Porträt

laut.de-Biographie

Linda Thompson

Linda Thompson kann kaum noch sprechen. Linda Thompson kann kaum noch singen. Die am 23. August 1947 als Linda Pettifer in London geborene Folk-Sängerin verliert ihre Stimme über die Jahre an eine Spasmodische Dysphonie. Einige Jahre noch hilft Botox. Zum letzten Mal hört man sie 2014 auf dem Thompsons-Album "Family". Danach verstummt sie.

Zwischenzeugnis 2024: Die besten Songs des Halbjahres Aktuelle News
Zwischenzeugnis 2024 Die besten Songs des Halbjahres
Schwedischer Melo-Death, ein Drum'n'Bass-Revival, eine K-Pop-Supernova und die Mutter aller Disstracks: Hui, es war schon einiges geboten!

Ein Zustand, der sie aber keinesfalls zum Schweigen bringt. Weiterhin schreibt sie Lieder. Zehn Jahre später veröffentlicht sie das Album "Proxy Music", dessen Titel und Cover eine Anspielung auf das erste Roxy Music-Album darstellt. Den Gesang übernehmen für sie Freunde und Familie. Zu ihnen zählen Rufus Wainwright, John Grant, The Proclaimers und Thompsons Ex-Mann Richard.

Den ehemaligen Fairport Convention-Gitarristen und Sänger lernt sie 1969 kennen. Zuvor nahm sie unter dem Namen Linda Peters zwei gefloppte Singles auf. Die beiden beginnen mehr und mehr miteinander zu arbeiten. 1972 veröffentlicht sie mit der Band The Bunch, zu denen Richard, Sandy Denny, Richard und anderen Künster:innen aus dem Fairport Convention-Umfeld ein Cover-Album auf. Im selben Jahr heiraten Linda und Richard, übernehmen den Hintergrundgesang auf Dennys Solo-Debüt "Sandy" und gründen mit Simon Nicol die Band Hokey Pokey.

1974 erscheint mit "I Want To See The Bright Lights Tonight" das erste von sechs Richard & Linda Thompson-Alben. Damals ein Flop, gilt es heute als Klassiker des Folk-Rocks. Ihr Mann wendet sich zunehmend dem Sufismus zu, einer Form des Islams. Gemeinsam ziehen sie in eine eine Kommune, in der Frauen in der Küche zu bleiben haben, nicht einkaufen gehen und einem Mann nicht in die Augen schauen durften. Während der Anführer ihrem Mann verbietet Musik zu machen, muss sie stundenlang zur dessen Unterhaltung singen. "Das hat mir viel beigebracht", erzählt die Sängerin 1996 in einem Interviw mit Cdshakedown. "Vor allem, mich von Sekten fernzuhalten."

Als die beiden die Kommune verlassen und wieder beginnen Musik zu veröffentlichen, liegt ihre Ehe in Trümmern. Die Zustandsbeschreibung ihrer Beziehung zieht sich 1982 quer durch ihr kommerziell erfolgreichstes Album "Shoot Out All Lights". Bereits die Namen von Lieder wie "Did She Jump Or Was She Pushed?", "Walking On A Wire" und "Don't Renege On Our Love" lassen das erahnen. Auf der darauf folgenden Tour ernährt sich Linda Thompson hauptsächlich von Wodka und Antidepressiva. Sie greift ihren Mann auf der Bühne an, stiehlt ein Auto, verwüstet Umkleidekabinen. "Die Sex Pistols waren hier und du bist schlimmer!", sagt ein Veranstalter darauf zu ihr. Letztendlich endet die Reise für sie auf dem Bürgersteig vor dem Whiskey a Go-Go in West Hollywood, im Koma liegend.

Nach der Tour gehen Linda und Richard vorerst getrennte Wege. Ihre beiden Kinder Kamila Thompson und Teddy Thompson wenden sich auch später dem Folk zu.

Linda Thompson - Proxy Music Aktuelles Album
Linda Thompson Proxy Music
Lass' alle reden und andere singen!

Nach Tour und Trennung verliert Linda Thompson zum ersten Mal ihre Stimme. Zwei Jahre geht gar nichts, bevor 1985 ihr Solo-Debüt "One Clear Moment" erscheint. Der Sound grenzt sich deutlich vom Folk der Vergangenheit ab. Stattdessen verbindet sie Folk mit einer Pop-Produktion der damaligen Zeit zu einem weitaus positiver in die Zukunft blickendes Ergebnis. "You can't stop the girl", singt sie im Opener, doch das Leben meint es anders. Wieder einmal kommt ihr ihre Krankheit in den Weg und diesmal fällt die Pause deutlich länger aus.

Was viele eitle Menschen als ein schnödes Mittel gegen Falten ansehen, wird für Thompson ein Ausweg. Botox erlöst ihre Stimme. 2002 erscheint "Fashionably Late". Im Opener "Dear Mary" findet mit ihr, Teddy, Kamila und ihrem Ex-Mann Richard eine Familienzusammenführung statt. Schon lange vertragen sich beide wieder. 2007 folgt das Album "Versatile Heart". Die meisten ihrer Songs schreibt sie mittlerweile gemeinsam mit ihrem Sohn. 2008 singt sie auf dem Primal Scream-Stück "Over & Over" ("Beautiful Future").

Von Beginn der Behandlung an an steht aber fest, dass Botox nur eine vorübergehende Hilfe und keine Heilung bringt. 2013 erscheint mit "Won't Be Long Now" ihr letzter Longplayer, auf dem sie selbst singt. Ihre Stimme zeigt sich bereits deutlich gezeichnet. Das Lied "Paddy's Lamentation" schafft es in den Martin Scorsese-Film "Gangs Of New York".

"Wenn ich meine Stimme nicht verloren hätte, hätte ich nie angefangen zu schreiben", erzählt Linda Thompson 2024 der New York Times. "Wenn man so etwas hat, sagt man sich: 'Na ja, es ist wenigstens kein Krebs', genauso wie Menschen mit Krebs vermutlich sagen: 'Na ja, zumindest bin ich nicht tot.'"

News

Alben

Surftipps