laut.de-Kritik

Der Pianist beschenkt Fans und Neueinsteiger.

Review von

Nach dem ambivalenten "Taranta Project" heißt es im Hause Einaudi wieder 'back to normal'. Doch wer die Qualitäten des Maestro kennt, weiß: Normal steht als Synonym für berückend schöne, formvollendete Melancholie auf schwarz-weißen Tasten. "Elements" macht genau dort weiter, wo die Juwelen "In A Time Lapse"/"Nightbook"/"Divenire" aufgehört haben. Das Album ist ein echtes Geschenk für Fans und Neueinsteiger gleichermaßen.

Die provinziellen Vocals seiner Projektplatte sind passé, Don Ludovico wirft jeglichen Gesang vorerst wieder über Bord. Dennoch ändert er das Konzept der erwähnten Vorgängeralben. Sein Piano steht weiterhin im Zentrum des Geschehens. Es dominiert unangestrengt und sanft jedes Stück. Daneben erhalten andere Instrumente einen größeren Klangraum als früher.

Zu diesem Zweck bastelt er sich einen für klassische Verhältnisse ungewohnten Bandkontext. Violine, Gitarre, Streicher, Percussion und sogar pluckernde Elektronika bilden gemeinsam einen Rahmen, der mehr ist als bloße Verzierung. Die Balance, mit der u.a. Daniel Hope (sahnige Violine auf "Petricor") und Co. das musikdienliche Gleichgewicht halten, ist beeindruckend. Als perfekt dosiertes Gewürz stehen die Beigaben weder zu sehr im Hintergrund, noch drängen sie ungestüm nach vorn.

Die zwölf Instrumentals legt der Turiner einmal mehr als Suite an. Mit gewohnt geometrischem Ohrenmaß setzt er sie in Aufbau und Reihenfolge dergestalt zusammen, dass ihr Klangbild in einem bewussten Verhältnis zueinander steht. Diese Vorgehensweise ist ohnehin typisch für Einaudi. In diesem Fall liegt sie ihm jedoch besonders am Herzen, da "Elements" der Inspiration folgend von Anfang bis Ende als Konzeptalbum gedacht ist.

Einaudi dazu: "'Elements' entspringt dem Wunsch nach einem Neuanfang, bei dem das Bewusstsein andere Wege einschlägt. Mir wurde klar, dass es an der Grenze zwischen mir Vertrautem und Unbekanntem Bereiche und Themen gab, die ich schon lange erkunden wollte: Schöpfungsmythen, das Periodensystem der Elemente, die Euklidische Geometrie, die Schriften Kandinskys, die Materialität von Klang und Farben, wildes Gras auf der Wiese, die Formen der Landschaft. Monatelang bewegte ich mich durch ein scheinbares Chaos von Bildern, Gedanken und Gefühlen. Und dann fügte sich alles allmählich zu einem Tanz zusammen, als wären all diese Elemente Teile ein und derselben Welt, und ich selbst mitten darin. Das ist 'Elements'. Wäre es nicht Musik, dann eine Landkarte der Gedanken – mal klar und eindeutig, dann wieder überlagert: Punkte, Linien, Formen, Fragmente eines nie versiegenden inneren Stroms."

Das kann man nicht schöner ausdrücken. Doch weder das Wissen um die Konzeption, noch die vorgegebene Chronologie sind unabdingbare Voraussetzungen für den Genuss der Tracks. Ihr individueller Charakter und die Form machen Einaudi fast schon zu einem nahezu songwriterisch agierenden Komponisten. Hieraus resultiert die Möglichkeit für den Hörer, sich nach Belieben eine eigene Reihenfolge zu wählen, die die Stimmung des Albums ändert und variiert. Um im Duktus des Meisters zu bleiben: Mit jeder Änderung erhält man ein neues musikalisches Mosaik. Der Versuch lohnt.

Obgleich die einzelnen Titel allesamt eine höchst eigenständige Prägung aufweisen und alles andere als gleichförmig erbaut sind, tritt Einaudis spezielles Faible auf "Elements" einmal mehr recht deutlich zutage. Er liebt es, seine nokturnalen Babys effektiv von der Knospe zur Blüte zu führen. Der Beginn ist meist verhalten, beinahe introvertiert. Im Verlauf öffnet er - dramaturgisch ausgeklügelt - die instrumentalen Schleusentore und lässt dem nachtblauen Notenfluss freien Lauf. Eingebettet in ein Füllhorn berückender Harmonien und Melodien.

Die Eröffnung "Petricor" erweist sich als perfekte Überleitung von den "Time Lapse"-Stücken in die neue Klangwelt von "Elements". "Twice" verzaubert mit hauchzart eingewebter Percussion zum Piano und outet sich als Verwandter zu den ruhigen Momenten Molvaers oder Truffaz'. Und die zu recht erfolgreich chartende Vorabsingle "Night" wird man tagelang nicht mehr los. Besonders der dezente Elektro-Kokon unterstreicht das intensive Thema vortrefflich. Sowas darf er gern öfter machen.

So gelingt Ludovico Einaudi erneut ein großartiges Album. Obgleich er in der Klassik verortet bleibt, klingt seine Musik stilistisch offener denn je.

Trackliste

  1. 1. Petricor
  2. 2. Night
  3. 3. Drop
  4. 4. Four Dimensions
  5. 5. Elements
  6. 6. Whirling Winds
  7. 7. Twice
  8. 8. Abc
  9. 9. Numbers
  10. 10. Mountain
  11. 11. Logos
  12. 12. Song For Gavin

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