11. September 2020

"Zur Zeit brennen viele Feuer"

Interview geführt von

Die eigene Handschrift zeichnet Max Richter aus. Egal, ob er gerade für Ballett, TV-Serien, Hollywood-Produktionen – zuletzt etwa "Ad Astra" mit Brad Bitt in der Hauptrolle – oder Soloprojekte komponiert. Im Interview spricht Richter über die Entwicklung seines persönlichen Stils, Kunst als Raum zur Reflexion gesellschaftlicher Ereignisse und sein neues Werk "Voices".

Wer sich mit kontemporärer Musik beschäftigt, kommt an Max Richter schon lange nicht mehr vorbei. An Werke wie das als Protest gegen den Irakkrieg geschriebene "The Blue Notebooks", das über achtstündigen Schlaflied "Sleep" und viel gelobte Beiträge zu Film-, Serien- und Bühnenwerken, die ihm unter anderem den Europäischen Filmpreis und eine Emmy-Nominierung einbrachten, reiht sich nun "Voices".

Gut zehn Jahre arbeitete Richter an dem Opus, seine musikalische Version der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Im Zentrum stehen deshalb nicht nur Noten und Instrumente, sondern vor allem menschliche Stimmen und die Worte der Erklärung. Neben prominent vertretenen Lesungen von Eleanor Roosevelt und Kiki Layne finden sich zahlreiche durch Crowdsourcing gesammelte Aufnahmen in verschiedensten Sprachen. Und es soll weitergehen: Richter verriet uns, dass er aktuell weiter an "Voices" arbeitet. Wir sprachen mit ihm über das Projekt und seinen Werdegang als Musiker.

Fast jeder, der mit dir vertraut ist, dürfte mittlerweile die Geschichte kennen, dass einst der Milchmann deiner Familie anfing, dir nicht nur Milch, sondern auch Platten zu liefern und dir so die Welt experimenteller Musik zu zeigen. Erinnerst du dich noch an das erste Album, das er dir mitgebracht hat?

Max Richter: Ja, das war Philip Glass' "Music With Changing Parts", ein Doppelalbum auf Vinyl, erschienen bei Point Music, Glass' eigenem Label.

Wie empfandest du diese Musik damals?

Ich hatte bis dahin noch nie solche Musik gehört. Ich war in meinen frühen Teenager-Jahren, interessiert an klassischer Musik und spielte Klavier. Das war gewissermaßen meine Welt. Natürlich kannte ich auch Rockmusik der Zeit. Aber kontemporäre Klassik war damals für mich zum Beispiel Strawinsky – Musik, die schon 50 Jahre alt war. (lacht) Dieses Stück ist ein frühes Werk Glass', es stammt aus seiner Minimal-Ära. Diese Pattern-basierten Klänge zu hören war ein bemerkenswerter Moment für mich. Ich hatte keine wirkliche Vergleichsgröße. Es schien ein bisschen mit elektronischer Musik verwandt zu sein, aber ich hatte keine Referenzen, um diese Musik zu beschreiben. Es war ein Schock.

Welche Erfahrungen, Entdeckungen oder Personen haben dich in deiner eigenen musikalischen Identität am meisten geprägt?

Wahrscheinlich zur Universität zu gehen und Musik der Renaissance und des Mittelalters zu entdecken, sowie die diesem Material zugrunde liegenden Ideen von geometrischen Strukturen. Das war sehr wichtig für mich. Und dann natürlich die kontemporäre Musik des 20. Jahrhunderts: Xenakis, Cage... Leute, die man als musikalische Erfinder bezeichnen könnte. Natürlich waren sie Komponisten, erfanden dabei aber neue Wege, darüber nachzudenken, was Musik überhaupt ist. Später, nach Universität und Akademie, teils bereits während ich mit Berio studiert habe, kam die Entdeckung von neuen Herangehensweisen an tonale Musik hinzu – durch amerikanische Minimalisten, Post-Minimalisten und all die Musik aus den baltischen Staaten, die Musik "neo-tonaler" Komponisten. Abgesehen davon spielte eine große Rolle, Zeit mit elektronischer Musik zu verbringen. Seit ich mit 13 oder 14 Kraftwerk entdeckt habe, ist elektronische Musik aus verschiedenen Gründen sehr wichtig für mich. Sei es "akademische" elektronische Musik – falls dieser Ausdruck irgendwie Sinn ergibt, haha – oder mehr Dance- und EDM-orientierte Electronica. So haben wir das in den 90ern genannt.

Als Teenager warst du neben elektronischer Musik auch dem damals neu aufkommenden Punk nicht abgeneigt, richtig?

Ja, absolut!

Warum hast du dich dennoch für eine klassische Musikausbildung an der Universität entschieden?

Ich sehe keine Gegensätzlichkeit oder Dualität zwischen all diesen verschiedenen Dingen. Die grundlegenden Prinzipien, wie Klänge kombiniert werden und werden können, sowie die Mechanismen dafür sind alle schon in sehr früher Musik vorhanden. Diese Leitprinzipien zu verstehen, erschien mir sehr wichtig – unabhängig davon, was ich letztendlich machen würde. Kontrapunkt ist in elektronischer Musik genauso wichtig wie in Renaissance-Polyphonie. Es mag in einer anderen "Sprache" angewandt werden, aber es liegen dieselben Prinzipien zugrunde. Ich wollte ein gutes Fundament für meinen kompositorischen Werkzeugkasten haben. Kenne die Regeln, bevor du sie brichst. Darum geht es. Das war meine Einstellung. Klassische Musik, elektronische Musik, Punk oder was auch immer – ich sehe da keine klaren Grenzen. Sie hängen zusammen. Sie hängen zusammen in der Methodik und im Material. Ich habe die Idee von Grenzen in der Musik nie akzeptiert. Sie ergibt für mich keinen Sinn. Diese Grenzen sind eher von Marketing getrieben als von Ästhetik.

Du sprachst zuvor von Erfindern. Hattest auch du den Ansatz, etwas völlig Neues zu erfinden, als du auf der Suche nach deiner eigenen musikalischen Sprache warst?

Komponieren ist eine Aktivität mit mehreren Ebenen. Es gibt den Inhalt – das, was du vermitteln möchtest, sozusagen der Text der Komposition. Doch vorher musst du die Sprache schreiben, die du dafür verwenden wirst. Und davor musst du eine Vorstellung davon haben, was du überhaupt erreichen möchtest. Meine Stimme zu finden, war mir in diesem Multi-Ebenen-Prozess sehr wichtig. Trainiert wurde ich vornehmlich im Modernismus. Als ich von der Akademie kam, schrieb ich Musik, die auf dem Papier aussah wie etwas von zum Beispiel Ferneyhough. Sehr dichte, super komplexe Musik. Teil meines Prozesses, Teil meiner Entwicklung war, eine persönliche Stimme zu finden – einen individuellen Weg, zu sprechen. Das war verbunden mit ziemlich radikaler Simplifizierung.

Die Vereinfachung begann auch deshalb, weil dich an der Modernismus-Lehre störte, wie überkompliziert und dadurch elitär die Bewegung geworden war. An welchem Punkt deiner Ausbildung formte sich diese Sichtweise?

Das begann, als ich mit Berio studiert habe. Die Musik, die ich ihm gezeigt habe, war hyperkompliziert. Unglaublich schwierig zu spielen und im Endeffekt für ein Publikum bestehend aus anderen Komponisten. Das war die Orthodoxie der Zeit. In mir wuchsen Zweifel daran. Ich fragte mich, warum ich meine Zeit damit verbrachte. Musik ist eine kommunikative Kunstform. Sie ist eine emotionale Sprache. Wenn man nicht mit ihr kommuniziert und die Leute sie nicht verstehen – was soll das dann? Ich kann bei diesen Fragen natürlich nur für mich selbst sprechen. Berio bohrte nach, um herauszufinden was ich erreichen wollte. Zwischen diesen beiden Provokationen, der neuen tonalen Musik, die damals in den baltischen Staaten aufkam, und späterer Minimal Music kam für mich gewissermaßen alles zusammen. Ich versuchte eine direkter zugängliche, eine lesbarere Sprache mit mehr Unmittelbarkeit zu schaffen. Das sind natürlich alles subjektive Begriffe, aber für mich bedeuten sie etwas.

Komponierst du privat manchmal noch immer nach früheren komplizierten Mustern oder ist das mittlerweile nur noch ein Ding der Vergangenheit für dich?

Naja, das Interessante an der Idee von Komplexität ist doch: Jahrhundertelang galt es als historisch unvermeidbar, dass Harmonie immer komplexer werden würde. So war das Universum nun mal gebaut. Diese historische Unvermeidbarkeit war die Rechtfertigung für die Werke Ferneyhoughs und Schönbergs. Doch ich begann, das zu hinterfragen. Ich finde diese Idee von Komplexität ein bisschen irreführend. Denn was ich heute mache, ist das Resultat eines langwierigen, fordernden Prozesses der Simplifizierung. Es erscheint simpel, aber ich arbeite sehr hart daran, es simpel erscheinen zu lassen. Das heißt nicht, dass es simpel ist. (lacht)

"Wir haben heute nicht mehr 1948, sondern 2020."

Eine weitere wichtige Komponente deiner Werke sind oft gesellschaftspolitische Themen. "The Blue Notebooks" entstand vor dem Hintergrund des Irakkriegs, "Infra" als Reaktion auf die Londoner U-Bahn-Anschläge. Dazu kommen Filme wie "Waltz With Bashir" und "Das Mädchen Wadjda". Hattest du diese Ebene von Beginn an in deiner Musik?

Ja. Auch das ist natürlich meine persönliche Herangehensweise, ich kann dabei nicht für andere Künstler sprechen. Für mich ist Kreativität ein Raum, in dem man diese Ideen betrachten kann, in dem man Fragen stellen kann. Ich finde es nur natürlich, wenn Künstler die Fragen ihrer Zeit stellen. Das ist irgendwie offensichtlich für mich. Künstlerischer Räume eignen sich, um solche Dinge zu betrachten, weil sie partizipative Qualität haben. Die Kunst bietet eine Ebene für Dialog, für kollektives Nachdenken.

Dein neues Album "Voices" steht ebenfalls in dieser Tradition. Wie entstand die Idee, ein solches Werk zu schaffen, ursprünglich?

Das Stück befand sich etwa zehn Jahre lang in Arbeit. Am Anfang stand das Violinen- und Klavierstück "Mercy", das nun am Ende des Albums steht. Es entstand als Reaktion auf die Ereignisse in Guantanamo. Ich schrieb "Mercy" als Weg für mich, über das was passiert war nachzudenken. Ich hatte das Gefühl, dass wir damals als Zivilisation etwas verloren hatten. Die Verbindung zwischen Fakten und Handlungen war verloren gegangen.

In den folgenden Jahren diskutierte ich mit meiner Partnerin Yulia (Mahr; Anm. d. Red.) ein filmisches und musikalisches Werk, das sich dieser Fragen annehmen sollte. Über die Jahre hinweg wuchsen weitere Probleme dieser Art: Der Aufstieg des Rechtspopulismus, die Rückkehr autoritärer Politik, Nationalismus, Xenophobie, Umweltbelastung, technologische Spannungen und jetzt natürlich die Covid-19-Pandemie. Zur Zeit brennen viele Feuer und man fühlt sich schnell etwas hoffnungslos. Ich wollte dieses Stück als Möglichkeit schaffen, darüber nachzudenken. Es soll eine hoffnungsvolle Reaktion auf diese Fragen sein. Deshalb steht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Mittelpunkt.

Was war dein Ansatz, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – einen Text – in Noten einzufangen?

Die Erklärung ist ein großartiger Text. Sie kommt aus dem Zweiten Weltkrieg, entstand also als Antwort auf eine Krise. Gewissermaßen ist sie eine Blaupause – eine Anleitung für eine bessere Welt. Das ist fantastisch und ich wollte das sehr direkt präsentieren, sehr verständlich, roh und unvermittelt. Also sollte der Text nicht gesungen, sondern gesprochen werden. Die Frage war, wie das am besten machbar wäre. Ich stieß auf die Aufnahme Eleanor Roosevelts. Sie ist wundervoll und Roosevelt als Impulsgeberin sehr wichtig für die Geschichte der Erklärung. Nach ihrer Aufnahme springen wir 70 Jahre in die Zukunft zu Kiki Layne. Ihre Passagen nahmen wir vergangenes Jahr auf. Ich wollte sie für den Part, weil sie eine sehr weiche, junge Stimme hat. Die Erklärung ist ein hoffnungsvolles Dokument über die Zukunft, es geht um Potential. Kikis Stimme verkörpert das für mich.

Außerdem wollte ich den demokratischen Aspekt der Erklärung ausdrücken, in der Beschaffenheit der Stimmen selbst. Über Social Media crowdsourcete ich Lesungen, bat die Menschen, uns etwas zu schicken. Uns erreichten hunderte Einsendungen, in verschiedenen Sprachen. Die Leute nahmen Auszüge auf ihren Telefonen auf. Das war super und stellte die dritte Ebene des Textes.

Obwohl die Erklärung freilich noch immer relevant bleibt, wäre sie heute vermutlich in Teilen anders formuliert worden – wie auch du sagst. Warum hast du dich in "Voices" für die Originalversion entschieden?

Tatsächlich habe ich ein paar Stellen geändert. (lacht) Die Erklärung selbst wurde quasi von Anwälten geschrieben. Sie liest sich sehr rechtswissenschaftlich. Ich wählte also Parts aus, die ich als direkt und zugänglich empfand. Und ich änderte hie und da ein paar Worte, denn schließlich haben wir heute nicht mehr 1948, sondern 2020. Der erste Artikel zum Beispiel endet mit dem Wort "brotherhood". Ich machte daraus "community", weil ich fand, dass wir heute diesen Teil des Textes wohl nicht mehr männlich orientiert schreiben würden. Im Artikel zur Ehe geht es um die Heirat von Mann und Frau – ich machte daraus "everyone". Es sind nur kleine Änderungen, um uns den Text näher zu bringen.

Du hast dich für eine unübliche Orchestrierung bei "Voices" entschieden. Erklär das bitte kurz.

Die Orchestrierung des Projekts dient als Metapher. Es gibt doch dieses Sprichwort: "Die Welt wird auf den Kopf gestellt" als Ausdruck für Verwirrung. So nahm ich wahr, was passiert war. Es gab diesen Nachkriegs-Konsens, doch plötzlich scheint etwas schiefgegangen und verkehrt worden zu sein. Ich wollte diese Idee des Auf-den-Kopf-Stellens im Orchester widerspiegeln und kehrte dessen Proportionen um. Statt vielen Violinen und eher wenigen tiefen Streichern, gibt es hier fast nur Bassinstrumente. Wir haben eine große Anzahl Kontrabässe und Celli und nur wenige Streichinstrumente in hoher Tonlage. Die Metapher ist, aus diesem dunkel klingenden Ensemble etwas Hoffnungsvolles, Aufbauendes zu machen.

Stand diese Besetzung von Beginn an fest oder entwickelte sie sich während des Komponierens?

Ja und nein. Ein bisschen hat es sich verändert. Im finalen Performance-Ensemble stehen 24 Celli, 12 Kontrabässe und ein paar höhere Streicher. In den frühen Versionen von "Voices" waren es um die 60 Kontrabässe. Aber nirgendwo auf der Welt gibt es genug Platz für diese Band. (lacht) Deswegen ist es etwas geschrumpft.

"Was Musik einem Film geben kann, ist ein raffiniertes Spiel"

Die Musik von "Voices" wurde geschrieben, um etwas zu betonen, das außerhalb der Musik steht. In dieser Hinsicht ähnelt es Filmmusik, wo du ebenfalls nicht nur Musik um der Musik willen schreibst, sondern mit bestimmtem Hintergrund und Ziel. Ergaben sich Parallelen bei der Arbeit?

Du hast recht, es ist in gewisser Weise ein Storytelling-Projekt. Es geht um einen Text und die Musik ist das Vehikel, um den Text zu präsentieren. Aber abgesehen davon unterschied sich die Arbeit sehr von der an einem Film. Filme sind im Kern kollaborativ. Sie sind im Grunde eine kollektive Übung im Puzzlen. Den Prozess prägt dialogorientierte Gruppenarbeit. Alles wird diskutiert und gemeinsam ausgeknobelt. Was beim Schreiben eines Films passiert, könnte man als kollektives Erkunden bezeichnen. Es gibt viele Parameter, viele Limits, viele Fragen. Bei einem Stück wie "Voices", meinem eigenen Projekt, mache ich exakt das, was ich möchte. Das wars. (lacht) Der Prozess ist also schon sehr anders.

Die Filmmusik für "Ad Astra" zu schreiben, dauerte etwa zwei Jahre, richtig?

Ja, "Ad Astra" dauerte sehr lange, weil sie viel Zeit im Schnitt verbrachten. An dem Film arbeitete ich in zwei oder drei langwierigen Perioden, während der Schnitt voran schritt. Aber es ist ehrlich gesagt ganz schön, so viel Zeit zum Schreiben zu haben. So hat man mehr Zeit, darüber nachzudenken. "Ad Astra" war komplex, der Prozess geprägt vom Austausch mit James (Gray, Anm. d. Red.). Er ist ein fantastischer, sehr bedachter Filmemacher.

Bemerkst du eine Veränderung in deiner Herangehensweise an Filmkomposition, je nachdem wie viel Zeit du hast? Ich schätze, meistens fallen die Zeitfenster dafür sehr viel kleiner aus.

Mehr Zeit ist besser. Das ist einfach so. (lacht) Wenn möglich, beginne ich die Arbeit an einem Filmprojekt noch vor dem Dreh, damit die Musik zusammen mit dem Rest des Materials wachsen kann. Häufig schreibe ich Filmmusik unabhängig von den Bildern, um einen besseren Eindruck vom musikalischen Teil des jeweiligen Universums zu bekommen. Wie fühlt er sich an? Wie sollte er sein? Auch deshalb ist mehr Zeit besser.

Du komponierst also nicht auf Basis der Filmbilder, sondern ausgehend von einem bestimmten Feeling?

Zu Beginn auf jeden Fall. Später, wenn die Bilder da sind und der Schnitt voranschreitet, musst du natürlich am Film weiterschreiben. Aber Musik hat ihre eigene Dynamik. Und es ist wichtig, dass die interne Dynamik der Musik Sinn ergibt und auch abseits der Bilder gut funktioniert.

Dir ist wichtig, mit deiner Musik Denkanstöße zu geben, Konversation auszulösen. Wie passt das mit deiner Tätigkeit als Filmkomponist zusammen? Beim Film steht Musik selten im Mittelpunkt, gerade bei Blockbustern schenken viele Zuschauer ihr kaum Aufmerksamkeit – jedenfalls nicht bewusst.

Es gibt ein breites Rollenspektrum für Musik im Kino – und tatsächlich bei jeder anderen Kunstform, sei es im Ballet, im Kino, in der Oper ... Sobald du weg von "purer Musik", etwa ein Konzert oder ein Album, gehst, wirken andere Kräfte mit. Und auch wenn Leute im Kino die Musik nicht bewusst wahrnehmen, heißt das nicht, dass die Musik nichts auslöst. Wie die Musik mit anderen Elementen interagiert und was sie einem Film geben kann, ist ein raffiniertes Spiel.

Zögerst du manchmal, bestimmte Ideen für einen Film zu nutzen und sparst sie lieber für ein persönliches Projekt, weil du beim Film im Auftrag von jemand anderem arbeitest?

Naja, es wäre ein wenig irreführend, all meine Projekte als unabhängig voneinander zu betrachten. Bei allen wird komponiert und es bin immer ich. Alles ist irgendwie verbunden. Oft nehme ich Elemente, die zum Beispiel in einem Film vorkommen, und setze sie woanders in neuen Kontext, weil mir die kompositorische Idee gefällt. Irgendwie sprechen all die Projekte auf die ein oder andere Weise miteinander.

Woran arbeitest du momentan?

Es wird tatsächlich noch mehr Musik zu "Voices" kommen. Daran arbeite ich gerade. Abgesehen davon steht ein Ballett-Projekt in London an, eine Kollaboration mit Wayne McGregor und Margarete Atwood zu einer Buch-Trilogie ("Maddaddam", Anm. d. Red.). Das sollte eigentlich schon dieses Jahr stattfinden, wurde nun aber auf nächstes verschoben, da natürlich alles abgesagt wurde.

Warum bist du nach Jahren in Berlin eigentlich zurück nach Großbritannien gezogen?

Hauptsächlich aus familiären Gründen, wegen der Kinder, Bildung und verschiedenen anderen Dingen. Ich sehe mich selbst nicht als deutsch oder englisch – diese Denkweise passt eher ins 19. Jahrhundert. Ich sehe mich als europäisch. Jetzt mit all dem Brexit-Nonsens in Großbritannien zu sitzen, ist ein tragischer Witz. Aber wir müssen unser Bestes geben, das zu ignorieren.

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