laut.de-Kritik
Das Downgrade der Sportfreunde Stiller.
Review von Sven KabelitzKennt ihr die dreizehn Jahre-Regel? In Musik und Mode wirkt nichts so peinlich und gestelzt wie das, was vor dreizehn Jahren aktuell war. Genau dort, im Jahr 2005, hängten sich Madsen mit ihrem Debüt an den damals zunehmend populären deutschen Indie-Rock. Die Musik, die sich von der Hamburger Schule ausgehend zu Kettcar, Tomte und Wir Sind Helden entwickelte, dann mit Frida Gold und Silbermond die falsche Abzweigung nahm, und mittlerweile in Form von Songpoeten wie Mark Forster, Andreas Bourani, Max Giesinger und den anderen den letzten Nerv raubt.
Madsen gehörten schon damals nicht zu Crème de la Crème, sondern eher zu den Bands, die eben in Folge jedes Trends mit nach oben gespült werden. Das wäre heute nicht mehr der Erwähnung wert, wenn sie sich seit damals in irgendeiner Art und Weise weiterentwickelt hätten. Wenn sie heute mehr zu erzählen hätten als einst. Stattdessen klingen sie auf "Lichtjahre" wie ein Downgrade der Sportfreunde Stiller mit lauter aufgedrehten Gitarren und ohne Fußball.
Frisch von Four Music zum Nuclear Blast-Ableger Arising Empire gewechselt, bietet die Band Mitgröhlrefrains für die nächste Klassenfahrt und das kommende Komabesäufnis. Textlich hat sich in "Sommerferien" die Perspektive allerdings in Richtung Nostalgie geändert: "Mittlerweile sind wir so wie die Großen früher waren." Jugend ist unwiederbringlich vorbei, die Vierziger klopfen deutlich an. "Jeden Tag steh'n wir auf, rennen weitA / Haben so viel Angst vor'm ScheitAn / ... Zwischen Deadlines und Terminen / Scheinen wir uns zu verlieren." Wenn es eine Reimerechtsorganisation gäbe, würde sie hier einschreiten.
Sebastian Madsen wirkt in seinen weiteren Texten oft seltsam verloren zwischen dem Leben als Erwachsener und dem eines Sechzehnjährigen. Während er vom "Zehn-Meter-Brett", summenden Bienen und "Tanzen im Regen" singt, glitscht "Wenn Es Einfach Passiert" wie Sonnencreme und klingt nach überfülltem Freibad. "Wenn die Vögel wie Raketen klingen / Ist nach draußen geh'n wie Fallschirmspringen." Äh ... hä?
Hinter ihm pendeln die restlichen Madsens und Bassist Maurer musikalisch zwischen Sportfreunde Stiller ("Lichtjahre"), lauwarmen Tomte-Aufguss ("Mein Erstes Lied") und Farin Urlaub-Punk ("Keiner"). "Dann ging ich in den Park, hab meine Beine bewegt / Es war ganz geil, hat meinen Kreislauf belebt." Wie mir Tillmann Prüfers Zeit-Kolumne "Prüfers Töchter" gerade beibrachte, ist geil "ein Wort alter Männer".
Nach dem harten Einstieg von "Rückenwind", der an eins der guten Marilyn Manson-Stücke erinnert, nimmt der Song mit Sebastians Einstieg leider jedoch wieder die gewohnten Wege. "Ist das richtig, ja oder nein? / Du fragst dich, musst du anders sein/ Findest dich nie gut genug / Und sowieso nicht klug", singt er mit der Betonung eines Kleinkinds in "Wenn Alles Zerbricht" und klingt dabei wie seine eigene Parodie.
Dabei liegt die Lösung für die Probleme der mit "Lichtjahre" schrecklich festgefahrenen Madsen direkt vor deren Nase. Das mit Abstand interessanteste an ihnen steht seit Anfang des Jahrzehnts bei Live-Konzerten am Keyboard. Lisa Nicklisch veröffentlichte letztes Jahr unter dem Namen Lisa Who mit "Sehnsucht" ihren ersten, weitestgehend übersehenen Longplayer. Im Studio findet sie hingegen leider nicht statt. Dabei könnten sich Madsen durch den einfachen Schritt, sie mit einzubeziehen und dabei einen Blick auf Songs wie "Das Rauschen In Mir" zu werfen, die dringend benötigte neue Inspiration finden.
Dass dies durchaus möglich ist, zeigt "Wird Sie Mich Sehen", das sich mitsamt David Gilmour-Gitarre angenehm an den psychedelischen Pop der 1960er und 1970er anlehnt. Das einzige Lied auf "Lichtjahre", das sich deutlich abhebt, in dem auch Sebastian Madsens Stimme weitaus besser funktioniert und zeigt, dass deutlich mehr in Madsen steckt. Traut euch einfach mehr zu!
15 Kommentare mit 66 Antworten
"In Musik und Mode wirkt nichts so peinlich und gestelzt wie das, was vor dreizehn Jahren aktuell war." Aber wenn sich die " David Gilmour-Gitarre angenehm an den psychedelischen Pop der 1960er und 1970er anlehnt", dann ist alles super und wird vom Rezensent als "neue Inspiration" zugeordnet.
Aber du verstehst, dass die 60/70er länger her sind als 13 Jahre, und du verstehst weiterhin den Unterschied von Gitarrensound einerseits und altbackenener Deutschrockprinzipien andererseits?
laut.de vs. Madsen, Beef Runde 23
"Tomte, Silbermond, Sportfreunde... das ist zu soft." meinte Sebastian Madsen mal zu mir in einem Gespräch. Tocotronic und die Goldenen Zitronen hingegen wurden lobend erwähnt. War leider 2008. Die fatalen Entwicklungen sind in der Rezension schön pointiert beschrieben. Nur das damals wie heute Sebastian Madsen und nicht Johannes Madsen der Texter war/ist.
Die Kritik an den Texten ist vermessen, liegt die Interpretation des Ganzen doch immer beim subjektiven Betrachter oder kurz gesagt: Solange ein Text einen Menschen erreicht, bzw. Emotionen auslöst, dann ist er automatisch ein guter Text. Auch einfache Texte können gut sein. Darum ist die Kritik an Madsen hier lächerlich.
Danke! Solange es wirkt, ist es scheißegal, ob "schlecht" oder "gut" getextet. Der Rest ist stabil.
"Solange ein Text einen Menschen erreicht, bzw. Emotionen auslöst, dann ist er automatisch ein guter Text."
Nein. Damit validierst du beispielsweise jedes AfD Pamphlet.
Und schlechte Literatur gleich mit...
Nö, tut er nicht. Es ist Kunst. Politik fällt wohl nicht darunter.
Es gibt keine schlechte oder gute Literatur. Es gibt nur andere Mittel die jeweils verwendet werden, denn niemand kann belegen, dass Thomas Mann besser als Sarah Kuttner oder Rowling schreiben schreiben konnte. Ihr behauptet das nur, weil irgendjemand mal Regeln darüber aufgesteltl hat, was gut und was schlecht sein soll. Einfach mal diese Regeln hinterfragen. Meist ist es so, dass die angeblich "einfachere " Literatur das Leben am besten widerspiegelt, denn das richtige Leben findet nicht in der Literaturwissenscahft mit ihren "objektiven" Vorgaben statt.
Darum sind Texte von Madsen auch nicht schlechter als die von z. b. Bob Dylan.
Dann hat das alles hier keinen Sinn mehr
Madsen als zukünftiger Literatur-Nobelpreisträger ???
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
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"Auch einfache Texte können gut sein."
...
"Es gibt keine schlechte oder gute Literatur."
Ja was denn jetzt?
Ich weiß, dass knallharter Relativismus/Subjekitivismus bei den 15-Jährigen immer ganz gut kommt, weil's super pseudo-intelligent und edgy klingt. Ist halt nur keine Position, die irgendwo hinführt und nur sehr bedingt als Diskussionsgrundlage taugt.
Es gibt keine objektiv guten oder schlechten Texte. So muss das eigentlich heißen. Jeder Text ist gleichwertig.
"denn niemand kann belegen, dass Thomas Mann besser als Sarah Kuttner oder Rowling schreiben schreiben konnte."
Doch, anhand ihrer Poetizität. Zumindest lässt sich an ihr das handwerkliche Geschick mit dem Umgang Sprache schon recht objektiv beurteilen.
Aber natürlich entscheidet nicht allein die "schöne Sprache", was gut/schlecht ist bzw. als solches wahrgenommen wird. Derlei formalistische Annahmen sind zum Glück überholt.
"Ihr behauptet das nur, weil irgendjemand mal Regeln darüber aufgesteltl hat, was gut und was schlecht sein soll."
Wer soll das wann gewesen sein? Bitte um Aufklärung.
Werke können immer noch analysiert werden aufgrund ihrer Komplexität, ihrer Originialität, ihrer intertextuellen Bedeutung im Diskurs...was heutzutage gerne als trivial angesehen wird, sind Werke, die nicht auf den Diskurs hin zugeschrieben sind, sondern auf ihr Verkaufspotenzial hin; die außerdem sich nicht um Originialität bemühen, sondern epigonal auf altgediente erzählerische Muster zurückgreifen; und die (auch aufgrund der vorherigen Kriterien) keine nennenswerte Metaebene besitzen.
Beispiel Thomas Mann. Sein Doktor Faustus war/ist im Diskurs bedeutsam, weil es eine (teils subversive) Aufarbeitung des Faust-Mythos ist, zugleich eine Abhandlung über Musiktheorie, ein gesellschaftlicher Kommentar und mehr. Dadurch generiert der Text Metaebene, die über simple, plotbasierte Deutungen hinausgeht.
Die schöne Sprache ist dann "nur" noch eine Dreingabe, die aber nicht notwendig sein muss. Auch Autoren die handwerklich weniger komplex erzählt haben, waren/sind bedeutende Erzähler.
"Meist ist es so, dass die angeblich "einfachere " Literatur das Leben am besten widerspiegelt"
"Das Leben" gibt es nicht. Jeder Mensch empfindet Dinge anders und jeder Mensch ist ein vielschichtiges, komplexes Wesen (mit Ausnahme von Sodhahn). Darum verdienen es auch Texte, komplex und vielschichtig zu sein, und ihre Sprache (die meintest du ja mit "einfach") hat das Recht dazu, komplex und handwerklich herausragend zu sein.
Aber selbst, wenn es "das Leben" gäbe. Wer sagt denn, das Literatur das Hier &Jetzt behandeln muss, "lebensnah" sein muss? Wer sagt, dass sich der Rezipient (abseits des offensichtlichen Unterhaltungs/Bestätigungszwecks) mit allem indentifizieren können muss, was im Text geschieht bzw. was er aussagt?
Du stellst dir selbst viel zu viele Regeln auf, obwohl du ja zurecht in deinem Beitrag darauf hin gewiesen hast, dass Regeln auch gerne hinterfragt werden dürfen.
Ich vermisse Tinco. Der hätte das wesentlich fundierter und eloquenter ausgedrückt...
Wenn es nur darum geht, womit man die meisten Menschen erreicht, dann müssten Paul-Coelho-Aphorismen, Wandtattoo-Sprüche und die Lyrics von Helene Fischer das höchste der Gefühle sein, was Poesie zu bieten hat, sind sie aber nicht.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
„Solange ein Text einen Menschen erreicht, bzw. Emotionen auslöst, dann ist er automatisch ein guter Text.“ - bogstrok
„Danke! Solange es wirkt, ist es scheißegal, ob ‚schlecht‘ oder ‚gut’ getextet.“ - naturian
Supi. Damit können wir die Diskussion über meine Kritik ja dann beenden. Da die Emotionen auslöst, ist sie offensichtlich gut.
"Jeder Mensch empfindet Dinge anders und jeder Mensch ist ein vielschichtiges, komplexes Wesen (mit Ausnahme von Sodhahn). "
"Es gibt keine objektiv guten oder schlechten Texte. So muss das eigentlich heißen. Jeder Text ist gleichwertig."
Du sagst, es gibt keine objektiv guten oder schlechten Texte, der Wert eines Textes lässt sich also nicht objektiv messen oder bestimmen. Du meinst aber trotzdem, behaupten oder festmachen zu können, dass alle Texte exakt den gleichen Wert haben, sie sind gleichwertig. Wie nun das, frage ich dich? Eine objektive Messung oder einen objektiven Vergleich konntest du ja wohl kaum vornehmen. Woher kommt deine felsenfeste Überzeugung?
Ich denke er meint damit, dass Text Text ist. Jeder lyrische Erguss hat demnach irgendeinen Wert. Was ja auch grundsätzlich stimmt. Der Leser/Hörer entscheidet jedoch am Ende für sich, ob er den Text für wertvoll erachtet, oder nicht. Aber "objektiv" betrachtet, kann man eben die Textform, Metrum, Reime etc. pp. erläutern. So gesehen sind alle Texte gleich. Und manche Texte sind gleicher.
Ich will aber zum Schluss nochmal was sagen: Bei Madsen geht es primär nicht um Texte. Es geht um Melodien, Harmonie und Hooks. Deswegen ist dieser Hamburger Schule Vergleich eigentlich totaler Käse. Madsen gehörte nie dazu. Ebenso wenig wie Madsen Punk ist und gerne das System kritisiert (gelegentlich tun sie das mal, aber eben nur oberflächlich). Madsen wollen in erster Linie stabilen Rock machen, der eingägig ist und live Spaß macht.
Gleep Glorp, ich will damit sagen, es git nur subjektive Wahrheiten und das ist für mich ein objektives Faktum. Wir wissen quasi, in Bezug auf Texte oder Musik, das wir nichts wissen.
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
"Gleep Glorp, ich will damit sagen, es git nur subjektive Wahrheiten und das ist für mich ein objektives Faktum."
Soso, das ist FÜR DICH also ein OBJEKTIVES Faktum, interessant. Du merkst schon, dass das nicht wirklich vereinbar ist oder? Aber egal, weiter im Text.
Wenn es deiner Meinung nach nur subjektive Wahrheiten gibt, was gibt es denn an der Rezension noch zu kritisieren? Der Rezensent bringt ja nur das zum Ausdruck, was für ihn subjektiv gesehen wahr ist. Was anderes kann er ja gar nicht tun. Du findest die Rezension aber trotzdem "vermessen" oder unfair. Das kann sie aber nur sein, wenn eine Rezension auch "bemessen" sein kann, wenn man irgendwie festmachen kann, was eine faire Rezension ist und was nicht. Nach deiner eigenen Logik ist aber jedes Werturteil und jede Rezension gleich fair. Du dürftest dich also demnach gar nicht erst beschweren. Tust du aber trotzdem. Wie passt das denn jetzt noch zusammen? Worauf's also letzten Endes hinaus läuft ist, dass der Rezensent eine andere Meinung hat als du und du das irgendwie "vermessen" findest, dass er diese Meinung dann auch noch zum Ausdruck bringt. Wenn man das konsequent zu Ende führt dürfte ja niemand mehr überhaupt eine Rezension schreiben.
Finde die "One Star" mit deren Begründung absolut überzogen. Handwerklich ist das Album ok. Der Rest ist Geschmacksache. Wenn ich daran denke wie manche RAP Probanden mit schlichtem Text bewertet wurden.
"Wenn es nur darum geht, womit man die meisten Menschen erreicht, dann müssten Paul-Coelho-Aphorismen, Wandtattoo-Sprüche und die Lyrics von Helene Fischer das höchste der Gefühle sein, was Poesie zu bieten hat, sind sie aber nicht."
Und warum nicht? Wer will sich anmaßen, das festzulegen? Wer legt fest, dass immer eine Metaebene vorhanden sein muss? Warum sollen Helene Fischer Texte, mit denen sich ja anscheinend Millionen von Deutschen identifizieren können, schlecht sein? Ich kenne sogar eine Deutschlehrerin, die Fischer hört. Müsste die das nicht eigentlich besser wissen?
Dieses Zeug ist nunmal keine große Kunst, sondern idR banaler Quatsch. Das legt niemand fest, sondern liegt in der Natur der Dinge.
Außerdem sind Dinge, mit denen sich "Millionen Deutsche" identifizieren können ohenhin meist suspekt. :-P