laut.de-Kritik
Der Berliner will politisieren und fordert Widerstand.
Review von Mathias MöllerWenn Marcello seine Cap absetzt, sieht er fast so aus wie Vincent Cassel als Vinz im französischen Banlieue-Drama "La Haine". Dabei ist der Rapper aus Berlin sicher kein Hater, dennoch gibt es Parallelen zwischen ihm und dem Charakter aus Mathieu Kassovitz' Film. Marcello beobachtet mit wachen Augen seine Stadt, er hat eine Menge Frust. Vinz boxt mit den Fäusten, Marcello mit Worten. Der Soundtrack zu "La Haine" ist vom französischen Hip Hop geprägt, genauso wie Marcello.
Das kann man auf "Innercity Kinder" deutlich hören. Berlin bei Sonnenlicht im August würde wahrscheinlich anders klingen, aber Marcellos Stadt liegt in der Nacht und ist grau wie die Hauptstadt im Winter. Ein düsteres Stadtbild in Sound verschluckt den Hörer wie eine unbeleuchtete Straße abseits der glänzenden Mitte. In Klang und Grundstimmung offenbaren sich die Referenzen an die französischen Vorbilder am augenscheinlichsten. Melancholische Streicher und ein Klavier in Moll erklingen fast in jedem Track, Scratches sind dünn gesät. Dabei wirkt der Hip Hop des Berliners recht zurückgenommen, auf keinen Fall bombastisch. Die Beatz sind straight und grooven langsam. Die Großstadtthematik der Lyrics kennt man auch von Pariser Rappern.
Der Debütant liebt seine Stadt und sein Viertel, das merkt man sofort, wenn man "Kieztrip" oder "Die Stadt Schläft" hört, doch es ist eine "gespaltene Liebe zum Kiez". Denn Lokalpatriot Marcello reflektiert die krassen Kontraste, die Berlin bietet. "Mein Viertel" beschützt er "wie mein eigenes Kind" vor den Touristen, die in Bussen durch "In-Viertel" wie den Prenzlauer Berg gekarrt werden. Auf der anderen Seite steht das wahre Gesicht, das die Besucher nicht zu Gesicht bekommen. "Ein Fenster Zur Straße" gibt den Blick frei auf die andere Seite des Bezirks. Abgerissene Häuser, abgerissene Menschen.
Dabei macht der Berliner Jung nie einen auf dicke Ghetto-Hose. Es wirkt nie aufgesetzt, auch nicht wenn er über seine "Jungs Hinter Gittern" spricht. Der Hörer nimmt Marcello seine Geschichten ab. So viel Realness gibt es selten im Deutschrap. Er versteht es, die kleinen Details zum Leben zu erwecken: "Wenn die Laternen sich entzünden und die Tagesschau beginnt, wenn die Handydisplays leuchten wie Phosphor", dann ist man dabei, wenn es nacht wird in Dickes B.
Heftige Schelte erfährt das "System", Marcello will politisieren und fordert Widerstand: "Ich sag, geht auf die Straße und legt Feuer und Bomben." Dass "Das Gute Von Oben" kommt, gilt nicht für das Fernsehen, Marcello rechnet mit Hilfe von Serch mit den Medien ab. Medienkritik einmal mehr, aber schon irgendwie anders.
Stimmungsvoll wäre für "Innercity Kinder" wohl das falsche Wort. Aber die Stimmung ist ein integraler Bestandteil des Albums, und sie macht nicht unbedingt Lust auf die große Stadt. Aber Lust auf ehrliche Raps bekommt man, und diese Lust stillt Marcello sicher gern.
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