laut.de-Kritik
Eine komplexe Reise ins Innerste.
Review von Jan EhrhardtDrei Jahre nach dem letzten Album "Akeda" bewegt sich Matisyahu auf einem schmalen Grat: Nur acht Songs. Davon keiner kürzer als 5:50 Minuten ("Back To The Old"). In der Spitze sind es gar 13:59 Minuten ("Driftin"). Schwere Kost. Gerade dann, wenn man noch die poppigen "Spark Seeker"-Titel im Gedächtnis hat, mit denen sich der amerikanische Sänger von seinen Schläfenlocken und seinem Bart trennte und inhaltlich zunehmend weniger religiösen, sondern weltlichen Themen zuwandte.
Um "Undercurrent" zu verstehen, bedarf es mehrerer Durchläufe. Aber selbst dann bleibt es schwierig, hinter die komplexe Struktur des Werks zu blicken, die sich von der musikalischen Grundthematik über die einzelne klangliche Ausgestaltung bis hin zur inhaltlichen Tiefe zieht.
Der 'King Without A Crown' bewegt sich abermals weit weg vom früher so geschätzten Reggae-Universum. Das ist gewiss keine große Überraschung - mindestens seit "Light" ist der ehemalige Offbeat-Pionier mit hebräischem Einschlag weit davon entfernt, sich durch Genrezugehörigkeit zu limitieren. War "Spark Seeker" noch stark elektronisch beeinflusst und "Akeda" puristisch gehalten, lässt sich bei "Undercurrent" keine hervorstechende musikalische Leitlinie mehr erkennen.
Es ist eine Mischung aus rockigen und poppigen Titeln, mal digital, mal organisch. Matisyahu singt, Matisyahu rappt. Und Matisyahu bleibt still. Dort, wo die Musik für sich alleine stehen soll und kann. Die Titel wurden in ihrem Urzustand belassen, so, wie sie die Band in reiner Improvisation im Studio einspielte. Ohne Effekthascherei und ohne aufwändige Nachbearbeitung.
Diese Ursprünglichkeit hat aber Nachteile: Einfach einzelne Songs anspielen wird zum unbefriedigenden Experiment. Es fällt schwer, sie ohne den zuvor abgesteckten Rahmen zu begreifen. 'Das zeichnet doch ein Album aus', könnte man einwenden. Wenn die Platte nur in ihrer Gesamtheit Sinn ergibt. Sicher. Aber so wird es auch schier unmöglich, zu differenzieren oder Höhepunkte zu entdecken. Man muss hier schon genau hinhören und sich Zeit nehmen. Und das ist anstrengend.
Inhaltlich lässt Matthew Paul Miller, der sich selbst als Singer-Songwriter bezeichnet, mit seinem sechsten Studioalbum tief blicken. Er beschreibt darin eine Reise in sein Innerstes. Es geht um gemachte Erfahrungen, Verletzbarkeit, Veränderungen - und vor allem deren Akzeptanz.
"And I know feelings come and go / How should hold on, should I let go", heißt es etwa in "Head Right", einem Alternative-Rock-Kracher und dem stärksten Stück der LP. Im verheißungsvollen Opener "Step Out Into The Light" stellt er fest: "My demons waitin' on every corner / Just to pull me down". Matisyahus Antwort? "My only shield is the sound."
Es sind große Themen, die der Amerikaner anspricht, wichtig für das Verständnis seines Glaubens und die Rolle der Musik darin. So gesehen ist "Undercurrent" ein logischer Schritt in der Entwicklung des Künstlers auf seinem Weg der Selbstverwirklichung. Konsequent, könnte man sagen.
Aber letztlich überwiegt die Schwere des Albums, die Verkopftheit, die beinahe undurchdringliche Struktur. Nicht jeder wird diese Reise mitgehen können, nicht jeder wird Schritt halten können. Vielleicht ist das auch nicht zwingend nötig. Aber ob die Musik der Platte und die Absicht dahinter verstanden wird, bleibt doch fraglich.
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