22. November 2019

"In Jamaika läuft nur expliziter Sex im Radio"

Interview geführt von

Max Romeo gehört zur allerersten Generation von Reggae-Musikern - bis heute zu den bedeutendsten. Kurz nachdem dieser Stil 1968 entsteht, sorgt er mit "Wet Dream" für einen Eklat, als die BBC den Song wegen sexueller Anzüglichkeit boykottiert. Für Romeo ist die negative Publicity super und beschert ihm den ersten Hit. Kurz darauf konvertiert er zur Rastafari-Religion. Fortan hält er Sex- und sogar Liebesthemen aus seinen Songs fern. Von Sozialkritik handeln viele Texte. Teils sind sie sogar tagespolitisch.

Sein viertes Album "War Ina Babylon" entsteht mit Lee 'Scratch' Perry und einer Phalanx an Superstars der Reggae-Szene. Danach rückt der Künstler lange nie wieder so recht ins Rampenlicht - trotz langer Touren und vieler Alben. Erst mit "Words From The Brave" gelingt ihm im Sommer 2019 endlich wieder die Rückkehr in die großen Plattenläden. Seine Message wird gehört. Gute Videoclips begleiten das Album.

Hat man ihn auf der Bühne als eine Art Prediger wahrgenommen, überrascht sein Verhalten im Interview. Das Gespräch verläuft wie mit einem guten Kumpel. Der altehrwürdige Rasta-Sänger hat Spaß am Entertainment. Freimütig blickt er auf die Jahrzehnte zurück. Am 22. November wird der ergraute, jung gebliebene Vokal-Hero der Dub-Bewegung und des 'Conscious Reggae' 75 Jahre alt. Ein Interview über sein Leben und seinen Nachwuchs.

Max, du hast viel über Babylon gesungen und bist der Richtige, um dich zu fragen: Was ist wichtig über 'Babylon' zu wissen?

Jeder weiß übers Babylon-System Bescheid: Dass es unterdrückt, dass es aggressiv ist – oppressive and agressive. Es ist das System des Westens. Aber es ist auch wie das System des antiken Babyloniens. Deswegen klassifizieren wir es als Babylon.

Viele Leute haben die verkehrte Vorstellung, Babylon sei die Polizei. Ein Polizeibeamter ist aber nicht Babylon, weil er nur ein verlängerter Arm Babylons ist: Das heißt, als Teil von Babylon führt er dessen Anweisungen aus.

Man kann Babylon nicht auf Personen reduzieren, weil es ein System ist. Man arbeitet fürs System, zumal wenn man für einen Mindestlohn arbeitet, weil natürlich die Arbeitgeber Steuern ans 'Babylon System' zahlen. Meistens drücken die Steuerabgaben dein Geld netto auf einen Mindestlohn. So funktioniert Babylon.

Du hast als Teenager mit deiner Musikkarriere angefangen, als Jamaika gerade unabhängig wurde, 1962 warst du 18. Holen wir mal ganz weit aus: Damals teilte sich die Welt ins sozialistische und kapitalistische System und die 'Entwicklungs'-Länder – aber Jamaika zählten wir damals noch nicht unter die Entwicklungsländer, das kam erst später. Kuba, damals als Aushängeschild des Sozialismus, habt ihr in Jamaika als Nachbarland erlebt.

Die Zeit ab den mittleren 70ern ist ja ganz gut dokumentiert. Wie war die Zeit davor, bis dahin? Wie beschreibst du das Lebensgefühl in den 60ern, frühen 70ern?

Okay, bedenke, wir erlebten einen Übergang vom Kolonialismus in die Freiheit. Wir waren aber gefangen. In meinem Kopf, wenn ich an diese Zeit denke, hab ich uns nicht als unabhängig gesehen – nicht wirklich unabhängig. Die Queen hat uns mindestens 30 Jahre beschert, 1962 bis 1992, in denen die Kinder der Sklavenhalter, The Slavemasters' Children, die Führung des Landes an sich rissen.

In meinem Kopf sehe ich mein Land immer noch nicht als unabhängiges Land, weil die Queen lange immer noch faktisch Staatschefin war. Es ist sehr heuchlerisch: Die meisten Leute sehen uns als unabhängig an, weil sie selbst innen drin im System stecken und nach außen blicken. Leute wie ich (lacht) standen außen und guckten rein – stellten es infrage. Gut, das ist meine Realität.

Während wir also diesen Übergang erlebten, gab es eine Reihe unerwarteter Veränderungen. Weil es in Babylon für alles eine Gehirnwäsche gab: Wenn etwas so und so zu sein hatte, war es sofort akzeptiert, dass es so und so zu sein hat. We just go with the flow, ya know.

Kommen wir zur Musik. Du trittst auf Festivals in Europa immer noch auf, als Teil der Pionier-Generation des Reggae: Marcia Griffiths, The Heptones, Jimmy Cliff, Toots and the Maytals, The Skatalites, Clinton Fearon von den Gladiators, und auch du – ihr werdet wohl nicht mehr ewig hier touren. Trotzdem sehe ich wenig Bewegung im Reggae-Konzertbusiness. Auf nahezu allen Line-Ups steht Jahr für Jahr Alborosie ganz oben: Süditaliener, der sich quasi als Jamaikaner 'claimt' - auch nicht mehr der Allerjüngste. Echter Nachwuchs aus Jamaika kam hier in den letzten Jahren kaum welcher an, auch wenn viele talentierte Leute bei dir zuhause in den Startlöchern zappeln: Micah Shemaiah, Kazam Davis, Shanique Marie oder deine Tochter Xana, um ein paar zu nennen. Wo bleibt denn die nächste Generation?

Oh ja. Das Problem ist, dass die Musikindustrie auf Jamaika, wenn du sie denn überhaupt so nennen kannst, die Dancehall-Ära am Laufen hält. Das meiste davon – nicht alles, aber das meiste - ist inhaltsleere Musik, ohne Botschaften. Dancehall ist wie Gehirnwäsche. Diese Musik glaubt fest daran, dauernd expliziten Sex ins Bewusstsein rufen zu müssen. Sie überschattet die Roots and Culture-Musik.

Und das ist Teil des Problems, das du beschreibst. Wenn du in Jamaika bist: Du drehst das Radio an, und alles, was du hörst, ist Boop Boop Chik Boop Boop – vorgetragen von entweder Leuten, die überhaupt nicht verstehen, was in der Welt passiert, oder von sonst irgendwas einen Plan haben.

Die Botschaften fehlen. Meine Botschaft finden die im jamaikanischen Radio immer etwas 'zu stark'. Ich weiß nicht, was sie damit meinen. Aber siehst du, sie wollen die Leute nicht wissen lassen, was um sie herum passiert.

Und die Roots and Culture Music ist eine Musik, die das Bewusstsein schärft. Wir versuchen zu erzählen, was um uns herum geschieht. Dinge, für die diese Dancehaller blind sind. Wir Roots-Musiker hingegen nehmen uns die Zeit, hinzugucken und teilen unsere Eindrücke mit dem Publikum.

Nun warst du gerade in Frankreich. Ein Land, in dem man mühelos die ganze Musik des Black Power Movement, alten Soul und Funk, in jedem Plattenladen findet. Hast du den Eindruck, dass deine Sorte Musik dort einen höheren Stellenwert hat?

Nun, ich bin in Frankreich nur, wenn mich die Arbeit hinführt. Tatsächlich lebe ich ja in Jamaika. Aber mein Eindruck ist, die Leute wollen über Rastafari-Kultur etwas erfahren. Und sie lieben es zu hören, was in der Welt heute geschieht. Das macht mich als Künstler in Frankreich so beliebt – ich habe die Message, die sie hören wollen. Die Franzosen lieben die Roots and Culture, Bob Marley, Peter Tosh. Sie bewegen sich nicht Richtung Dancehall. Sie messen der Roots-Musik noch einen Wert bei.

Und auch dem Dub-Style, sogar auf den Festivals, oder?

Ja, das stimmt.

Man sagt, dass du die Platte "Words From The Brave" (die Mitte Juli 2019 unser Album der Woche war), in Frankreich aufgenommen hast und mit einer Band aus Frankreich oder in Teilen französischen Musikern. Ist das korrekt?

Ja. Roots Heritage heißt die Band, und die meisten davon spielen seit Jahren mit mir schon lange unter dem Namen Charmax Band (Anm.: u.a. Rudi Bennett, Keyboard; Rico Gaultier und Pierre Chabrèle, Bläsersätze; Dominique Marie-Joseph, Bass). Meine ganze Familie sind Musiker, und die meiste Zeit touren wir zusammen: Azizzi Romeo, Romario, Xana Romeo, ich und auch meine ältere Tochter Azanette, die alles zusammen hält.

Möchtest du uns zum Beispiel deine Tochter Xana vorstellen?

Im Moment verbringe ich nicht jeden Moment mit meinen Kindern. Sie brauchen nicht dauernd meine Hilfe, sie finden auf natürliche Weise ihren Weg durchs Musikgeschäft. Ich bin aber auch beeindruckt, dass ich zu 100 Prozent hinter dem stehen kann, was sie tun. Wann immer sich eine Gelegenheit bietet, stelle ich sicher, dass sie mit mir gemeinsam auf Tour gehen. Jetzt gerade haben Xana und ich zwei Festivals zusammen in England und Frankreich bestritten. Es ist eine Family Affair...

(singt Sly & The Family Stone: "It's a family affai-ai-air...", lacht)

Gibt es denn irgendwelche Hindernisse für deine Tochter Xana? Ich meine: Wie lange wird es dauern, bis sie eigene Festival-Auftritte in Deutschland, Belgien oder England spielt? Was denkst du?

Oh, sie ist bereit. Sie hat auch schon eine Show in Europa ohne mich gemacht. Und die lief ziemlich gut. Sie hat ihr Profil. Sie ist startklar, um alles zu machen. Ich nehme sie aber auch weiter mit, um ihr und den anderen zu zeigen, wie man ein großes Publikum in den Griff kriegt und damit umgeht. Sie wollen eben auch nicht meine Songs singen, sondern ihre eigenen Sachen schreiben. Das finde ich gut. Eine gute Einstellung. Sie schreiben auch wunderschöne Texte und gute Songs.

In der Reggae-Szene hier waren viele vom Song "Mercy Please" sehr beeindruckt. Da geht es darum: Legalisierung des Cannabis-Anbaus wurde durch eine Gesetzesänderung in Jamaika ab April 2015 detailliert geregelt. Profitiert haben davon aber nicht die kleinen Subsistenzbauern.

Ja, davon handelt auch mein eigener Song "Farmer's Story". Da geht es um die kleinen Farmer. Also all die, die sich keinen Traktor leisten können. Die Machete und Heugabel in die Hand nehmen, um ihre Arbeit zu machen. Um das bisschen zu produzieren, was ihnen möglich ist. Sie stehen auf der Leiter ganz unten auf der untersten Sprosse. Ihnen wird nicht allzu viel Aufmerksamkeit zuteil. Die Großfarmer mit einer Menge Hektar und einem Maschinenpark, das sind diejenigen, die Beachtung von der Regierung erhalten.

Alle Energie floss ins Marketing für Bob Marley

1976 ist ein sehr bedeutendes Jahr in der Musikgeschichte. Damals erscheint dein Album "War Ina Babylon" mit Lee 'Scratch' Perry. Auf der Suche nach dem Erscheinungsdatum habe ich mich sehr schwer getan.

Ich auch. Weil ich gar nicht wusste, dass es herauskam. Es war irgendwann im Frühling, als ich gemerkt habe, dass das schon seit einiger Zeit veröffentlicht war. Das hatte mir keiner gesagt. Das Jahr stimmt auf jeden Fall, es war 1976 veröffentlicht. Mit der Arbeit daran hatten wir 1975 angefangen.

Spürtest du zu dieser Zeit, dass gleichzeitig Dub, Disco-Funk und Punk neue Stile waren, dass allgemein etwas in Bewegung war und du Teil von etwas Neuem warst? Auch von etwas Experimentellem im Sound?

Ja, ich liebte es an der Seite von einem Genie wie Lee Perry zu arbeiten. Er machte das Unmögliche möglich in seinem Produktionsstudio. Mit Lee Perry an einem Projekt zu arbeiten, bedeutete: Wenn ich einen Fehler machte, wurde gestoppt. Er bestand darauf den Fehler zu korrigieren. Das half mir mich tatsächlich zu entspannen und erleichterte es mir. Ihm zu vertrauen, das machte das Album "War Ina Babylon" möglich. Lee Perry ist ein Perfektionist.

Ich frage mich: Wenn dann jemand eine Passage sampelt - nehmen wir das Intro zum Song "Chase The Devil", das Jay-Z benutzte - zögerst du? Fragen die Leute dich vor dem Sampeln? Ich meine, er hat es gut gemacht und ist einer der talentiersten Rapper. Aber denkst du generell in solchen Fällen, 'oh das ist cool, wenn sie das sampeln'?

Nein, ich hatte nie Kontrolle über dieses Album. Das hat uns Island Records ausgespannt, man kann sagen: 'cheated', denn nachdem das Album veröffentlicht war, habe ich keinerlei Promotion dafür bekommen. Weil Bob Marley auf Tour war. Alle Aufmerksamkeit und Energie floss in das Bob Marley-Ding. Wir wurden einfach beiseite gestellt und übergangen. Wir waren auch ermüdet davon irgendwie aus dem Vertrag rauszukommen.

Dieser Vertrag mit Island hatte auch etwas mit unserem Fortschritt zu tun, er hatte damit zu tun, dass man 'das Best Of' unter Vertrag hatte, das heißt mit Bob Marley im internen Wettbewerb stand. Ich habe nach "War Ina Babylon" viele Anfragen diverser Plattenfirmen bekommen. Davon konnte ich nichts annehmen, denn ich hatte exklusiv bei Island Records unterzeichnet, und dort wurde aber rein gar nichts für mich getan. Siehst du? Daher habe ich die Puzzleteile aufgesammelt und mir Verbündete gesucht, gegen Island eine Art Komplott begonnen. Die hatten damals Third World, Toots and the Maytals, all die Künstler, von denen sie sich ausrechneten, dass diese vor Bob Marley Angst haben würden.

Sie stellten sicher, dass die alle unter Vertrag waren, stellten sie dann aber nur ins Regal und schickten Bob Marley raus an die Öffentlichkeit. Als Vorhut für uns. Bob machte einen guten Job. Aber für niemanden sonst von uns allen brachte das einen Vorteil. Die Türen waren geschlossen. Amerikas Gesellschaft konnte nicht zu viel von unserer revolutionären Musik auf einmal aufnehmen. Ich versuchte es so sehr ich konnte, aber die Türen blieben geschlossen und öffneten sich nicht mehr.

Hm, ich habe mir aber mal die Charts aus der zweiten Hälfte der Siebziger angeschaut. Bob Marley war kein gut verkaufender Künstler in den USA – zu jener Zeit. Das begann lange nach seinem Tod, als "Iron Lion Zion" posthum in 1992 und in einer von Best Of's, Anthologies, Greatest Hits rauskamen. Aber zu jener Zeit?!

Also ich sage dazu: Island Records hat Millionen Dollars aus ihren eigenen Budgets für all die Magazine und Interviews und fürs Radio ausgegeben, um sich selbst dort hineinzukaufen. Um Aufmerksamkeit zu erregen.

Also zusammengefasst: Island hat eine Menge für Bob Marley-Promo ausgegeben und nichts für andere Künstler?

Ja, genau das ist der Punkt. Ich meine, ich sage das nicht aus Wut heraus oder irgendwas. Weil … Was Bob für uns getan hat, war großartig. Er hielt diese Musik im Rampenlicht. Wenn du von Max Romeo noch nie gehört hast, musst du wenigstens von Bob Marley gehört haben. Da steckte natürlich eine gute Sache in dem, was er tat. Es tut mir Leid, dass er so früh von uns ging. Möge seine junge Seele Ruhe finden.

Bei Lee Perry war der ganze Umgang mit der Musik experimentell

Mir fiel auch auf, dass einige Künstler wie Jimmy Cliff die Plattenfirma damals wechselten und bei Island weggingen. Er machte einen Vertrag mit Warner, dann mit EMI, allen möglichen Labels. Du hast jetzt quasi beantwortet, warum er wohl Island verließ.

Nein, ich denke nicht, dass er bei Island wegging, sondern dass er aus dem Island-Vertrag freigekauft wurde und sie sich das bezahlen ließen. Er war 'in', und man konnte aus seinem Namen Geld machen, wie bei Bob Marley. Ein kommerzieller Name. Aber er wollte wohl Arbeit im Sinne von 'Jah' machen.

Sobald du aber kommerziell wirst, kannst du keine spirituellen Werte mehr verbreiten, sondern landest auf der Überholspur. Das heißt, du fängst an, auf kaltblütige Leute zu vertrauen. Besser behältst du deinen Kopf aufrecht, biegst gar nicht in die Überholspur ein. Man braucht doch diese Scheiße nicht. Eigentlich braucht nur einen Joint, und Meditation. Damit will ich nicht sagen, dass zum Beispiel Bob Marley nicht wusste, worin die Gefahr der Überholspur bestand. Ich will gar nichts über ihn sagen und keine Gerüchte streuen.

So oder so, es sollte auch in einer Meilenstein-Rezension über deine Platte nicht so sehr um Bob Marley gehen. Auf Camping-Plätzen von Reggae-Festivals wirst du hier in Europa deine Songs hören, wie "Chase The Devil", "One Step Forward" oder "Uptown Babies Don't Cry". Die A-Seite ist sehr, sehr bekannt. Daher möchte ich dir mal die Gelegenheit geben, die B-Seite vorzustellen. Zum Beispiel über "Smile Out A Style".

"Smile Out Of Style" heißt: wenn du nicht mehr lächelst. Wenn du ein wütendes Gesicht hast. Da ging's um Zorn. Wenn du ein wütendes Gesicht zeigtest, hatten die Leute damals noch Angst vor dir. (lacht) Der Inhalt von dem Song ist: Du wirfst dein Lachen weg, checkst es auf einem Schiff ein und es segelt davon.

Wovon handelt "Norman The Gambler"?

Norman ist ein Freund aus meiner Jugend, ungefähr so alt wie ich oder ein bisschen älter. Wir arbeiteten bereits, und in unserer Freizeit nach der Arbeit hatten wir Spaß, wenn wir uns zum Kartenspielen, Domino, solchen Sachen, trafen. Dabei gab es eine Rollenverteilung. Er war der 'Hausmeister', und in seiner Rolle sammelt er eine Steuer ein.

Jedes Mal, wenn jemand ein Spiel gewinnt, erhebt Norman eine Steuer und sammelt sie ein. Und es gibt eine Regel in dem Spiel: Wenn etwas schief geht und du einen Fehler gemacht hast, bekommst du eine zweite Chance, indem du den anderen Teilnehmern eine Kleinigkeit gibst - wir nannten das 'a less', ein Weniger. Dann kommst du zurück ins Spiel.

Norman war aber der Typ, der sich darauf nicht einließ, sondern: Wenn du ihm 'a less' angeboten hast, wollte er 'more'. Daher der Text: 'If you ask for a less, he said he wants more, more, more. Der Song basiert also auf einer leibhaftigen Erfahrung und ist keine Fantasie, sondern Wirklichkeit. Das war so eine kleine Nische, da haben wir unseren eigenen Raum geschaffen und uns so gegenseitig entertaint. So entstand dieser Track.

Der Raum, in dem ihr aufgenommen habt, war das Black Ark Studio. Das kann man nicht mehr besuchen, weil es abgebrannt ist. Wie muss man sich das Gebäude vorstellen, war es einfach nur eine Arbeitsumgebung? Immerhin der Ort, an dem Dub geboren wurde.

Es war ein kleines Mini-Studio. Das heißt, es gab ein 8-Spur-Tape und du hast 16 Spuren rausbekommen, das hat sich verdoppelt. Es war eine ganz kleine Einrichtung. Worauf es aber ankommt: Der ganze Umgang mit der Musik war experimentell. Ich wünschte, wir würden heute die Zeit haben um eine Platte so aufzunehmen. Wenn wir sie hätten, könnten wir’s nicht finanzieren. Zum Beispiel arbeitete er (Anm.: Lee 'Scratch' Perry) mit allem, was er bekommen konnte.

Auf der Platte "War Ina Babylon" steht als Name Max Romeo & The Upsetters. Wer gehört denn dazu, und habt ihr euch dazu alle im Studio getroffen? Oder habt ihr die Spuren getrennt aufgenommen?

Naja, in Jamaika, in der Reggae-Industrie kennt jeder jeden, weißt du. Jeder ist irgendwie mit jedem befreundet. Wir waren darauf angewiesen gemeinsam an einem Strang zu ziehen, um die Sache zum Laufen zu bringen. So kannte ich zum Beispiel Boris Gardiner aus der Zeit, als er 21 war und bei einer Gruppe namens den The Rhythm Nations sang. Mich faszinierte, dass er ein Typ war, der wirklich sehr gut einen Bass stimmen konnte und darüber Bescheid wusste, und so kam er zu den Upsetters.

Er hatte auch ein paar Hits als Sänger in England in den 80ern.

Ja, genau, er ist ein Allrounder. Produziert hat man damals wirklich zusammen, das war die Idee, um eine Melodie hinzubekommen. Heute ist das anders, umgekehrt: Da macht man einen Riddim, du sendest den Riddim herum, damit andere einen Song dazu schreiben. Du bekommst den Riddim vorgegeben, um daraus eine Melodie zu basteln. (lacht)

Stimmt es, dass du dann auch mit Marcia Griffiths im Studio standest?

Ja, da war sie - und noch eine weitere Background-Sängerin, Cynthia Scholas. Leider ist sie sehr jung verstorben. Sie war so eine großartige Sängerin. Dann waren auf einem der Tracks noch Marlene Webber als Stimme (Anm.: Cover-Sängerin, die Soul-Titel auf Reggae-Beat neu sang) und zwei Mitglieder der Heptones (Anm.: dienstälteste Vokalgruppe Jamaikas).

Dann mal eine spezielle Frage. In diesem Song "Norman (The Gambler)" gibt's eine ganz tolle Saxophon-Passage. Wer hat die gespielt? Erinnerst du dich?

Boah. Hm, das könnte Val Bennett gewesen sein. (lange Pause) Oder... Nein, ich denke, das war Val Bennett, denn das war der angesagte Hauptsaxophonist im Umfeld von Lee Perry zu der Zeit. Ich glaube, der war's. Ist es ein Tenorsaxophon? Oder ein Altsaxophon? Egal, ich bin mir jetzt sicher: Das war Val Bennett.

Anm.d.Red.: Val Bennett gehört ebenfalls zur Pionier-Generation des Reggae und Dub. Er hat sich aus dem Jazz und Ska heraus das Saxophonspiel angeeignet und auch solo ein Instrumental herausgebracht. Damals, 1969, wusste noch keiner, wie man Reggae schreibt, weshalb dieses schöne Stück "Raggae City" hieß:

Zurzeit hat Def Jam, Hip Hop-Label des Universal-Konzerns, die Lizenz, das Album "War Ina Babylon" zu vertreiben.

Das Album ist wie eine Prostituierte und geht von Hand zu Hand. So wie eine Prostituierte von Mann zu Mann geht. Die machen da alle Geld damit, aber sie geben mir nichts davon. Weißt du … Ich weiß nicht, es ist so, wie ich vorhin sagte, wir wurden hintergangen.

Ich wurde da ausgetrickst, und weiß nicht, was Lee Perry da verhandelt hat. Er hat einen Vertrag mit Island Records geschlossen, aber mehr als das weiß ich nicht. Ein Drittel der Einkünfte floss wohl irgendwohin - aber die Sache war: Ich war damit beschäftigt über 'höhere Dinge' zu schreiben. Da beanspruchte ich nichts von dem Album, an Tantiemen oder solcher Scheiße.

Auf dem Album "Horror Zone" 2016 hast du wieder mit Lee Perry zusammen gearbeitet. Lass uns mal darüber sprechen. In Deutschland gab es dafür keinen guten Vertrieb, aber...

(unterbricht) Es wurde nirgends gut vermarktet oder promotet. Daniel Boyle, der die Produktion machte, kümmerte sich um nichts weiter. Er wollte nichts dafür tun. Zu mir kam auch keiner, um eine Konzerttour daraus zu machen. Ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie sie mich auf dem Album behandelt haben. Ich hab die Songs nirgendwo auf Shows gesungen, es gab keinerlei Booking, keine Gelegenheit es zu bewerben. Ich wurde dafür auch nicht entschädigt.

Als Sänger merkst du, dass etwas nicht promotet wurde, wenn das Publikum nicht nach den Songs fragt. Normalerweise tut das Publikum das nämlich. Dann fragen sie: 'Warum singst du nicht "Wet Dream"? und dann sage ich 'Das gehört eigentlich nicht mehr zum Profil, aber okay, ich tu euch heute Abend einen Gefallen und spiel es ausnahmsweise, damit das morgen niemand vermisst.'

Naja, ich verstehe schon, dass die Leute das wollen, was sie kennen. Nach dem Motto 'Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.' Trotzdem sind für mich einige Songs auf dem "Horror Zone"-Album wirklich großartige Titel, die vieles andere aus unserem Jahrzehnt überragen, zum Beispiel "Scammer Jammers". Findest du nicht?

Ja, es ist ein brillantes Album. Ich hab extrem viel Zeit damit verbracht, die Songs dafür zu schreiben. "Words From The Brave" entstand viel leichtfüßiger, da kamen die Songs so von selbst.

Aber trotzdem, was "Horror Zone" betrifft, haben sie nichts gehalten, was sie versprochen haben, überhaupt nichts für die Platte in Bewegung gesetzt. Die haben einfach den Namen 'Max Romeo' genommen, um es als Selbstläufer zu verkaufen. Aber so funktioniert das halt nicht. Du musst die Leute schon 'verführen'. Du musst es so machen, wie Baco Records es jetzt angeht mit "Words From The Brave". Das ist das, was ich von einem Label erwarte.

Du hast vorhin deinen Zeitgenossen Toots Hibbert von Toots and the Maytals erwähnt. Ich bewundere ihn sehr - wenn man so will, den Urheber oder Erfinder von Reggae-Musik. Gibt es denn irgendwas über ihn, was du weißt, das wir vielleicht nicht über ihn wissen?

Ach, alles was ich weiß, ist das, was jeder weiß: Er ist ein verdammt guter Künstler, und ein guter Songwriter, sehr freundlicher, wobei launischer Kerl. Ich kenn ihn seit Jahren. Wir haben uns erst spät zusammengeschlossen, aber ich kenne ihn ganz aus der Anfangszeit, schon ewig. Wir begannen beide in der Revival Church, so wie dann auch das meiste von seiner Musik wie ein 'Revival' klingt. Ganz toller Typ, würde ich sagen. Das ist alles, was ich sagen kann.

Ihr habt euch aber auch persönlich getroffen?

Ja. Ich hab ihn oft getroffen. Wir haben viele Male Shows zusammen gemacht.

Das heißt, ihr habt euch die Bühne bei manchen Songs geteilt?

Nein, kombiniert traten wir nie auf. Wir haben zusammen Gigs gehabt, das hieß, er machte seine Show, ich machte meine. Yeah.

Hast du irgendwelche Fragen an uns?

Oh, nicht wirklich. Ich möchte meinen Fans noch sagen: Ich bin immer noch auf Tour, sehe euch hoffentlich bald. Und, wisst ihr: Lasst die Vibes fließen, lasst die Flagge wehen, verbreitet die Liebe überall. Gebt nicht vorschnell auf, denn: Erfolg über Nacht kommt nicht über Nacht. Wir sehen uns!

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