eingeschränkt, als dann mehr Augen auf deine Musik geschaut hatten?
Einerseits ist das Risiko, genau wie du sagst, je mehr Leute zuhören, größer, dass mal ein A&R die Frage ins Meeting nimmt, ob das schon gecleared ist. In der Zeit, in der ich das gemacht hab, war dieses Hook-Sampling mit uninspirierten Plastikbeats und Drill-Rapparts sehr beliebt, und ich hatte das Gefühl, man muss es schon auf eine sehr besondere und neue Art und Weise machen, damit es nicht in dieselbe Kategorie rutscht.
Für mich hat es gut in die Ära gepasst, in der ich das gemacht hab, weil es voll dieses DYI-Ding war. Wir haben die Sachen nur auf Kassette und auf Bandcamp rausgebracht. Es hat sich alles gut eingefügt und dann war es auch okay, dass man danach wieder was anderes gemacht hab. Aber ich hab auch total Bock wieder auf so einen Mixtape-artigen Stil beim Arbeiten. Was jetzt grade zum Beispiel voll am boomen ist, ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast, sind diese Trap- oder Jerk-Remixes von deutschen Produktionen, von Symba oder Souly. Sampling ist grundsätzlich nie fertiggedacht und man kann immer neue Wege finden.
Aus Produzentensicht macht das auch einfach mega Bock. Was ich grade überlegt habe: ich wollte schon seit ein paar Tagen diesen Titanic-Soundtrack auf so einen Jerk-Hoodtrap-Beat samplen.
Geil. Du meinst "My Heart Will Go On"?
Ich weiß nicht, ist das der? (summt "My Heart Will Go On")
Ja, genau. Ist wahrscheinlich auch eine Kostenfrage, wenn man das offiziell rausbringen will.
Ich denk immer noch, bei so bestimmen Werken, bei denen klar ist, die Urheber sind jetzt nicht am Existenzminimum, ist es aus meiner Sicht auch okay, wenn man einfach mal was raushaut. Und im Zweifel kann es im Nachhinein noch zu der Situation kommen, dass nachträglich Urheberrecht beansprucht wird. Wenn es so fett würde, dass Celine Dion dann irgendwie Stress macht, können die Leute den Song eh hören und man schaut dann, wie man damit umgeht. Im schlimmsten Fall ist es dann wie bei diesem Sting-Song, dass man dann alle Einnahmen abdrückt. Ist dann auch okay.
Häufig sind gerade die Songs, die gecleared wurden, diejenigen, die schlecht werden, weil sie so berechnend produziert werden und sich die Artists denken, wir haben hier jetzt so viel Geld reingesteckt, das muss jetzt ein Erfolg werden. Da würde ich mir dann als Urheber denken, hätte ich das mal nicht gemacht.
Es gibt da einen Riesenmarkt, dass die Verlage und Labels teilweise die ganzen Copyrights von gesamten Katalogen von irgendwelchen Ami-Artists haben. Ich hab da mal eine Arte-Tracks Doku geguckt. Die machen so Songwriting-Camps und gehen mit den Katalogen von Künstler XY in Sessions, wo sie dann deren Songs zu potenziellen Radiohits verwerten. Das geht richtig in kranke Abgründe.
Du hast ja keine allzu große Online-Präsenz, gibst eher wenige Interviews und trittst selten in Formaten und Shows auf. Hast du vor, das in Zukunft zu ändern?
Ich bin da ein bisschen in einem Zwiespalt. Ich hab schon Bock auf coole Formate. Gleichzeitig versuche ich mich immer ein bisschen in die KonsumentInnen-Sicht zu versetzen. Wenn ich das zehnte Drei-Stunden-Interview mit einem Anfang 20-jährigen Künstler sehe, der dann über seine normale Lebenslaufbahn im Detail spricht, dann nervt mich das teilweise eher. Ich hab schon Bock, wenn es zum Beispiel um ein Album geht, um Mucke oder um ein Projekt, wenn man mal wirklich zu einem Thema was zu sagen hat, kann ich mir das durchaus vorstellen.
Aber ich möchte so wenig wie möglich aus Mittel zum Zweck machen, was dann versandet in einem Friedhof aus tausend unnötigen Beitragen zu Themen, wo andere Leute eigentlich viel eher etwas Sinnvolles beizusteuern hätten. Daher kommt das glaube ich, dass ich nicht den Impuls hab, in so einen Laber-Podcast zu gehen. Und die Möglichkeit, sich mitzuteilen, hat man ja auch in der Musik.
Wie geht es jetzt weiter bei dir? Ist der Fokus jetzt erstmal auf der Tour?
Ja, schon. So wie ich mich kenne, wird es nicht allzu lange dauern, bis ich an neuer Musik arbeite. Das kommt automatisch. Aber mein gedanklicher und kreativer Fokus ist erstmal auf der Tour, weil ich möchte, dass jetzt live etwas passiert, was der Arbeit und der Leidenschaft, die ich dem Album gewidmet hab, gerecht wird. Die ganzen geilen Möglichkeiten, die man hat, wenn man auf so eine Größe live spielen kann, darauf liegt der Hauptfokus.
Hast du schon konkrete Pläne?
Ich hatte im Festivalsommer mit einem Gitarristen, Bassisten und Drummer gespielt. Auf der Tour wird ich das auf jeden Fall noch auf ein paar Positionen erweitern. Es ist noch nicht zu 100 Prozent spruchreif, aber mein Ideal ist, auch Streicherinnen auf der Tour dabei zu haben. Ich will, dass live möglichst etwas passiert, das der Musik noch einen Layer draufgibt, anstatt es nur zu übersetzen. Dazu haben wir jetzt die perfekten Voraussetzungen. Wir spielen richtig geile Größen, meine Traumgröße. Deswegen bin ich da guter Dinge.
Ich hatte auch schon immer den Traum, mal ein Konzert in der Elbphilharmonie zu machen. Jeremias hatten vor ihrem Elphi-Auftritt mal ein Konzert mit dem WDR Funkhausorchester so eine Performance gemacht, da gab es einen Song, "Mit Mir", bei dem ich gedacht hab, sowas kannst du durch so eine fette Streicherbesetzung erzeugen. Hab ich auf jeden Fall mies Bock drauf.
Gibt es Musiker, mit denen du unbedingt mal zusammenarbeiten würdest?
So komplett unrealistisch: Nach dem letzten Mk.gee-Album dachte ich so, das wäre schon überkrass. Aber da bin ich mir schon der Umstände bewusst. Ich glaub, der macht gerade ein Album mit Justin Bieber, also er arbeitet auf jeden Fall an Mucke mit dem. Aber so national: Ich hätte Bock auf eine Schmyt-Collab. Ich glaube, das würde Spaß machen, da hätte ich Bock drauf.
2 Kommentare mit 4 Antworten
"Meine Großeltern waren auch schon bei dem ein oder anderen Konzert dabei und freuen sich immer total, aber akustisch und inhaltlich verstehen sie erstmal nichts."
Zunächst mal: Wenn man akustisch nichts versteht, kann man auch inhaltlich nichts verstehen bzw. sich kein Urteil darüber bilden, ob jemand inhaltlich nichts versteht.
Darüber hinaus glaube ich viel mehr, dass deine Großeltern nur so tun, dass sie inhaltlich nichts verstehen, um dich pädagogisch zu fördern. Jeder guter (Groß-)Elternteil macht das so. Dieses "Geheimnis" läuft ungefähr zeitlich-parallel mit der Weihnachtsmann-Conspiracy aus. Und Böhmermann ist keine crazy Figur, sondern einfach nur ein konservativer Clown, der zwar schon recht lustig ist, aber sämtliche Gags schnell redend trotz Stock im Arsch auswendig lernt oder vom Teledings abliest und vieles davon wahrscheinlich noch nicht mal selbst schreibt. Weiß nicht, was daran crazy sein soll. Böhmermann würde wahrscheinlich selbst sagen, dass alle anderen eher crazy sind und nicht er selbst und damit hätte er recht.
... kurz: Böhmermann ist demnach überhaupt keine Figur, sondern einfach nur er selbst, der halt lacht und schnell redet und quatsch vorliest. Hoffe, das ist jetzt klar geworden.
Und falls das eine subtile Projektion sein sollte: Menschen als (literarische) Figuren zu bezeichnen ist ebenfalls konservativ und null crazy.
öffentliche figuren mit privatpersonen verwechseln ist wiederum nicht konservativ, sondern eher einfältig
Sehe ich absolut genau so.
Muss unweigerlich an das "She's So Crazzzzzzzy Love Her" Meme denken.