laut.de-Kritik

Die kleinen und großen Sehnsüchte der Straße.

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"Als Rapper sollte man immer recorden, worauf man Bock hat. Im Studio schreiben, aufnehmen und raus damit." Kurz vor dem Weihnachtsfest des vergangenen Jahres kündigte Massiv eine EP mit dem "Sound für eure Anti-Depression-Partys" an. Bereits mit dem Titel "Weil Ich Bock Hatte" scheint der "4 Blocks"-Darsteller den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen zu wollen. Beschwichtigend fordert er vom Rezipienten vor allem eine lockere Haltung im Umgang mit dem Autotune gestützten Rap ein: "Es ist 'ne Momentaufnahme, weil ich einfach Bock hatte, Freunde".

Seine im letztjährigen Interview artikulierte Meinung zu einer verkopften Arbeitsweise als Musiker und verkürzten Veröffentlichungszyklen spiegeln sich in seiner EP wider: "Ich halte nichts von übertriebener Perfektion, weil da ein gewisser Stillstand herrscht. Leute, die einfach machen, sind immer da. Die Zeiten haben sich so verändert. Du musst jeden Monat bei Spotify präsent sein und mindestens ein Video herausbringen. Eigentlich muss man gar kein Album mehr promoten, sondern einfach nur jeden Monat eine Single. Das ist der Neuzeittrend."

Doch zunächst steigt Massiv in besagte Neuzeit mit Altbekanntem ein. "Milieu" stach mit seinem minimalistischen Plastikpalmensound bereits auf dem letztjährigen Album "M10 II" hervor. Nun fungiert die EP "Weil Ich Bock Hatte" quasi als Spin-off des Songs, der sowohl den Vibe als auch den Inhalt der neuen Beiträge vorgibt. Inhaltlich arbeitet er sich an den kleineren und größeren Sehnsüchten ab, die der monetär wenig gesegneten Stadtbevölkerung innewohnen: "Jeder träumt von 'nem Cabriolet, von Palmen am Strand, dicke Villen am See, doch wir bleiben Milieu".

Vorsichtig stellt der Berliner das stete Streben in Frage, wenn er dieses angesichts der prekären Zukunftsaussichten abrupt enden lässt: "Einer will Louis V oder Prada, er zieht dich ab für 'ne Balenciaga. Aber anstatt Dolce & Gabbana, gibt's im Ghetto einen Dolch in die Adern". Generell fällt auf, dass Massiv den leichtgängigen musikalischen Stil mit einer betont pessimistischen Grundhaltung kombiniert.

Voller Enttäuschung lässt sich Massiv etwa über die fehlende "Loyalität" seiner Mitmenschen aus: "Entweder Freunde profitieren oder spucken auf dich, während du ertrinkst. Fremde wollen dich kontrollieren, doch ich hustle, während jeder sich betrinkt". Tengobeatz und Bulenzho unterlegen die eigenbrötlerische Attitude des Rappers mit einem melancholischen Dancehall-Instrumental. "Ich bete fünfmal am Tag, und nur dadurch komm' ich zur Vernunft. Ich bin leider nicht wie ihr, anstatt zu lügen, bin ich stumm."

In "Pumpgun" gibt der Rapper die klischeehaften Straßenbilder selbsternannter Ehrenmänner der Lächerlichkeit preis: "Kredite lassen Blender einen Benz fahren, obwohl sie in der Gürteltasche keinen Cent haben". In ihren Mikrokosmen mögen sie als 'Boss' angesprochen werden, doch Massiv ist klug genug zu wissen, dass die wahre Macht woanders liegt: "Alle leben hier für buntes Papier. Jeder denkt, der König wird hier auf der Straße gekürt".

Bedauerlich fällt dagegen aus, dass er seine Erkenntnisse nicht mit seinem Verhalten in Einklang zu bringen vermag. So erkennt Massiv zwar die Sinnlosigkeit von Statussymbolen, vermittelt deren Bedeutung aber innerhalb der Familie an die nächste Generation: "Mein Leben geht nach oben, seit du bei mir bist, Malika. Baba fährt dich bald im AMG zur Kita". Aus dieser Falle scheint es für ihn auch keinen Ausweg zu geben. Vielmehr kündigt sich für kundige Ohren bereits eine weitere Falle an, wenn der Berliner die Verbrüderung mit Bushido verkündet: "Wir sind jetzt ready, Anis und ich sind jetzt ein Team". Aus dieser Umarmung mussten sich im Nachhinein schon ganz andere befreien.

Aus musikalischer Sicht strahlt die Zukunft adäquat düster. Zwar spricht aus dem Titel "Weil Ich Bock Hatte" richtigerweise das Selbstbewusstsein, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein, doch auch Massiv steht der Rezeption seiner Musik nicht gänzlich gleichgültig gegenüber. "So um euch zu beruhigen: Wir schließen dieses Gute-Laune-Ding ab in Zusammenhang mit einer EP", erklärte er im Vorfeld der Veröffentlichung. "Für alle Hardcore-Liebhaber und Freunde des harten, herzzerreißenden Sounds, der die Ghettos erschüttert: 2019 werde ich euch was brutal Hartes abliefern." Er weiß also noch immer, worin seine wahren Stärken liegen: "Meine Stimme ist Dynamit."

Trackliste

  1. 1. Milieu
  2. 2. Dynamit
  3. 3. Kamikaze
  4. 4. Loyalität
  5. 5. Pumpgun
  6. 6. Benzin

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