7. September 2020

"Eigentlich müsste ich ganz wütende Musik machen"

Interview geführt von

Sich von Nick Cave inspirieren lassen, die dunkelsten Punkte der Familiengeschichte ans Licht zerren und trotzdem die leichtfüßigste Platte seiner Karriere hinlegen: Maxim erzählt, wie das geht.

Die letzten Jahre war es recht still um Maxim. Das ziemlich unfrohe "Das Bisschen Was Wir Sind" hatte die Erwartungen nicht erfüllt, die sein Hit "Meine Soldaten" seinerzeit in schwindelnde Höhen geschraubt hatte. Außer einer akustischen "Reprise" hörte man danach zunächst nichts mehr. Bis vor nicht allzu langer Zeit eine grüne Feder ins Bild schwebte.

Der Vorbote zum neuen Album war das, und wer dachte, nach einer düsteren und einer düstereren Platte musse nun die düsterste folgen, hätte weiter nicht daneben liegen können. "Grüne Papageien" entpuppte sich als Maxims bisher leichtfüßigstes, lebensfrohstes Werk - und das, obwohl er darauf die aller-allerdunkelsten Stellen seiner Familiengeschichte thematisiert. "Die Asche Von Claude" handelt von Kindesmissbrauch, und Maxim spricht - auch - darüber.

Wenn man nur alle paar Jahre miteinander zu tun hat, hat das auch sein Gutes: Es gibt immer genug zu erzählen. Wie ist es dir ergangen, seit "Das Bisschen Was Wir Sind"?

Wow ... das ist jetzt ... aber echt! Aber ich kanns dir sehr gut runterbrechen: Ich bin richtig auf die Fresse gefallen, künstlermäßig. So richtig doll. Ich war der Künstler, der erwartet, dass jedes Sandkorn des Mandalas, das er da gerade zustande gebracht hat, sich verewigt, und dann landet es halt leider doch im Fluss. Ich hab' das gar nicht akzeptiert. Ich war gar nicht bereit, so schnell wieder neu anzufangen. Ich hab' voll damit gerechnet: Jetzt kann ich arbeiten. Aber das Album ist halt einfach gefloppt. So richtig. Und das ist ja grundlegend gar nicht so schlimm, das ist ja alles Zufall, das ist auch okay. Aber ich hab' halt nicht damit gerechnet. Ich hab' da zu viel auf Leute gehört, die alle überzeugt waren. Ganze Plattenfirmen, 'ne große Plattenfirma dachte: Jetzt gehts rund, und so. Irgendwann glaubst du das dann auch. Ehrlich gesagt, hat mich das ziemlich unvorbereitet erwischt und es war ein dickes Stück Arbeit, das erstmal abzuschütteln. Nach 'nem Jahr haben wir noch die "Reprise" gemacht, die runtergebrochene Version vom "Das Bisschen Was Wir Sind"-Album. Das war schön, das hat Spaß gemacht, aber natürlich auch noch ein bisschen Arbeit gekostet. Das war Ablenkung, eher, würde ich sagen.

So ungefähr ein Jahr später hab' ich so langsam wieder angefangen, irgendwie Mut zu schöpfen. Aber ich war schon down. Was in dem Lied "Marseille" der Refrain ist, das ist der O-Ton meiner Freundin, die irgendwann zu mir gesagt hat: "Heute! Jetzt müssen wir fahren. Heute Nacht. Sonst is' nicht mehr. Ich glaub', wir sind in einer Woche nicht mehr zusammen, wenn wir hier weiter bleiben." Das war die Notbremse, die sie da gezogen hat, und ich war schlau genug, mal zuzuhören. Das war tatsächlich so ein Wendepunkt, dass wir da runtergefahren sind. Das waren auch nur fünf Tage oder so, dann hatte ich wieder einen Gig. Aber wir sind da wirklich so die Nacht durch mit dem Auto von meiner Mutter kurz runtergeballert. Völlig im Stress, ganz mies, mit Herzrhythmusstörungen ... ich war echt im Arsch. Aber trotzdem die Nacht durchgeballert, und dann sind wir da angekommen - und dann wurde das innerhalb dieser fünf Tage ungefähr siebenhundert Prozent besser. (Lacht) Das war echt krass. Ich hab', glaub' ich, noch nie so einen krassen Kontrast in der Stimmung erlebt.

Manchmal kapiert man sowas ja erst im Rückblick. War dir in dem Moment schon bewusst, dass das ein Wendepunkt ist?

Ja. Ja, sofort. Ich hab' das sofort gemerkt. Das war einfach krass, so: Okay. So ist das also, wenn man einfach Spaß am Leben hat! (Lacht) Das ist ja megageil.

"Staub" war ziemlich düster. "Das Bisschen Was Wir Sind" war noch düsterer. Ich hatte ja schon ein bisschen Angst vor dieser neuen Platte, weil ich mich fragte: Wo soll das hinführen, wenn das so weitergeht?

Das ging ja auch nicht. Du hast vollkommen Recht: Das kann ja nicht sein. So stell' ich mir auch mein Leben nicht vor, dass ich immer noch tiefer in den Mariannengraben sinke. Ich hab' dazwischen auch noch die Platte von Max Herre mitgeschrieben, in der Zeit, die ja auch alles andere als eine Happy-Platte war. Da hab' ich auch irgendwie notdürftig Cowriting/Therapie gemacht, das war auch nicht easy. Mir war für mein Ding auf jeden Fall klar: Ich muss anders denken, ich muss da anders ran. Und das war dieser Wendepunkt. Einfach da unten in Marseille sitzen und auf einmal ganz krass spüren: Ey, mich ziehts da nicht mehr hin. Ich will da nicht mehr hin. So. Ich war jetzt lange genug unglücklich. Das ist alles interessant und da gibts auch viel zu entdecken. Der Abgrund ist einfach auch interessant für die Kunst. Aber ich hab' die Nase voll. Das war einfach mein Gefühl, ganz deutlich.

Also tatsächlich eine bewusste Entscheidung? Viele sagen ja, glücklich sein müsse man auch wollen.

Ja, so ist das. So war das. So leicht, wie ich das jetzt sage, war das natürlich im Nachhinein nicht. Aber das war zumindest der Moment, in dem ich das gemerkt habe. Ich schlage jetzt einen Weg ein, ab hier, bei dem es darum geht, dass ich zufrieden sein muss. Ich will mein Leben genießen. Das ist eine Entscheidung, die man fällen kann. Dann ist das nicht so, dass man dann sofort glücklich ist und dass alle Sachen, die dafür gesorgt haben, dass man das vorher nicht war, dann weg sind. So funktioniert das natürlich leider nicht. Aber man kann sich entscheiden, dass man sich auf den Weg begibt. Das hab' ich dann gemacht. Da sind auch ziemlich heftige Hürden aufgetaucht, da kommen wir im Gespräch sicher auch noch drauf. Das war jetzt alles andere als eine Spazierfahrt. Das war nicht mit Einmal-nach-Marseille-Fahren gemacht, natürlich nicht. Aber das war auf jeden Fall der Anfang.

Du würdest also meinen Eindruck bestätigen, dass "Grüne Papageien" mit Ausnahmen, zu denen wir noch kommen, das mit Abstand Vergnügteste ist, das es von dir je zu hören gab?

Ja. Die Reggaeplatten muss man da mal rausnehmen, das jugendliche Ich, nicht das erwachsene Ich. (Lacht) Ja, seh' ich ganz genau so. "Folie/Fön" auch, da sind ja mehrere Songs drauf, die einfach sehr bejahend sind. Es ist einfach wunderschön, keine Ahnung, das wäre mir auf jeden Fall auf der Platte davor niemals über die Lippen gegangen. Und ich hab' mir das natürlich erarbeitet, mit der Historie, dass das geht. Zumindest war das mein Gefühl: Ich kann das ja machen! Ich laufe nicht mehr Gefahr, weißt du? Ich kann das auch einfach mal zulassen, dass ein Moment kitschig ist. Je nach Kontext ist das einfach auch schön. Oder okay. Weil wir sind halt Menschen, keine Roboter oder irgendwelche krassen Überwesen, die die ganze Zeit irgendwo im Schlamm nach Diamanten suchen. So sind wir halt nicht.

Keine Automaten.

(Lacht) Keine Automaten, genau. Wir finden das halt einfach auch mal okay. Kitschig ist auch mal in Ordnung. Wenn sich das für einen Moment gut anfühlt, ist das doch gut.

Find' ich interessant, weil: Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben, hast du dich gegen die Zuschreibung "Pop" überhaupt nicht gewehrt, gegen den Begriff "Kitsch" aber mit Händen und Füßen. Auf gar keinen Fall durfte ich irgendetwas "kitschig" nennen.

Ja, so ändert sich das. Das ist ja auch die Aufgabe, dass man sich von dem einen zum nächsten Ding verändert. Und es ist natürlich auch die Frage, wie man Kitsch definiert. Ich finde, das ist immer eine Frage des Kontextes. Ich hab' zum Beispiel gelernt: Kitsch ist ja eine Kunstform, das stammt aus einer gewissen Zeit. In diesem Kontext können kitschige Sachen total geil aussehen. Dalí zum Beispiel, wenn ich das richtig verstanden habe - ich bin jetzt kein Kunstwissenschaftler - das ist durchaus auch kitschig. Und ich liebe Dalí. Das ist genau das, was zum Beispiel "Grüne Papageien" ist: Das ist für mich die Übersetzung von einem Dalí-Gemälde.

Glückwunsch, du bist vor kurzem Vater geworden. Als ich das gelesen habe, hatte ich wirklich kurz Angst, weil es - und damit sind wir wieder beim Kitsch - so wahnsinnig viele kitschige Songs gibt, in denen frisch gebackene Väter ihren Nachwuchs anjaulen. Ich bin sehr dankbar, dass du mir so einen erspart hast. Es gab nur eine Zeile in "Wie Man Loslässt": "Plötzlich ist sie da, ihr kleines Herz pocht wie wild."

Ja, danach auch: "Wie ist ihr das nur gelungen?" Die ganze Strophe, eigentlich. Wie hat sie das gemacht, wie ist sie durch das ganze Chaos zu uns geflogen? Was für ein schöner Zufall! (Lacht)

Das soll jetzt nicht abwertend wirken, aber das klang alles so beiläufig erzählt. Ist es schwer gefallen, auf so eine lebensverändernde Sache nicht deutlicher einzugehen?

Nee, überhaupt nicht. Das waren die Worte, die mir eingefallen sind. Für mich sind die auch superemotional. "Wie Man Loslässt" ist für mich ein ganz besonderes Lied, aus einem ganz anderen Grund. Nicht, weil da jetzt irgendwas inhaltlich passiert, sondern irgendwie ist da eine Musik aus mir rausgekommen, die ich wunderschön fand und die mich total befreit. Das macht in mir was Positives, was Gutes. Ich fühl' mich gut, wenn ich das höre. Und das war schon vorher da.

Die Textzeilen kamen hinterher. Da war erst ganz viel Füllzeug drin. Ich wollte unbedingt diese Melodie singen, ich musste nur noch was schreiben, das das nicht kaputt macht. Das war eigentlich die Aufgabe bei dem Lied. Und das ist superschwer, das hat sich dann herausgestellt als echt nicht einfach. Dass jeder Satz da irgendwie so stehen muss und irgendwas aussagt, das nicht ganz so konkret wird und nicht zu bedeutungsschwanger, aber irgendwie doch auch ... weißte? Das war voll die Gratwanderung, und ich bin da wie noch nie zuvor einfach meinem Gefühl gefolgt. Dass ich sagte: Das entscheidet jetzt nur mein Gefühl. Sobald ich denke "Ürks!", dann ist das das Falsche, und sobald ich denke "Ja, das geht jetzt irgendwie nicht kaputt", is' gut. Und dann ist halt das dabei rausgekommen. In der Strophe davor gehts um den Tod, dann musste in der Strophe danach die Geburt kommen. Eigentlich ziemlich logisch.

"Darüber spricht man nicht."

Das ist der erste Track auf dem Album und war auch tatsächlich der erste, den ich gehört hatte. Ich hatte den Eindruck, dass dieses Loslassen diesmal das Kernthema des Albums ist.

Voll. Und mit allen Sachen, die dazugehören. Du musst es ja erstmal in die Hand nehmen, betrachten, und dann kannst du es loslassen. Erstmal musst du ja begreifen, was es überhaupt ist, was du loslassen willst. Zumindest versuchen. Am Ende gehts ja nochmal richtig zur Sache mit meinem Großvater und "Die Asche Von Claude". Das hat alles dazu gehört. Das kann man ja nicht einfach so loslassen. Zwischen Loslassen und Verdrängen ist schon ein großer Unterschied, das kann man vielleicht auch gar nicht komplett voneinander trennen. Aber man kanns halt versuchen. Man kann sich drauf einlassen. Wie ich eben sagte: Man kann sagen: Ich begeb' mich jetzt auf so einen Weg, indem ich das einfach versuche. Und, ja: Das ist die Einleitung davon. "Wie Man Loslässt". Auch die Geburt meiner Tochter, wie das alles aufgewühlt hat. Diese ganzen Kindheitstraumata, die da irgendwie am Ende noch hervortreten, die sind da auch mit zur Welt gekommen. Ich würde das alles nicht so verromantisieren, die Geburt eines Kindes. Das war wunderschön, das ist diese Seifenblase, wie in dem "Grüne Papageien"-Video: "Welch sonderbar schillernde Seifenblase", das ist genau das Gefühl, das auch da war. Aber es war auch einfach die Asche meines Großvaters, die auf einmal überall wieder lag, und ich hab' gemerkt: Das ist nicht geil. Ich muss da jetzt irgendwie ran.

Ich hab' auch eine Therapie angefangen, weil ich gemerkt hab': Ich schaff' das nicht alleine. Ich will nicht, dass meine Tochter da auch durchmuss. All diese Schwere, "Staub", "Das Bisschen Was Wir Sind", das ist ja genau das. Ganz viel davon ist das. Das hab' ich gelernt. Das ist meine Mutter, die einfach traumatisiert ist, ihr ganzes Leben lang. Und ich, der das vererbt gekriegt hat. Da weiß man mittlerweile mehr drüber. Immer noch nicht viel, aber man weiß mehr darüber. Es gibt zum Beispiel diese Kinder der KZ-Opfer, die da auch nochmal durchmüssen. Ich hab' das einfach viel zu früh alles erfahren und dann halt einfach verpackt. Darüber sprichst du mit niemandem, wenn du 14 bist. Du gehst nicht zu deinem Kumpel und erzählst: "Mein Großvater ist ein Missbrauchstäter, das ist voll scheiße." Da sagst du eher: "Können wir weiter übers Kiffen sprechen?"

Normalerweise schreibt man da auch keinen Popsong drüber.

Ja, genau. Das macht man nicht. Wie du sagst, eigentlich ist das perfekt formuliert: Man schreibt da nicht drüber. Man spricht da auch eigentlich nicht drüber. Irgendwie ist das das letzte Tabu-Thema, so 'n bisschen. Weil es ekelhaft ist. In diesem Missbrauchsthema gibt es eine Note, die ganz schwer zu überwinden ist. Das Gefühl hab' ich zumindest gehabt, als ich das geschrieben hab'. Sowas schreibt man ja nicht einfach mal so runter. Da musste ich zuerst diesen ganzen Prozess durchleben. Immer wieder dachte ich: So kannst du das nicht sagen, das ist ekelhaft. So konkret kannst du nicht werden, das ist ekelhaft. Du kannst aber auch nicht NICHT konkret werden, weil dann ist es wieder nichts! Du willst ja nun mal sagen, was passiert ist. Du willst es nur mal sagen, damit du es endlich loslassen kannst. Es war total ekelhaft und schwer. Ganz mies.

So eine Sache, der man, egal, wie man sie dreht, wirklich nichts Positives abgewinnen kann, so eine will man vermutlich sehr ungern überhaupt anfassen.

Richtig. Am Ende kann man dem dann vielleicht ... (unterbricht sich) Nee. Es ist einfach nur scheiße. Das ist einfach nur ein mieser Schlamm. Er hat einfach wahnsinnigen Schaden hinterlassen, mein Großvater. Es bricht mir einfach das Herz, immer wieder. Mein ganzes Leben lang hat mir das immer wieder das Herz gebrochen, meine Mutter zu sehen, wie sie darunter leidet. Immer wieder, und auch jetzt, wenn ich das erzähle, tut mir das wahnsinnig weh. Ja. Natürlich ist dem nicht irgendetwas Positives abzugewinnen. Aber es ist eine Aufgabe. Es ist eine Aufgabe, die man annehmen kann, oder halt verdrängen. Und das ist das Positive. Vielleicht. Dass ich das jetzt irgendwie angenommen hab'.

Der Song klingt für mich, als ob du dich trotz allem um Verständnis für deinen Großvater bemüht hast. Du beschreibst ihn ja auch als selbst traumatisierte, kaputte Person. Offenbar hat er sich der Aufgabe, diese Abwärtsspirale aufzubrechen, nicht gestellt.

Ja, das war lange der Versuch. Es ist nicht das Ende des Prozesses, aber da, wo ich jetzt stehe - und auch meine Mutter hat das nach all den Jahren eingesehen - kann ich sagen, dass es so etwas wie Vergebung nicht gibt, in so einem Fall. Das funktioniert einfach nicht. Es funktioniert nur Verdrängung. Und damit meine ich nicht die negative Art von Verdrängung, bei der man alles irgendwie verkapselt und in der Mitte vom See versenkt. Sondern man muss das bis zu einem gewissen Teil einfach zu verdrängen versuchen, um damit leben zu können. So etwas lässt sich nicht vergeben. (Wütend) Mein Großvater war Pfarrer! Das nimmt noch einmal eine ganz ekelhafte Dimension an, wenn man da von Vergebung spricht. Das ist eh alles so biblisch aufgeladen und so religiös, und dann muss man auch noch vergeben. Nee! Ich kann das, the fuck, nicht vergeben. Ich werde es nie vergeben. Niemals. Ich hab' das lange genug versucht, aber: nein.

Fühlt man sich in dem Prozess dann auch irgendwann auf eine Art schuldig, weil man es einfach nicht schafft, zu vergeben?

Ja! Meine Mutter noch mehr. Ich glaube, den Anspruch hat er selber mit auf die Welt gebracht. Die haben ihm vergeben, und er hat die Vergebung noch nicht mal gewollt. Er ist ein kranker Mann. Es ist komplex. Da kann ich ein Buch drüber schreiben, ein sehr dickes Buch, was da alles passiert ist und wie weite Kreise das zieht. Wie kaputt das die Familie gemacht hat, und nicht nur in der ersten Generation, sondern auch in der Generation danach. Wenn ich meine Cousins ankucke, durch was die müssen ... da ist so viel Krankheit, so viel Schmerz und Flucht. Meine Schwester, wir sind in Deutschland. Mein Großvater ist in Frankreich. Alle Mädchen sind auf anderen Kontinenten. Ich hab' keine einzige Cousine, die in Frankreich lebt. Deutschland ist das nächste, sonst: Kanada und Afrika. Die sind weit, weit, weit weg, und das ist kein Zufall. Das glaube ich. Es gibt damit keinen guten Umgang, und, ja: Den Selbstvorwurf, den gibt es auch. Sicher. Den hat es gegeben, dass man gedacht hat, weil man ja christlich erzogen ist, man muss jetzt vergeben. Und dann merkt man, dass man das nicht kann und dass das nicht funktioniert. Dann macht man sich natürlich irgendwelche Vorwürfe. Ich hab' das jetzt einfach angenommen: Ich kann das nicht. Da gibts nichts zu vergeben. Als Kind hab' ich dagesessen und davon geträumt, ihn zu töten. Als er noch lebte, er lebte dann ja nicht mehr besonders lang, nachdem ich das erfahren hatte. Aber ich hab' sehr viele Rachefantasien. Die hab' ich immer noch, ganz oft. Mit der Info ist das mitgekommen, dass ich mein Leben lang so eine Wut in mir trage und viele Gewaltfantasien in mir leben.

Soll man gar nicht denken, bei der ... schönen Musik, die du machst.

Das ist auch sowas, was zum Beispiel interessant ist: Dass ich so etwas sehr Destruktives, Kaputtes, Wütendes in der Musik nicht zulasse. Das fühlt sich für mich falsch an. Ganz merkwürdig. Eigentlich müsste ich ganz wütende Musik machen. Kann man jetzt sagen, dass ich an dem Punkt einfach noch nicht bin. Ich will das immer schön machen. Ich wünsche mir Schönheit und Ästhetik und all sowas. Vielleicht steh' ich einfach noch nicht genug zu dieser Wut in mir. Vielleicht ist das immer noch der Wunsch ... keine Ahnung. Man kann da lange drauf rumtherapieren.

Für mich ist das jedenfalls von im Pop beispielloser Offenheit und Brutalität. Glaubst du, dass du damit ein Genre aufbrichst, das die meisten ja doch eher mit leichter Unterhaltung assioziieren?

Ich glaube erstmal gar nicht an das Wort "Genre". Ich glaube, dass die Vorstellung, die wir davon noch haben, was Popmusik ist und was nicht, mittlerweile auch total obsolet ist. Weil Popmusik ist eigentlich Trap, jetzt. Was die meisten hören und was am meisten im Radio läuft, das definiert, was Pop ist. Das hat nichts mehr mit dem zu tun, das vor zwanzig Jahren oder vor zehn Jahren, vielleicht sogar noch vor fünf Jahren noch als Pop galt. Das, was ich mache, ist eigentlich die größte Nischenmusik, die es überhaupt gibt. Wenn man kuckt: Trap wird ja in Massen konsumiert. Irgendein Kid kommt gerade neu, hat gerade mal vier Lieder, und hat vier Millionen monatliche Hörer, und Udo Lindenberg hat 500.000. Oder so. Und alle kucken nun mal auf Spotify, alle kucken da drauf! Auch wenn das natürlich nicht den Geschmack abbildet, zumindest nicht in der Gänze, kucken ja alle drauf. Deswegen ist das jetzt gerade total komisch, überhaupt zu versuchen zu definieren, was noch Pop ist. Mein Eindruck, den ich erkenne, am Feedback und daran, wie "relevant" das jetzt gerade ist, ist, dass man jetzt bei dem, was ich mache, jetzt mitnichten noch von Pop sprechen kann. Zumindest nicht in der Bedeutung, die wir dem eigentlich beimessen. Wenn man jetzt sagt, musikwissenschaftlich, dann ... jjjaaa. Das sind Akkorde, die vielleicht die Beatles auch benutzt hätten. (Lacht) Dann ja, okay. Aber im Sinne von "Populär-Musik" müssen wir das eigentlich neu definieren, find' ich.

Ich versteh' ja, dass man sich gegen Genre-Begriffe wehrt, weil man sich Begrenzungen auferlegt, wenn man sich in eine Schublade stecken lässt ...

(Unterbricht) Ja, Mainstream! Weil das immer gleichzeitig auch den Geschmack von Mainstream hat! Damit tu' ich mich ein bisschen schwer, weil ich gerade bei dieser Platte eigentlich nicht glaube, dass das besonders mainstreamig ist. Es gibt sicherlich Momente, aber wenn man dann sagt: "Das ist Pop" ... auch wenn es das für mich auch IST! Ich würde immer noch sagen, ich mach' Popmusik. Natürlich! Aber die Gefahr, die ich dann laufe, ist, dass ich dann gleichzeitig damit sage, das ist irgendwie Mainstream, mainstreamige Mucke. Und das, würd' ich mal sagen, ist doch echt mitnichten der Fall, oder?

Ich würde doch mal dick unterstreichen, dass das nicht so ist. Wenn ich "Maxim" sage, sagen natürlich immer erstmal alle: "Ah, Maxim von K.I.Z.". Dann sag' ich: "Nö, der Popsänger Maxim." Dann hast du "Popsänger" gesagt, und alle sind gedanklich bei ...

... Mark Forster!

Ja. Halt bei diesen Giesingers und wie sie alle heißen, diesen ... ich verachte ja den Begriff "Songpoeten". Eigentlich ist ja klar, dass du, obwohl du etwas ganz anderes machst, mit in dieser Schublade landest.

Ja. So ist das. Da kann ich auch nichts gegen machen. Das ist ganz merkwürdig. Das liegt eigentlich daran: Wir haben halt eine ganz schwache Musikkultur in Deutschland, die nicht differenziert ist. Ganz einfach. Es gibt Hip Hop ... (unterbricht sich) Gerade wir! Wir sind ja dieselbe Generation. Wir sind aufgewachsen mit Hip Hop. Ich bin auch aufgewachsen mit Hip Hop. Das ist für mich "die coole Musik". (Lacht)

Ja. Isso.

Und dann gibt es noch "die andere Musik". Ich mach' seit zwanzig Jahren Musik. Ich bin mittlerweile natürlich differenziert. Aber ich kanns auch nicht von allen erwarten, dass die das genau so raffen können wie ich. Ich kann denen nur erzählen, welche Rolle die deutsche Popmusik in meinem Schaffensprozess spielt. Nämlich überhaupt keine. Es gibt keinen einzigen Moment in der Entstehungsphase einer Platte, die ich mache, in dem ich darüber nachdenke, das höre oder in dem dieses Deutschpop-Ding irgendeine Rolle spielt. Ich höre das nicht, ich hab' damit keine Berührungspunkte, und dieser Begriff, dieses Gespräch, das kommt dann, wenn ich die Platte rausbringe, das erste Mal. Das ist schon interessant. In jedem Gespräch wird das dann auf einmal ein Thema. Auch weil die intelligenten Journalisten natürlich merken: Das ist ja bei Maxim komisch, der hatte ja diesen Hit, der da eigentlich auch nicht so richtig reinpasst, aber irgendwie ja doch, weil er halt im Radio lief und weil er schon in dem Moment 'nen modernen Sound hatte oder dies oder jenes, und danach kam dann diese große Welle, wo die dann alle drin waren.

Ich muss ja jetzt keinen Namen nennen, ist ja auch Quatsch. Die sollen ja machen. Ich will das nicht mehr. Ich hab' ja viel drauf rumgehackt, eigentlich ist das ja aber total kleingeistig. Mittlerweile find' ich eigentlich, das ist auch okay. Ich kanns nicht beeinflussen. Das einzige, das ich zugeben muss, ist, dass mir dieser Vergleich wehtut. Ich will gar nicht schlechtreden, was die machen. Die machen ihr Ding, und viele, viele Menschen in Deutschland lieben das und sind dann glücklich, auf dem Konzert. Eigentlich will ich jetzt nicht sagen, die sind alle dumm oder sowas. Auch wenn ich das, ehrlich gesagt, manchmal denke, find' ich das eigentlich uncool, dass ich das denke. Weil: Wenn die glücklich sind, ist doch alles okay.

Du machst seit zwanzig Jahren Musik. Ich schreib' seit fast zwanzig Jahren über Musik, ich bin also wahrscheinlich auch kein Maßstab. Ich bin halt immer wieder am ehesten verblüfft darüber, wie billig sich das Publikum abspeisen lässt. Darüber, mit wie wenig Aufwand, Liebe und Originalität Massen zu begeistern sind.

Ja, das denk' ich natürlich auch. Weil ich ja so viel auf mich nehme, feile und versuche, zu denken, und dann was auf die Beine stelle, mit akribischer Arbeit, und dann kommt nachher doch dieser Vergleich. Das ist wahrscheinlich, was mir dann so wehtut. Aber manchmal denk' ich auch: Ich hab' ja gar keine Ahnung, wie viel Liebe jetzt einer von denen da reinsteckt, wie akribisch der arbeitet und wie doll der das liebt. Vielleicht doch auch genauso doll wie ich, und das transportiert sich - es ist halt einfach nur für andere Leute. Ich nehm' jetzt einfach nur mal dich und mich rein, weil wir ja schon ein paar Mal gesprochen haben: Ich glaube, wenn wir Musik hören, dass dann das erste ist, dass wir so viel denken. Dass wir nicht nur mit dem Herz die Musik hören, sondern auch ganz viel mit dem Kopf. An der Hürde muss man erstmal vorbei, um das Herz überhaupt erst zu erreichen. So ist es zumindest bei mir. Ich kann nicht meinen Kopf ausschalten und irgendwas vom Horizont singen und den symbolischen Regen irgendwo in die Hook bringen und an das Wir-Gefühl appellieren - das funktioniert nicht. Da komm' ich nicht irgendwo hin, wo ich irgendetwas fühle. Das muss alles erstmal an meiner Hürde vorbei.

Bei dir ist halt irgendwie immer diese Abgrenzung da: Ja, der macht auch deutsche Popmusik - ABER mit besseren Texten. Ich hab' da das totale Déjà-vu, für mich ist das wie damals bei Wir Sind Helden. Da kam dann auch so 'ne ganze Welle solcher indie-angerockten Bands mit Frontfrau hinterher ...

Ja! Juli, Silbermond ...

Genau, diese ganze Blase. Und ich hatte damals schon das Gefühl, dass Wir Sind Helden in dieser Welle, die sie selbst mit losgetreten haben und in die sie eigentlich gar nicht reingepasst haben, immer 'n bisschen abgesoffen sind.

(Lacht) Ja. Ein rückwirkender Schaden. Dass man Schaden nimmt, rückwirkend, das ist schon was, das ich manchmal traurig finde. Gerade "Meine Soldaten", das ist halt ein Lied, hinter dem ich immer noch komplett stehe. Ich sing' das mittlerweile, wenn ich das live singe, anders. Ich hab' das noch mehr weggerückt, von dieser Radioversion, sozusagen. Aber natürlich denk' ich manchmal: Es ist schon krass, wo das gelandet ist. Ohne, dass ich da irgendwas dafür oder dagegen tun konnte. Ich hab' ja einfach nur das Lied gemacht, genau so, wie ich jedes andere Lied auch gemacht habe. Mit komplett reinem Herzen. (Lacht) Da gab es nie einen kommerziellen Hintergedanken. Das war die letzte Chance, "Staub", die Platte. Zumindest war das mein Gefühl damals: Da muss jetzt schon irgendwas passieren, sonst wird das wohl eher nichts mit der Musikkarriere und mir.

Ich hab' aber damals schon gewusst, damals wie heute, dass ich mir keinen Vorteil darüber verschaffe, irgendwas aus der Retorte zu schreiben. Weil das machen ja alle. Ich hatte das Gefühl: Ey, du hast vielleicht irgendsoein Talent, du kannst vielleicht irgendeinen geilen Song schreiben, mit 'nem besseren Text. Dann ist das deine Chance. Der bin ich gefolgt. Ich hab' halt gedacht, dass das schlau wäre. Und ich hab' viel geopfert dafür. Könnte man vielleicht jetzt auch fantasieren: Wenn ich das anders gemacht, wenn ich all die anderen Co-Writer und Produzenten zugelassen hätte, die ich dann hatte. Dann halt nicht Farhot nehmen, sondern den Typen, der halt auch die ganzen anderen Sachen produziert hat ... hätte ich ja alles machen können, zu dem Zeitpunkt. Hab' ich nicht gemacht. Wenn ich das gemacht hätte, weiß ich nicht, ob ich dann heute glücklicher wäre, aber ich wäre vielleicht sehr viel reicher. (Lacht) Das hab' ich geopfert. Und für das Opfer möchte ich gerne Anerkennung kriegen, nicht nachher einfach hören: Ist halt auch so einer wie die. Das ist, was mich dann manchmal ärgert oder was wehtut.

"Mir hat noch nie eine Platte so wehgetan"

Ich hab' gelesen, du hast dich für den Song "Die Asche von Claude" von Nick Caves "Skeleton Tree" inspirieren lassen?

Ja. Was ist das für ein Album! Eins der krassesten, die ich je gehört habe. Das ist ein unfassbares Album, mir hat noch nie eine Platte so wehgetan wie die. Unerträglich. Die erste Zeile direkt: "He fell from the sky, crash landed in the field near the river Adur" direkt die erste Zeile, und wenn ich das jetzt sage, krieg' ich direkt bis in die Füße Gänsehaut. Das ist auch ein anderer Schmerz. Das ist überhaupt nicht dieses "Wish you were here"-Ding oder sowas. Das geht so tief, das ist viel fieser. "Skeleton Tree" ist einfach "Skeleton Tree", dieses Bild verkörpert diese Platte. Es ist nüchtern und unfassbar emotional gleichzeitig. Woah, Alter, ich weiß nicht, durch was man da läuft. Und dann gibts ja noch einen Film, den musst du dann danach noch kucken.

Neben persönlichen Verlusten, um die es bei "Skeleton Tree" ja geht, ist Missbrauch wahrscheinlich das sensibelste Thema, das es überhaupt gibt. Da fällt es doch wohl extra schwer, die richtigen Worte zu finden - falls es die überhaupt gibt. Überdenkt man da seinen eigenen Text noch einmal, um nicht versehentlich jemanden zu verletzten und zu triggern?

Ja. Ja, ja. Auch im Nachhinein, als es schon längst fertig war, war das auch nochmal ein Prozess. Ich musste das ja zeigen, meiner Mutter, meinem Vater, die ja alle drin vorkommen. Das hat richtig krass viel aufgewühlt. Das war echt krass. Ich hab' auch Freunde gefragt: Gibts irgendeine Chance, dass man das missverstehen kann? Dass man zum Beispiel denkt, da gehts nicht um meinen Großvater, sondern um meinen Vater oder so. Das darf ja auf keinen Fall passieren, mein Vater ist wunderbar und fern - FERN! - von irgendwie sowas. Fern, fern, fern! Das musste ja irgendwie klar sein. Aber er spielt natürlich als der Mann meiner Mutter eine Rolle, und er musste auch sehr darunter leiden. Als meine Schwester zur Welt kam, hat meine Mutter zu ihm gesagt: "Wenn du so wirst, wie er, dann töte ich dich." So. Das hat meine Mutter gesagt. Meine Mutter ist wahnsinnig mutig, weil sie sich all dem stellt und zulässt, dass ich das jetzt hier zum Beispiel dir erzähle. Was ist das für eine Frau, die sagt: "Ey, ich hab' das gesagt, ich steh' dazu." Und warum steht sie dazu? Weil sie nicht der Heilung im Weg stehen möchte. Weil sie sich für meine Tochter wünscht, dass ich jede Chance habe.

Ich bin Künstler, ich sag' alles laut. Wenn sie mir das verbietet, ist das natürlich für mich ganz krass. Wenn ich das größte Thema, das ich in meinem Leben mit mir rumgeschleppt habe, nicht aussprechen darf. Das weiß sie, und deswegen sagt sie zu mir: "Okay, rede drüber. Es ist gut, du hast Recht. Mach' das, das hilft vielleicht. Vielleicht ist das die Heilung, die halt passieren muss." Mein Vater hat erstmal richtig krass Angst gekriegt: "Gott! Wenn das jemand falsch versteht, muss ich ins Gespräch mit ihm ..." Ich hab' ihm versichert: Das wird niemand falsch verstehen. Ich werd' alles dafür tun, dass das nicht passiert. Ich werde nicht mit Journalisten von der Bild sprechen, die das dann irgendwie reinschreiben, weil sie es witzig finden oder so. Sondern ich werd' nur mit Leuten sprechen, die ein Gehirn haben. Sowas wird nicht passieren.

Ja, wie du sagst: Ich musste jedes Wort auf die Waage legen. Ich musste genau kucken: Ist jede Information richtig gesetzt? Und ich musste trotzdem gleichzeitig auch kucken, dass es nicht zu eklig wird. Die Grenze des Erträglichen, das war bei dem Song immer die Frage. Da gabs auch noch 'ne andere Strophe, die ich dann wegmachen musste. Ich hab' das Leuten gezeigt, und das war immer das Thema: Ist das jetzt noch erträglich? Oder nicht mehr?

Es ist sicher auch schwer, wenn man etwas tausendundeinmal durchdacht hat, mit der ganzen Denkerei das Gefühl nicht zu töten.

Das kann man leider nicht töten. Bei dem Ding lässt sich das nicht töten. Da laufe ich leider keine Gefahr. Mein Leben lang, seit ich das weiß, laufe ich damit rum. Leider wird sich dieses Gefühl nicht töten lassen.

Darum, ungewollt und versehentlich jemanden zu verletzen, geht es auch in "Alter Freund". "Wenn ich auch blind um mich geschlagen habe, wollte ich doch nicht, dass es dich trifft." Passiert dir sowas häufiger?

Ja. Das war aus der Phase, von der ich vohin schon erzählt habe, nach "Das Bisschen Was Wir Sind", als ich so hart down war. Als mein Freund und mein Manager hat derjenige, der mich am engsten begleitet hat, durch mein ganzes Schaffen, es halt immer abgekriegt. Leider. Irgendwann hatte der dann halt verständlicherweise keinen Bock mehr drauf. Da geht es ja um Depressionen, im Endeffekt. Ich hab' halt bisher keinen Umgang damit gehabt. Ich hab' auch nie 'ne Therapie gemacht, erst - wie ich eben erzählt hab' - als meine Tochter zur Welt kam und ich angefangen hab', über die Sachen mit meinem Großvater nachzudenken. Da musste ich dann auch sagen: Ich schaff' das anscheinend nicht alleine. Seitdem wird das erst besser. Vorher hab' ich mich da halt irgendwie so laienhaft mit Musik durchtherapiert. Ja, viele Leute mussten unter mir leiden. Das muss ich schon zugeben, ehrlich gesagt.

Für mich hat sich der Song wie eine Weiterführung von "Buntstifte" angefühlt. Da ging es ja auch um Depressionen und vor allem darum, was diese Krankheit mit dem Umfeld der Betroffenen macht.

Richtig, das sind die beiden. Bei "Buntstifte" gings um meine Schwester. Die hat das alles ein bisschen früher durchlebt, was ich jetzt in den letzten Jahren durchgemacht habe. Sie ist noch viel tiefer gefallen, hat sich aber auch schneller wieder hochgerappelt. Das ist ja auch teilweise 'ne Chance, bei so einer Depression: Wenn man sehr schnell sehr tief fällt, dann hat man sich noch nicht so dran gewöhnt, an die Depression. Dann kann das sein, dass man das schneller in Angriff nimmt. Bei mir gingen die Wellen nicht ganz zu weit nach unten und nach oben. Dafür ist es ganz schwer, die Muster zu beseitigen. Irgendwie ist das ein bisschen zäher. Aber es ist natürlich das gleiche Gefühl.

Wenn man solche Probleme von außen betrachtet, muss man sich eingestehen, dass man irgendwann an den Punkt kommt, an dem man nicht viel helfen kann. Die Erkenntnis "Du kannst eh viel besser schwimmen", gehts auch da wieder ums Loslassen-Können?

Voll. In dem Bild ist es natürlich so, dass ich zu spät merke: Okay, ich hab' das jetzt hier wohl kaputt gemacht und es ist halt zu spät. Alles, das ich versuche, um es wieder heil zu machen, klappt irgendwie nicht und macht es noch schlimmer. Wir können nicht mehr kommunizieren, es funktioniert nicht mehr. Und jetzt muss ich wohl einfach akzeptieren, dass ich uns nicht retten kann und dich gar nicht retten brauche, weil es dir eh besser geht. Eigentlich gehts dir nämlich sogar nur schlecht wegen mir. Da muss man dann loslassen. Und das ist das Verrückte: Wenn dieses Gefühl von Loslassen einsetzt, dann ist das - bei mir zumindest - meistens der Moment, wo ich anfange zu heilen und wo dann auf einmal auch alles besser wird, wo ich gesund werde. Das geht dann direkt auch alles auf meinen Körper. Ich werd' krank. Ich krieg' irgendwelche Schilddrüsenkrankheiten oder irgendsoeinen Kack.

Das ist echt Wahnsinn, wenn man merkt, wie eng Körper und Psyche zusammenhängen. Ich hab' mich immer für einigermaßen stabil gehalten, bis ich vor etlichen Jahren mal wirklich finanzielle Engpässe hatte. Dann hatte ich plötzlich auch massiv Magenschmerzen und Herzrasen und solche Scheiße. Alter! Ich hatte vorher nie Magen- oder Herzprobleme. War aber plötzlich da.

Ja. Da hat dein Körper den Job dann übernommen, den du nicht gemacht hast. Du hast gedacht: Ich versuch' das mal zu verdrängen, mir gehts ja gut. Nur irgendwann sagt der Körper dann halt: Nö. Gehts dir eben nicht. Und wenn du dich nicht kümmerst, um mein kleines, armes Herz, dann mach' ich jetzt mal, dass es rast. (Lacht) So einfach ist das.

Als wir uns das letzte Mal gesprochen haben, sagtest du, bei dir drehe sich immer alles um drei Themen: Liebe, Tod und Politik. Auf dieser Platte erscheint mir der Politik-Anteil jetzt sehr reduziert.

Politik muss ich ein bisschen umdefinieren. Das hab' ich damals so gesagt, aber was ich eigentlich meinte, ist Ungerechtigkeit. Politik ist so ein bisschen das Unterwort von dem, das ich meinte. Eigentlich ist es das, was aus Ungerechtigkeit resultiert, was oft krasse Songs macht. Aber ja, das stimmt. Dieses Album, das hat nur mit mir zu tun. Irgendwie war das nach dem letzten Album einfach durch. Ich hatte bei der letzten Platte einen sehr zerstörerischen, aber genauen Blick auf die Welt geworfen. Ich hab' damit niemandem geholfen, mir erst recht nicht. Wenn ich auf die Welt draufkucke, dann muss ich aber auch realistisch draufkucken. Das bin ich ihr ja schuldig. Und das konnte ich jetzt einfach nicht. Das war jetzt zu viel verlangt, das nochmal zu machen. Ich wollte ja, dass es mir gut geht. Das einzige, das dann irgendwie funktioniert hat, war so eine positive Form von Eskapismus, dass man sich flüchtet in irgendwelche schönen Gefühle, schöne Erinnerungen, ins Verliebtsein, solche Dinge. Eskapismus im positiven Sinne. Nicht im Sinne von: Ich nehm' Drogen, ich geh' weg. Sondern: Ich konzentriere mich darauf, was wegführt von diesem all zu nüchternen, kalten Blick, den ich vorher hatte.

Dass sie vor den Problemen davonlaufen würde, kann man dieser Platte wirklich nicht vorwerfen.

Ja, aber das sind dann jetzt halt meine Probleme, nicht die Probleme der ganzen Welt. Die Platte will ja viel weniger als die davor. Da hab' ich ja irgendwie alles gewollt. Da hab' ich gedacht, ich geh' ganz tief, dahin, wo es wehtut. Bin ich nicht! Ich hab' ja nicht schon auf dem letzten Album "Die Asche Von Claude" geschrieben. Das ist da, wo es richtig wehgetan hat. Ich wills jetzt nicht schlecht reden. Ich finde, es ist immer noch 'ne geile Platte, ich bin total stolz drauf und zufrieden, immer noch. Aber ich hab' mir schon auch bisschen ins Fäustchen gelogen. Das muss ich im Nachhinein zugeben. Ich hab' halt gedacht, ich bin da gewesen ... war nicht so. Ich hab' mich abgelenkt. Ich hab' mit so 'ner latenten schlechten Laune auf die Welt gekuckt und hab' gedacht, ich bin ganz schlau, wie ich sie so sehe, ganz schlau in meiner Depression. Aber ich bin halt nicht da hingegangen, wo es wehtut. Ich hab' nicht das versucht, was wirklich schwer ist: da rauszugehen, ohne dumm zu sein. Ohne Dummheit. Nicht einfach so: Ich mach' mich jetzt dumm, kuck' die ganze Zeit nur irgendwelchen Scheiß und pfeif' mir Drogen ein, dann gehts mir gut, mal kurz. Sondern: Wie komm' ich da raus und bleibe ich und bleibe schlau und mach' das heil? Wie mach' ich was wirklich Positives?

Das ist ja eigentlich noch viel schwerer. Ohne ein Mönch zu werden. Ich will ja auch kein Mönch sein. Ich will ja nicht Gleichmut lernen, das ist nicht mein Job. Ich bin Musiker, ich stürz' mich ja mit allem, das ich hab', in menschliche Emotionen. Gleichmut ist nicht der Weg, der gilt bei mir leider nicht. Dann müsste ich ja irgendwelche Mantras singen. "Ich bin ein Sandkorn." Was ich teilweise auch gemacht hab', auf dem Album davor! Wie "Nichts", das war ja der Versuch, so: Ja, ich weiß, alles von nichts gekommen, bla, bla, bla. Aber das war ja nicht das, was ich wirklich gefühlt hab', wenn ich ehrlich bin. Ich bin Künstler, ich möchte mich verewigen. (Lacht) Ganz ehrlich! Ich bin kein fuckin' Mönch! Ich bin gar nicht gut darin, Mönch zu sein. Ich will mich verewigen. Ich möchte, dass Leute mich in siebentausend Jahren immer noch hören.

Auch, wenn du mit dieser Platte unüberhörbar da hingegangen bist, wo es wehtut, klingt sie doch beschwingter und leichter als vieles davor. Hat da auch mit reingespielt, dass du diesmal selbst produziert hast?

Ja, voll. Und auch die Jungs, die dabei waren, meine Musiker. Ganz laut muss da drinstehen, dass das der Philip Breidenbach war, der Gabriel Denhoff und Nicki, Niklas Schneider. Das waren die Hauptpersonen, Drums, Gitarre und Keys, die immer wieder reingelaufen sind und die halt einfach auch geil spielen. Das macht so Bock, wenn du so Jungs hast, die das auch lieben, mit denen du abnerden kannst und mit denen du einfach aufnimmst. Weißt du, wenn ich das alles einspiele ... das mach' ich ja erst mal. Ich fang' ja meistens an und spiel' die ganzen Sachen. Dann bin ich aber halt einfach nicht so gut, dass ich das in zwei Takes irgendwie reinknüppel', und dann fängt es wieder an, irgendwie so kopfig zu werden. Dann guck' ich auf meine Finger, dann wird das so eine Schnippelei.

Sich dann einen zu holen, der sich das einmal anhört, einmal kurz 'n bisschen rumklimpert, dann zwei Takes spielt, mit komplettem Herz: Dann passiert das, was sich für mich nach schöner Musik anhört, nach Leichtfüßigkeit. Sachen, für die ich mir den Arsch aufreißen müsste, machen die einfach elegant. Das ist ja Eleganz, wie bei einer Turnerin: Die macht ja, dass etwas leicht aussieht. Ich muss mich da abkrüppeln, um etwas einzuzocken .... Es sind auch Sachen drin, die ich gezockt habe, aber das sind dann die ganz einfachen Sachen. Sobald das so ein bisschen schwerer wird, muss ich tausendmal einspielen, krüppel' mir einen ab, mir tun dann schon die Finger weh und ich hab' Blasen und all sowas. Und die kommen halt rein, und das ist für die das Leichteste der Welt. Das ist für die nix, gar nix. (Lacht) Aber das ist ja auch gut.

Der Philip, der ist Gitarrist. 'N richtig geiler Gitarrist, das ist einfach was anderes. Der macht das die ganze Zeit. Die ganze Zeit, in der ich sitze und schreibe und produziere und sonst was mache oder Interviews gebe, sitzt der da und spielt fuckin' Gitarre. Ist doch klar, dass der das tausendmal besser kann. Die haben dann auch noch einen super Geschmack - so Jungs waren da halt dabei. Nicki, der kennt sein Schlagzeug, das macht so Bock, einfach. Jemand zu haben, der genau weiß: So, lass' mal hier das Mikro noch bisschen so stellen, der dann schön leise spielen kann, und dann klingt das richtig fett, auch ...

Das ist, was über die Jahre immer besser geworden ist: diese Möglichkeit zu arbeiten, mit Leuten, die toll sind. Das ist so schön einfach. Dann dauert das nicht lange. Da musst du nicht viel schnibbeln, auch. Du kannst das einfach stehen lassen. Da sind so viele Sachen, da ist gar kein Schnitt. Mehr oder weniger alle Drum-Takes: Beim ganzen Album hab' ich da vielleicht fünfmal was geschnitten. Da muss man dann kein Ableton-Typ sein, der jeden Scheiß irgendwo hinrückt. Das ist genau, was daran geil ist: Dass das von Menschen gespielt wurde. Jeder Snareschlag ist ein bisschen anders, da ist nichts Copy/Paste.

Es sind halt unüberhörbar handgespielte Instrumente. Da quietscht auch mal ein Finger über die Gitarrensaite, das hat alles so einen Live-Vibe. Vielleicht ist das auch Wunschdenken, weil mir das gerade wahnsinnig fehlt. Aktuell sind Live-Konzerte einfach nicht möglich - wie war das in den letzten Monaten für dich?

Ja, schon supertraurig. Es ist sautraurig. Es steht halt alles, wir haben das alles geprobt. Wir haben jetzt einen Gig draußen gespielt, wo die Leute in so Sonnenstühlen sitzen. Von der Stadt irgendwas, weißte? Auch umsonst, jetzt nicht ein Gig von mir, wo sich die Leute vier Monate vorher Tickets für gekauft haben. Dann spiel' ich jetzt nochmal einen, den wir jetzt kurzfristig klarmachen konnten, über Kopfhörer, auch draußen, mit Abstand und so. Da freut man sich jetzt schon richtig, dass man wenigstens das machen kann. Aber ich hab' halt gerade auch drei ausverkaufte Konzerte, die immer weiter verschoben werden. Das ist schon bitter.

Aber ich zitier' dich mal: "Alles, was jetzt noch kommt, ist Glück."

(Lacht) Richtig! So isses! Es ist eine Katastrophe, und alles, das danach kommt, das wird um so besser schmecken.

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