laut.de-Kritik
Hochkarätige Kollabos in Suiten-Form.
Review von Philipp KauseMandoki macht eine Platte über seine Fluchtgeschichte, von Ungarn nach Deutschland. Soweit keine Überraschung. "Utopia For Realists: Hungarian Pictures" geht textlich selten drauf ein, wo sich die Utopie versteckt oder welche Maßstäbe der Realismus setzt ("Ich wurde von Musen geküsst, um Musik zu meinem Lebensinhalt zu machen"). Der Sound des Albums spricht in all seiner verträumten Luzidität immerhin Bände. Damit Creams Jack Bruce, Totos Bobby Kimball, Manfred Manns Sänger Chris Thompson, die Star-Trompeter Till Brönner und Randy Brecker und zig weitere Hochkaräter alle ihre fraglosen Stärken ausspielen können, dauert ein einzelner Song dann mal 26 Minuten: "Transylvanian Dances" ist das Herzstück der Scheibe.
Und die ist ein Remake, denn fürs 2019er Album "Living In The Gap + Hungarian Pictures" nahmen sich die ManDoki Soulmates viel auf einmal vor; jetzt erscheint die zweite Hälfte des Konzeptwerks in aufgepepptem Format inklusive Konzertfilm mit untermalenden historischen Bildern vom Wende-Herbst 1989, 'Making Of' des Konzertfilms (beides auf BluRay), Original-Album und Remake.
Die Musik ist aber spitze: Kein 'Modern Rock', wie ein Downloadportal behauptet, sondern Klassik mit Jazz-Elementen, stellenweise tiefe Jazz-Vibes dank Leuten wie Bill Evans und Richard Bona. Folkloristischen Kolorit in Spurenelementen ernten Fusion-Fans hier immer wieder.
Rockig schillern die Namen der Musiker und hört sich ein Solo an (21. Minute in "Transylvanian Dances"). Modern ist eher gar nichts. Man lässt sich Zeit, erzählt jede Detail-Idee mit jeweiligem Spannungsbogen aus. Lange instrumentale Phasen und gesungene Parts wechseln in quadratisch-praktisch strukturierten Plan-Segmenten. In seiner teilweisen Suiten-Form lehnt sich "Hungarian Pictures" im CD-Titel somit an Bela Bartóks "Hungarian Sketches" an.
Sympathisch retro lesen sich Namen wie 80er-One Hit Wonder Tony Carey ("A Room With A View"), der Mann an den Tasten, John Helliwell aus Supertramps Hit-Ära an der Klarinette, und schließlich hört man die Eighties richtig fett, wenn jene heisere und glockenhelle vertraute Stimme endlich wieder ertönt, Nick van Eede, bekannt aus Cutting Crews Chartbreaker "(I Just) Died In Your Arms", in der ersten Strophe von "Transylvanian Dances". Es folgt ein leiser Abschnitt an der Gitarre. Al Di Meola trumpft mit Fingerfertigkeit auf. Sechste Minute: Slawischer Exotismus mit lautmalerischem Gesang, bei dem man nicht gewiss sein kann, ob der einem indischen Schlangenbeschwörer, mauretanischen Wüstennomaden oder doch dem rumänischen Kulturraum abgelauscht wurde. Solche Parts wirken etwas überkandidelt, gehen als Überleitungen aber in Ordnung.
Achte Minute: Der 74-jährige Ian Anderson von Jethro Tull übernimmt und schildert Mandokis Flucht und dessen damalige mentale Einstellung ("to be free to disagree"). Später macht Ian mit einem Eins A-Flöten-Pizzicato eine sportliche Figur und treibt den Sound entlang von Mandokis Drum-Feuerwerk voran. Die Querflöten-Auftritte stechen auf dem ganzen Album heraus (z.B. auch in "Return To Budapest"), Andersons Stimme berührt. Soulmates-Chef Leslie denkt in einem Interview mit dem Tagesspiegel zurück, "dass Jazzrock im Ostblock als feindliche, oppositionelle Musikrichtung betrachtet wurde. Wer ein Jethro-Tull-Album auf Tonband besaß, konnte sich als König fühlen." Den Genuss, seinen alten Hero selbst in der mittlerweile siebten Kollabo der beiden an Bord zu haben, spürt man, und diese Magie überträgt sich beim Hören. Gutes Match.
Als Pop-Extrakt ließe sich, wenn man eine Hit-Single wollte, die Passage vom Ende der 18. bis Anfang der 23. Minute auskoppeln, die einen Brief an "kids fighting in the front" mit Mandokis selbst konstatierter Identität als "Rebell" verarbeitet. Ausgerechnet er, der als CSU-Kandidat antrat, doch mehr als Adept von Merkels Weichspülprogramm einer programmentleerten Union gilt, in seiner eigenen Geschichte als Tutzinger im tiefsten bayerischen Süden irgendwie den aktuellen Zwist der Schwesterparteien in einer Haut verkörpert. Das mal beiseite, läuft es ohne Worte und großspurige Thesen doch am besten, schenkt man dem subtilen Unterwasser-Jazz der letzten drei Minuten "Transylvanian Dances" ein Ohr. Allergeilstes 'Quiet is the new loud' im Fusion-Jazz, dank Cory Henry (Ex-Snarky Puppy) mit einer mitreißenden Performance an den Fender Rhodes.
"Barbaro" (mit viel Saxophon, Pomp und Tempo) ist ein Instrumental, "Sessions In The Village" fast auch, von einer kurzen Gesangs-Sequenz seitens Leslies Tochter Julia abgesehen. Angenehme Stimme, mehrmals dabei. Wohl weniger bei der Union aktiv, klettert sie doch im Hambacher Forst auf Bäume. "Sessions In The Village" zieht als engagierte Hammondorgel-Ballade in Bann. Versonnen grätscht Di Meolas Gitarre dazwischen, und samt ausgefeiltem Bläser-Arrangement klingt das Ganze richtig stark.
Mein persönlicher Favorit inmitten dieser reichhaltigen Talentshow ist der Schlusstrack "The Torch", den die Soulmates als Hymne verstehen, um Rebellentum wie eine Fackel zwischen den Generationen zu übergeben. Leslie schlägt die Udu an, nigerianische Percussion-Töpfe. Die Saxophone malen ein wunderschönes Bild dazu. Ganz taufrisch sind nicht alle Stücke, bedenkt man, dass "Back To Budapest" aus der Feder des Jethro Tull-Frontmanns als Skizze für "Return To Budapest" noch zu Lebzeiten Jack Bruces entstand und als Live-Aufnahme ab 1997 in der Diskographie auftaucht. Trotz aller Zweifel, die man an der Figur Mandoki haben kann: Beim Hören treten sie weit in den Hintergrund. Das orchestrale bunte Feuerwerk überzeugt.
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