laut.de-Kritik
Knietief im Melting Pot der srilankischen Partybraut.
Review von Michael SchuhMaya Arulpragasam ist auf der Straße angekommen. Vor zwei Jahren schon. Da entstand ihr zweites Studioalbum eher beiläufig. Das Wort Studioalbum führt eh auf die falsche Fährte, denn M.I.A. war vor allem draußen. Live vor Ort und auf der Straße, wo sie Menschen kennen lernen und Abstand nehmen wollte vom Hype, der sie nach ihrem durchgeknallten Debüt "Arular" 2005 weltweit einholte.
Wie man sich die letzten eineinhalb Jahre im Leben des ehemaligen srilankischen Flüchtlingskinds ungefähr vorstellen muss, zeigt uns M.I.A. im Videoclip zur Single "Boyz": Umringt von einer Hundertschaft jamaikanischer Boys gibt sie oldschoolig die an Straßenecken und auf Schrottautos hüpfende Vortänzerin, optisch bis an die Schmerzgrenze zugekleistert mit billigsten Farbeffekten aus Schwellenländer-Werbespots und natürlich in einer Choreographie, die dem ehemaligen Ostberliner Streetdancer Detlef D. Soost rote Flecken ins Gesicht treiben würde.
Hätte M.I.A. diesem Ungetüm aus zerhackstückten Horn-Fanfaren und Tribal-Rhythmen noch einen Refrain beigegeben, die Mutter aller fancy Outfits hätte mal wieder alles richtig gemacht. So vermisst man auf "Kala", das nach "Arular" (ihr Vater) nun fairerweise nach der Frau Mama benannt wurde, höchstens ab und an die Hook-Gewalt, die vor zwei Jahren ihre Songs "Galang" und "Amazon" auszeichnete.
Was nicht heißt, dass die neuen Songs langweilen. Alleine um sich nicht zu wiederholen, erweiterte M.I.A. ihr Musiker- und Produzenten-Team um die alten Spezis Diplo und Switch mit zahlreichen Musikern, die sie bei ihren Sessions in Jamaica, Indien, Trinidad, Australien, Japan und den USA kennen lernte.
Auf dem mächtig pumpenden "Mango Pickle Down River" liefert eine Aboriginee-Formation den Didgeridoo-Unterbau, für "Hussel" engagierte sie den seit seinem Afro-Grime-Partyheuler "One Day I Went To Lidl?" schwer im Kommen begriffenen nigerianischen Rapper Afrikan Boy. Beides Stücke, die in einer vorhersehbaren Pop-Welt von zwei unterschiedlichen Künstlern stammen müssten. Bei M.I.A. stehen sie in der Tracklist nebeneinander.
Vorhersehbar war vielleicht auch nicht ihre Zusammenarbeit mit Star-Produzent Timbaland, der ihr sicher nicht auf dem Wochenmarkt in Bombay in die Arme gelaufen ist. Vom ursprünglichen Plan, ihn als vollständigen Album-Produzenten anzuheuern, rückte M.I.A. im Laufe ihrer Weltreise (auch wegen einer US-Einreiseverweigerung) ab, übrig bleibt jedoch die grandiose Nummer "Come Around", an der auch die viel geschmähten Rapskills des Meisters stimmen.
Gleich der Album-Start gelingt M.I.A. mit gewaltigem Getöse: "Bamboo Banga" poltert mit einem Drumcomputer los wie eine 80er New Order-Maxi, um anschließend in einen vorderasiatisch verzierten Rhythmusbrecher zu münden. "Somalia Angola Ghana Ghana Ghana Ghana / India Sri Lanka Burma Bamboo Banga", rappt M.I.A. mantragleich und zieht den Hörer sogleich knietief in ihren Melting Pot.
Apropos New Order: Fast noch offensichtlicher als das gewollte Pixies-Zitat in "20 Dollar" ist die Akkordähnlichkeit der zähen Synthie-Bassline zu deren 80s-Hit "Blue Monday". Wie sich die 30-Jährige unbeschadet aus dieser Zitathölle heraus windet, ist nur ein Beispiel ihres Talents.
In "Paper Planes" verarbeitet sie dann ein The Clash-Sample, begibt sich ins Hustle-Milieu und lässt im Refrain die Knarren sprechen wie sonst nur 50 Cent und Konsorten. Hier funktioniert ihr Songwriting ganz großartig und lässt vergessen, dass andere Appelle, etwa ihr hektisch zwitschernder Beitrag zur Vogelgrippe in "Birdflu", zwar frappierend an indische Käfighaltung gemahnen, aber nur bedingt hängen bleiben.
Dennoch: Bewunderern ihrer ureigenen Melange aus Hip Hop, Dancehall, Electro und Grime wird hier ein 12-Gang-Menü serviert, dessen feuriger Nachgeschmack die ein oder andere fade Zutat vergessen macht. Schließlich zaubert M.I.A. mit "Jimmy" noch einen Bollywood-Burner aus dem Ärmel, der sämtliche Sampler dieser Stilrichtung aus den letzten zehn Jahren überflüssig macht.
13 Kommentare
Also zuerst mal sagte mir ein Freund von mir, der aus Sri Lanka kommt, dass es nicht srilankisch, sondern singalesisch heißen muss.
Zum Album selbst:
ich habe es erst einmal bei Myspace gehört, aber was ich gehört habe klang äußerst innovativ, wenn auch tlw. fast schon etwas stressig. Aber ich habe dieses Gefühl, dass das Teil ein starker Grower ist, während "Arular" ja sofort ins Ohr ging, jedenfalls bei mir.
hab die zwei tracks auf myspace gehört - der rest ist ja noch vom letzten album -
"boys" und "bird flu" sind zwei richtige granaten - knüpft auch nahtlos an "arular" an, zumindest bracht man keine 2 Sekunden, um zu erkennen, dass es sich um M. I. A. handelt.
Jo, es heißt singalesisch und dann ist die Frau aus dem Norden von Sri Lanka, also aus dem tamilischen Teil Sri Lanka's mag heißen, M.I.A ist Tamile und zählt sich nicht zum singalesischen Teil der Bevölkerung in Sri Lanka.
ich konnte mit m.i.a. nie was anfangen, aber das paper planes, das gerade rauf und runter gespielt wird, find ich ganz witzig...
Ich dachte mir, ich bin mal so frei und weise auf den Re-Release des Albums hin.
Dieser erfolgt voraussichtlich am 30. Oktober.
Hier die "neue" Trackliste:
1. Bamboo Banga
2. Bird Flu
3. Boyz
4. Jimmy
5. Hussel: Mia & Afrikan Boy
6. Mango Pickle Down River: Mia & Wilcannia Mob
7. 20 Dollar
8. World Town
9. Turn
10. Xr2
11. Paper PIanes
12. Come Around: Mia & Timbaland
13. Paper Planes [AIIstars Mix]: M.I.A.
14. Boyz [Akon Mix]: M.l.A.
15. SheIls: M.l.A.
16. Get It Up: RadiocIit & Mia/Santogold/Gorilla Joe
17. Far Far: M.I.A.
18. Big Branch: M.l.A.
19. What I Got: M.I.A.
20. Sound Of Kuduro: Bukara Som Simesta & Mia
Einmalig.