laut.de-Kritik
Der Dinosaur Jr.-Bassist hat die Hose gestrichen voll.
Review von Thomas KlausErinnert sich noch jemand an den kongenialen Soundtrack zu Larry Clarks Teenager-Drama "Kids"? 1995 firmierte Lou Barlow mit seinem Spezi John Davis noch unter dem Namen Folk Implosion und steuerte den Löwenanteil der enervierend flirrenden Songs bei, nach der die Handlung des Streifens geradezu schrie: Pubertierende Skater, die im New York der Neunziger die Bekanntschaft mit Sex, Dope, Fusel und Aids machen und dabei so richtig auf- und durchdrehen.
Sobald der Opener mit peitschendem Beat losrumpelt, hilft der Wieder-Vollzeit-Bassist von Dinosaur Jr. der angestaubten Erinnerung auf die Sprünge. Ähnlich den damaligen Film-Protagonisten steht auch Barlow heute des öfteren kurz davor, die Fassung zu verlieren, denn er hat die Hose gestrichen voll. Der Plastik-Moloch Los Angeles jagt dem inzwischen stolzen Familienvater eine "Scheißangst" ein – und das nicht erst, seit sich die Gangs in Hörweite seines Eigenheims gegenseitig über den Haufen schießen.
Warum zum Geier sieht Lou dann nicht einfach zu, dass er Land gewinnt? Viel besser: Barlow verarbeitet die urbane Paranoia in seinem Hobbykeller zu einem weiteren Soloalbum - und wir haben auch was davon. War der Vorgänger laut Barlow "ein Konglomerat von Songs, die zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Studios" entstanden sind, wollte er mit "Goodnight Unkown" ein "Album aus einem Guss machen", das einerseits dichter und aggressiver klingen, anderseits aber auch seinem aktuellen Faible für Animal Collective, The Knife und Panda Bear gerecht werden sollte.
Das Rezept dazu verrät er uns sogleich im sehenswerten Dokufilm über seine eher unorthodoxe Arbeitsweise (siehe Surftipps): Um Punkt 9.15 Uhr (morgens!) betritt El Maestro (auch mal ganz schlicht in Unterbuxen) sein Heimstudio namens "Earknife" und verschanzt sich bis abends um fünf hinter einem Kuriositätenkabinett aus heruntergewirtschaftetem Equipment. Über die Standard-Grundierung aus Akustikgitarre schichtet er obskure Klangspuren für die er z.B. Spieluhren aus Plüschfiguren zweckentfremdet, indem er einzelne Töne und Akkordfolgen isoliert und zu neuartigen Soundcollagen arrangiert.
Die Ergebnisse Barlowscher Kellertüftelei gehen teils rockend nach vorne ("Sharing", "One Machine, One Long Fight", "Don't Apologize" oder der, äh Diskoknaller "The Right"), so straight und funky wie hier hat man Dale 'die Walze' Crover übrigens noch nie sein ansonsten eher grobschlächtiges Handwerk verrichten hören. Nein, kein Scherz! Barlow konnte das Drumtier der Melvins tatsächlich als Gasttrommler gewinnen.
Überwiegend verharren die Songs aber verhalten in der gemütlichen Folk-Ecke. Neben dem Titeltrack versprühen vor allem "Faith In Your Heartbeat", "The One I Call" oder "I'm Thinking ..." dank der unverkennbaren Sperrmüll-Gitarren und wie immer unfassbar eingängigen Gesangsmelodien Barlows diesen spröden, Lo-Fi-esken Charme früherer Sentridoh-Tage.
"Der Sound ist eine Mischung aus meiner späten Arbeit mit Folk Implosion und den frühen Sebadoh", beurteilt der Künstler seine Taten selbst. Unterm Strich aber kann man es nennen, wie man will - "Goodnight Unknown" ist 100% Lou Barlow. Wer sich also spätestens nach dessen zwei erneut brillanten Beiträgen zu "Farm" mehr Output von ihm gewünscht hat, bekommt auf diesem Album ordentlich Nachschlag.
2 Kommentare
Platte kommt heute *freu*
Stimmt, heut ist ja schon Freitag.