1. September 2016

"Soll er halt kommen, der Tod"

Interview geführt von

Im Vorfeld seines Albums "Das Bisschen Was Wir Sind" spricht Maxim über Hoffnung und Vergänglichkeit, Promo und Ausverkauf, Depressionen, Kitsch, Pop und Poesie und findet: Rapper haben es leicht.

Es erschien eigentlich kaum möglich, doch Maxims neues Album "Das Bisschen Was Wir Sind" klingt noch eine Spur melancholischer als der Vorgänger. Wer danach allerdings erwartet, es mit einem bedröppelten Trauerkloß zu tun zu bekommen, dürfte sich schwer wundern: Zur Verabredung in Köln kreuzt ein blendend gelaunter Musiker auf, der soeben die ersten Konzerte mit seinen neuen Songs hinter sich gebracht hat.

Wir haben uns das letzte Mal vor "Staub" gesprochen. Da hatte ich den Eindruck, das erste Majorlabel-Album sei zugleich der letzte Versuch. Wenns da nicht klappt, wars das, mit der Musikerkarriere.

Ja. Man weiß natürlich nicht, ob man das wirklich so durchgezogen hätte. Wahrscheinlich hätte man trotzdem weitergemacht. Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich für mich entschieden: Das muss jetzt laufen. Oder halt nicht.

Top-Ten-Platzierung abgehakt. Kann man sagen: Hat geklappt?

Die Top-Ten sagen ja nichts aus. Man kann mit 4.000 Alben auf der Eins sein, oder mit 20.000 Alben auf Zehn. Aber es war gut. Ich hab' gut viele Platten verkauft. (Lacht)

Geht man an das nächste Album jetzt mit weniger Druck heran? Oder mit noch mehr, weil die Fallhöhe größer ist?

Es ist jedes Mal neu. Ja. Vielleicht. Man verklärt ja immer die Vergangenheit. Jetzt denkt man: Damals war alles viel leichter. Das ist natürlich Quatsch. Damals war auch alles superkrass. Kann ich ganz schwer beantworten. Ich merke jetzt auf jeden Fall: Man hat höhere Erwartungen. Beim letzten Mal dachte man: Wahrscheinlich wirds eh keine Sau interessieren. Jetzt denkt man: Wäre schon echt traurig, wenn es keine Sau interessieren würde.

Aha. Du willst also schon im Mittelpunkt stehen.

Mittelpunkt ist mir scheißegal. Ich kann irgendwo stehen, aber die Leute sollen da hinkucken.

Wie ist es dir ergangen, seit "Staub"?

Wunderbar. Alles hat sich zum Guten gewendet, in der Zeit. Ich bin viel getourt, teils mit ganz neuen Musikern, da sind dicke Freundschaften entstanden. Alles hat sich noch mehr gefestigt, mein Management und ich, das Label ... das ist alles toll, so. Ein gutes, sicher stehendes Team.

Die Auftaktkonzerte mit dem neuen Material sind auch schon gelaufen. Wie wars?

Das war herrlich, richtig befreiend. Man hat so lange an den Songs geschrieben, und man weiß ja nicht, wie das dann auf der Bühne ist. Dann probt man, da weißt du immer noch nicht, wie das auf der Bühne ist. Wenn du dich dann hinstellst und es funktioniert, ist das schon ein geiles Gefühl. Da kannst du dich auf einmal reinfallen lassen. Es ist viel schöner, neue als alte Songs zu singen. Normal, weil man da halt noch viel enthusiastischer ist.

Fürs Publikum ist es vielleicht andersrum.

Ja, genau. Aber diesmal ... die sind sehr offen gewesen. Das waren tolle Konzerte, geile Stimmung. Wir haben natürlich auch kleinere Läden genommen, bei denen wir wussten, dass wir sie ausverkaufen. Das waren da sicherlich schon so die Hardcore-Fans, die einfach immer kommen. Die wollten dann auch die neuen Songs hören. Das war ja auch so angesagt: Da stell' ich euch das neue Album vor.

Das ist vermutlich der Trick: dass die Leute eben nicht damit rechnen, dass sie die alten Hits zu hören bekommen.

Drei Songs vom alten Album hab' ich gespielt. Die Hits haben sie schon gekriegt. Ich will das ja auch gern. Bei der nächsten Tour werd' ich natürlich wieder mehr alte Sachen dazunehmen, weil ich da länger spielen kann. Es ist ja jetzt nicht so, dass ich das scheiße finde, überhaupt nicht. Muss man halt ein bisschen anders spielen, dann findet man es wieder geil.

Seit "Staub" hast du - zumindest mehr als vorher - auch in den Mainstreammedien stattgefunden. Wie fühlt sich das an?

Pfft. Alles gar nicht so spektakulär, ehrlich gesagt. Ich bin jetzt nicht so der Typ, der zum Morgenmagazin geht und sich das dann hinterher ankuckt. Ich bin halt da, spiel' da, dann kommt der nächste Tag. Ich vergess' das dann auch.

Vermeidest du absichtlich, dir das hinterher anzuschauen?

Nö. Ich vermeide das nicht, es interessiert mich nicht so sehr. Man kanns ja eh nicht mehr ändern, was soll ich mich also noch groß damit auseinandersetzen? Mit "Mainstreammedien" meinst du wahrscheinlich schon so die etwas glatteren Sachen?

Genau. Morgenmagazin trifft es ziemlich gut.

Ich mach' dort ja nichts anders. Ich geh' nicht hin und muss mich verstellen. Ich hab' da gespielt, dann stellen die mir drei Fragen, aber ich muss mich da ja nicht hinstellen und so tun, als sei ich jemand anderes. Ich spiel' halt 'nen Gig. Du willst Leute erreichen. Das kucken halt viele, und ich will Platten verkaufen. Ich finde das vollkommen legitim. Ich hab' das Gefühl, ich hab' was Tolles gemacht. Dann ist doch logisch, zu versuchen, das unter die Leute zu bringen. Vielleicht sind die Mittel nicht immer die geilsten. Aber das ist doch eher 'ne gute als 'ne schlechte Tat.

Es gibt aber ja genügend Leute, die sich dafür verbiegen, dass sie dort stattfinden, wo sie Aufmerksamkeit kriegen.

Es gibt immer alles. Ich hab' mir so eine Sendung noch nie selber angekuckt, aber ich finde es eigentlich nicht schlimm. Wenn man ein gestandener Künstler ist und weiß, was man tut, find' ich das vollkommen okay. Klar gibts auch Grenzen. Irgendwann ist es dann zu wack, das muss man dann halt nicht mehr machen. Aber Frühstücksfernsehen ist noch voll im Rahmen. Das geht klar.

Bundesvision Songcontest demnach auch.

Das war auch gar nicht so schlimm. Ich hab' halt meinen Song gesungen. Was ist daran schlimm?

Wievielter bist du geworden? Achter?

Ja, genau. Ziemlich mittel, hmm? Aber im Jahr davor war Max Herre auch achter. Nur mal so als Beispiel.

Na, man soll sich ja nicht die Mittelmäßigen zum Vorbild nehmen! Wär' richtig abkacken dann nicht irgendwie cooler gewesen? Mittelfeld ist ja schon sehr ... mittel.

Das war ja eigentlich genau, was ich erwartet hatte. Ich hab' dafür danach ziemlich viele Alben verkauft, mehr als die meisten, die über mir waren. Das hat sich gelohnt, für uns. Es ist mir auch scheißegal, ob mich da Leute voten. Ich mach' das doch nur, damit ich danach Platten verkaufen kann. Ganz ehrlich: Mir ist doch egal, ob jemand gegen mich gewinnt. Der Grundgedanke ist doch schon Quatsch. Als ob Musik so eine Competition wäre! Ich bin Musiker. Ich mach' das eh! Ob das jemand anders macht und irgendjemand den dann besser findet, ändert nichts daran, was für einen Song ich als nächstes schreibe. Niemals. Ich mach' da halt mit, und es ist ein Promo-Move. Da steh' ich komplett zu, da hab' ich gar kein Problem mit.

Wenn du sagst, du siehst den Wettstreit nicht: Hast du da keinerlei Ehrgeiz?

Nein!! Ich will nicht gewinnen! Das ist mir scheißegal! Ich will damit Platten verkaufen, und ich hab' dadurch Platten verkauft, danach.

Bist du grundsätzlich kein ehrgeiziger Typ?

Nein, ich bin megaehrgeizig, was mein Schaffen angeht. Da opfer' ich alles für. Alles, was ich rausholen kann, werde ich versuchen, rauszuholen. Aber das ist ja, wenn überhaupt, 'ne Competition gegen mich selbst. Für mich ist nicht relevant, was jemand anderes gemacht hat. Wenn ich das jetzt so mache wie der, aber besser, dann bin ich erfolgreicher: Das findet in meinem Kopf nicht statt.

Du lässt dich in so einen Wettbewerb dann auch nicht reinkitzeln?

Nein. Dieses Voting, die Auszählung, hab' ich gar nicht mitgekriegt. Da hab' ich mit Marten rumgehangen, und keiner hat sich das angekuckt. Ich war gar nicht da! Die Leute sitzen da auf ihren Sofas und warten, "Ööööi, was krieg' ich für ein Ergebnis?" Ich hab' Bierchen getrunken, in dem Moment.

Ich glaub' aber, dass es unter den Kollegen da durchaus Leute gibt, die in so einer Situation plötzlich der Ehrgeiz packt.

Ja. Ich will die dafür nicht kritisieren. Wenn man das als Wettkampf sieht, ist das auch in Ordnung. Nur für mich war das in dem Moment, als ich den Gig gespielt hatte, egal. Da war ich auch nicht mehr aufgeregt. Was für 'ne Platzierung ich kriege, war mir wurscht. Mich hat interessiert: Hoffentlich verkauf' ich nachher 'n paar Alben.

Du sagtest, man müsse aufpassen, dass es nicht zu wack wird: Fällt dir ein Format ein, für das du dich nicht hergeben würdest?

Ich glaube, das kommt immer ein bisschen auf die Not an. ZDF Fernsehgarten, nee, da muss ich jetzt nicht hingehen. Es gibt natürlich auch Boulevard-mäßig Grenzen. Die Plattform ist auch gar nicht das große Problem, sondern wie man damit umgeht. Wenn du dich da hinstellst und deinen Song gut spielst, dann ist das kein Problem. Es sei denn, es ist politisch inkorrekt. Ich geh' jetzt nicht zu irgendeiner Drecksveranstaltung und sing' da für irgendwas, das für etwas ganz Schlimmes steht. Das kannst du natürlich nicht machen. Aber im Endeffekt: Wenn du deinen Song singst, wird er nicht schlechter, ob darum herum jetzt diese oder irgendwelche anderen Leute stehen. Wenn du jetzt aber glaubst, du musst dich irgendwie anpassen: DANN wirst du wack. Das sollte man nicht machen.

Abgesehen davon, dass du mit der Musik deinen Lebensunterhalt bestreitest: Sind Chartsplatzierungen und Verkaufszahlen für dich wichtig?

Superwichtig. Wobei: Charts nicht, die sind mir scheißegal. Die sagen ja nur, wie viel du im Verhältnis zu den anderen verkauft hast. Mit dem, das ich beim letzten Mal verkauft habe und auf Zehn gelandet bin, hätte ich in einer anderen Woche Eins werden können. Das sagt ja alles über dieses System aus: Du stehst im Verhältnis zu den anderen. Wenn du Pech hast, bei den Orsons war das so, bringt Mark Knopfler gleichzeitig sein Album raus. Der verkauft 200.000 in der ersten Woche. Das ist ja kein Wunder, dass du da nicht die Eins machst. Dann heißt es: "Wah, die haben es nicht auf die Eins geschafft." In einer anderen Woche es dreimal gereicht. Deswegen sind die Charts irrelevant. Relevant ist, dass man Alben verkauft. Dass man das Geld wieder einspielt, das man für ein Album ausgegeben hat, und dass man dann weitermachen kann. Dass man Konzerte spielt, zu denen Leute kommen. Das bedingt sich ja auch: Wenn du viele Alben verkaufst, kommen wahrscheinlich mehr Leute zu den Konzerten. Ich will halt weiter davon leben können. Ich muss jetzt nicht reich werden, das ist auch nicht so interessant für mich, dass ich jetzt ein Bonze werde. Ich will einfach weitermachen. Ich will für mich und meine Band möglichst die besten Voraussetzungen schaffen, damit es weitergeht. Alles andere interessiert mich nicht.

Wäre man als Künstler nicht freier, wenn die Kunst eben gerade nicht der Broterwerb wäre?

Das ist für mich gar keine Alternative. Wenn ich nicht mehr davon leben könnte, würde ich keine Musik mehr machen, glaub' ich. Das würde mir zu doll wehtun. Das wäre ein schmerzlicher Gedanke. Meine Mutter war Tänzerin. Sie hat sich dann die Knie zerstört - sie hat nie wieder getanzt, danach. Die kuckt sich auch keinen Tanzfilm an, das macht sie traurig. So wär' das bei mir auch. Das kann ich mir nicht gut vorstellen. Ich muss das die ganze Zeit machen. Ich bin Musiker oder nicht. Für mich ist die größtmögliche Freiheit, wenn ich Geld habe, das ich für die Musik einsetzen und benutzen kann. Ich muss Streicher aufnehmen, fähige Produzenten haben, mir hier und da mal irgendwas kaufen, irgendwelche Mikros oder anderen Stuff, ich brauch' Gitarren ... Ich brauch' einfach Kohle, um so ein Album herzustellen. Das verlangt diese Musik, die ich mache. Das ist jetzt nicht bei jedem so. Mike Skinner hat es geschafft, in seiner Bude ohne irgendwas ein geiles Album zu machen. Aber das ist jetzt nicht unbedingt der Weg für mich. Ich will Instrumente aufnehmen, und das kostet immer direkt Geld. Weil man ein Studio braucht.

Wenn es laufen und man alles bezahlen muss, ist man aber doch in gewisser Weise gezwungen, seinen Arsch zu verkaufen.

Nö. Mach' ich nicht. Ich bin absolut kompromisslos in meiner Musik. Ich bin' niemals in meinem Leben einen Kompromiss eingegangen in meiner Musik. Ich find' Sachen, die ich früher gemacht hab', scheiße. Aber damals war das kompromisslos. Niemals hab' ich gesagt, ich mach' das jetzt so, weil ich damit mehr verkaufen kann. Ich mach' meine Mucke. Punkt. Darüber diskutier' ich höchstens mit meinem Produzenten, wenn wir nicht wissen, ob jetzt das eine oder das andere der coole Move ist. Du bist dir ja nicht immer sicher, was du als nächstes machst. Soll das jetzt so oder so klingen? Dann versucht man es in eine Richtung und entscheidet dann, das andere war geiler. Natürlich muss man die ganze Zeit diskutieren und ausprobieren. Aber ich würde nie drüber nachdenken, aus kommerziellen Gründen irgendwas anders zu machen in der Musik. Das ist auch noch nie passiert.

Auch inhaltlich nicht?

Niemals. Nichts. Das ist die Kunst. Wenn ich ein Album mache, mach' ICH das. Der einzige von der Plattenfirma, der das hört, ist mein A&R. Der zeigt das dann vielleicht weiter. Es gab bei diesem Album niemanden, der gesagt hätte, "Mach' mal bitte so." Das wird noch nicht einmal versucht, die wissen das eh schon: Der Maxim macht halt sein Album. Niemand hat mir da je reingequatscht. Das ist auch nicht nötig. Die wussten ja auch, worauf sie sich bei mir einlassen, als sie mich gesignt haben. Beim letzten Mal bin ich auch keinen Kompromiss eingegangen, und es ist gut gelaufen. Warum sollten sie jetzt etwas ändern?

Bei Videos geh' ich auch keinen Kompromiss ein. Wenn ich irgendwo einen Kompromiss eingehe, dann bei diesen ganzen Marketing-Sachen. Die Alternative ist, dass ich von dem Album, das ich gemacht habe und von dem ich will, dass es möglichst viele Leute hören, keins verkaufe. Das ist für mich ja auch keine gute Lösung, wenn ich am Ende denke: Ich bin in keine einzige Fernsehsendung gegangen, weil ich so real bin, dafür hab' ich jetzt kein Album verkauft. Das ist halt auch scheiße. Da denk' ich ja auch nicht: Cool, jetzt bin ich glücklich, ich hab' es geschafft, kein Album zu verkaufen. Is' doch Quatsch. Ich mach' Popmusik, das darf man ja auch nicht vergessen. Irgendwelche Szenen, die erhalten sich selbst. Die ganzen Medien darum haben sich etabliert. Als Rapper brauchst du nicht das gleiche Promogeld. Du musst nicht die gleichen Promomoves einsetzen, weil einfach klar ist: Wenn du auch nur eine halbwegs coole Rapplatte auf die Beine stellst, wirst du bei allen stattfinden.

Stimmt leider nicht immer. Es gibt furchtbar viele coole Rapplatten, die total im Verborgenen stattfinden.

Naja, dann sag' ich mal: halbwegs laut. Wenn du jetzt den übertriebensten Undergroundshit machst, mit krassester bildlicher Poesie ... klar. Ich schränke das ein: Wenn du dir als Rapper ordentlich laut auf der Brust herumtrommelst und 'ne laute Produktion hast ... Ich wundere mich schon teilweise, was da für Alben stattfinden. Da denke ich mir manchmal: Die haben es leicht. Sie kriegen ganz viele Interviews, krass viele Kids kucken sich die an. Das ist bei mir nicht so leicht. In erster Linie sind es schon keine Kids, die das hören. Die meisten Leute, die meine Musik hören, sind ja zwischen 25 und ... hmm ... 60. Ich muss erst einmal 'ne Fläche erzeugen, um die überhaupt zu erwischen. Ich kann jetzt nicht einfach sagen: Ich geh' jetzt zu dir und dahin und zu Intro, dann haben die alle was von mir mitgekriegt. Dann haben immer noch 90 Prozent von denen, die meine Musik hören, überhaupt nicht gemerkt, dass ich ein Album rausgebracht hab'.

"Ich seh' eher, wo es den Bach runtergeht"

Du sagst selbst, du machst Popmusik. Den Begriff findest du offenbar nicht negativ konnotiert?

Doch, der ist sehr negativ besetzt. Absichtlich benutze ich den jetzt, weil ich genau das schade finde. Das ist auch so ein deutsches Ding. Wenn du in den USA oder in Großbritannien sagst, du machst Popmusik, ist das nicht negativ besetzt. Das liegt daran, dass hier so viel Crap rauskommt. Wenn du sagst, du machst Deutschpop, denken alle sofort: Argl, wuäh, echt jetzt?

Der üble Ruf deutscher Popmusik kommt ja aber nicht aus dem Nichts.

Das ändert aber nichts daran, dass ich das mache. Ich weiß nicht, wie ich es anders einordnen soll, als zu sagen: Es ist Popmusik. Es ist weder R'n'B noch Hip Hop ... Das ist doch, was Popmusik im Endeffekt definiert: Dass du es nicht so leicht einordnen kannst. Klar kannst du sagen, es kommt von "Popular-Musik". Das würde aber auch bedeuten, dass jetzt zum Beispiel 'ne Marteria-Platte 'ne Pop-Platte wäre, weil er viele davon verkauft hat. So kann ich das nicht sortieren, für mich ist das trotzdem 'ne Rap-Platte. Ich muss die möglichst große Schublade finden, wo ich meine Musik reintun kann, weil ich keine kleine hab'. Es gibt keine andere. Wie würdest du es denn nennen?

Schon auch Pop. Ich hab' aber überhaupt kein Problem damit, weder mit dem Begriff noch mit dem Genre. Pop kann, wie alles andere auch, saugut oder total scheiße sein.

Ich hab' auch keine Lust, nur weil das doof besetzt ist, mir einen Knoten in die Zunge zu reden, was das denn sein könnte, und irgendeinen dämlichen Alternative-Wasweißich-Begriff zu erfinden, der das irgendwie cooler macht. Für mich wird das nicht cooler, weil ich es anders nenne.

Pop impliziert aber halt trotzdem populär. Hältst du deine Musik für massenkompatibel?

Nee. Eigentlich gar nicht. (Lacht) Mich hat sehr gewundert, dass das überhaupt jemanden interessiert. Cool: Es HAT ja Leute interessiert. Das ist ja das Schöne. Aber auch das führt bei mir wieder nicht zu dem Schluss, dass ich irgendwas kompatibler machen müsste. Das wird bei mir nicht passieren. Ich mache es so, wie ich das mache, nach meinen Bedingungen. Dann schauen wir mal, ob das andere Leute auch so sehen.

Leichte Unterhaltung ist es ja nicht.

Nö. Nicht unbedingt.

Vorhin hast du erzählt, dass es dir gut geht. Erstaunlich dann, dass das neue Album, falls das überhaupt geht, noch melancholischer klingt als "Staub". "Das Bisschen Was Wir Sind" wirkt noch trauriger. Find' ich.

Okay. Das ist sehr unterschiedlich. Der eine nimmt die nicht so wahr, der andere nimmt die so wahr. Ich glaube, das liegt daran, dass du ein bisschen textaffiner bist als musikaffin. Kann das sein?

Auf jeden Fall.

Wenn man in erster Linie auf die Texte achtet, dann ist das Album noch finsterer, noch krasser als das letzte. Wenn man aber das Gesamtding betrachtet, die Komplettstimmung, dann ist das nicht so. Wenn ich selbst gemerkt habe, okay, das geht jetzt schon echt in einen ganz finsteren Bereich, Songs spielen in Irrenanstalten und solche Sachen, dann habe ich versucht, dem - nicht immer, aber manchmal - 'ne etwas hellere Instrumentierung entgegen zu setzen. Damit das überhaupt erträglich ist, dieses Album zu hören. Da gibt es schnellere Tempi, nicht immer so langsam wie beim letzten Album, alles klingt ein bisschen fetter, druckvoller, energischer produziert und umgesetzt. Auch ein bisschen weniger monoton, glaub' ich, was die Melodiebögen angeht. Teilweise sing' ich mehr, es gibt mehr lange Töne, richtigen Gesang. Das war für mich das Mittel, es überhaupt erträglich zu machen. Damit ich das selber hören und auf der Bühne spielen kann. Damit ich mir nicht jeden Abend komplett die Melancholie reinballern muss.

Stimmt, ich achte viel mehr auf Texte. Weswegen mir auch auffällt, was für einen wohltuender Kontrast zu der ganzen glatten Satt-und-sauber-und-zufrieden-Scheiße, die im Deutschpop sonst so kursiert, das bildet.

Für mich schließt sich das nicht aus. Es passieren unterschiedliche Dinge im Leben. Ich sing' halt eher über den kaputten Teil meines Lebens. Ich beobachte mein Umfeld und such' mir nicht den raus, der supercool drauf ist und bei dem alles supercool läuft, und schreib' über den einen Song. Sondern ich seh' eher, wo es den Bach runtergeht. Das find' ich als Thema interessanter, ich geh' da ein bisschen literarisch ran. Wer schreibt ein Buch über "Alles ist geil"? Niemand! Das ist das Langweiligste der Welt. Warum soll ich da Zeit investieren? Das hat aber für mich nichts damit zu tun, dass ich hier jetzt wie ein Tropfen sitzen muss. Ich würde aber 'ne Narbe nicht verstecken. Wenn ich im Gesicht 'ne Narbe hätte, würde ich nicht zum Chirurgen gehen oder kucken, dass die keiner sehen kann. Dann hätt' ich halt 'ne Narbe im Gesicht.

Gehören Kunst und Qualen für dich zusammen? Brauchst du das Leiden, um kreativ zu sein?

Das ist ganz schwer zu beantworten. Als ganz junger Musiker war mein Leben verhältnismäßig leicht, und ich hab' daraus nicht so geile Mucke gemacht. Das würde jetzt das Argument bekräftigen. Als alles schwieriger wurde, die Kohle knapper, als all die Themen kamen, als es ernster wurde, da ist die bessere Musik entstanden. In letzter Zeit ist in meinem Umfeld superviel passiert, das auch tragisch war. Die Welt eh, man kann ja die Augen aufmachen, da muss man sich nicht besonders viel ausdenken, um zu sehen: Wow, in was für einer Zeit leben wir gerade? Es ist voll krass. Ich weiß nicht. Wenn jetzt alles auf einmal in Butter wäre, würde sich herausstellen, ob ich dann immer noch geile Mucke machen kann.

Mit einem Album, auf dem es Maxim so richtig, richtig supi geht, ist demnach nicht zu rechnen?

Keine Ahnung! Es sieht mir jetzt nicht so danach aus, wenn ich mich umschaue.

Auf großes Leiden reagiere ich echt schnell allergisch. Da denk' ich mir gern: Was für ein Jammerlappen. Jetzt ist der Paradebeispiel für einen Jammerlappen-Song ja "Autsch".

Ein Jammerlappen-Song?! Okay. (Lacht)

Darf ich das sagen?

Du darfst alles sagen. Niemals würd' ich dir das verbieten. Ich glaub', du hast den Song falsch verstanden, ehrlich gesagt. Eigentlich ist es genau das Gegenteil davon. Das sagt doch: Du hast mir das Herz gebrochen, und alles, das du dazu sagst, ist Autsch. Es stellt ja den Begriff "Autsch" in 'nen völlig anderen Kontext. Es benennt den großen Schmerz im Moment einer Trennung mit so einem pupsigen Wort.

Ja. Aber zugleich ist es ja auch das Lamento darüber, dass der andere für diesen Riesenschmerz nur so ein lächerliches Wort übrig hat: Guck her, mir geht es suuuperschlecht, und du sagst bloß Autsch.

Ja. Aber was ist daran wehleidig? Das passiert halt im Leben. Ich halte mich echt gar nicht für einen wehleidigen Typen. Ich umgeh' das eigentlich immer um Meilen. "Autsch" ist halt eine ganz krasse Ballade, viele Akkorde, es ist sehr ... sagen wir mal ... groß, songwritingmäßig fast schon ein bisschen Disney, große, tragende Melodien. Ich find' es tatsächlich völlig unkitschig.

Ich find' das ganz schön kitschig.

Macht ja nix. Ich hab' das in dem Moment selbstverständlich nicht als kitschigen Song gemeint, aber es ist immer ganz krass Wahrnehmungs- und Geschmackssache. Für den einen ist das so, für den anderen so. Ich zeig' das Leuten, die eigentlich immer aufschreien, beim geringsten Pups Kitsch, die sagten: Ich hab' geweint, als ich das gehört hab'. Du bist jetzt die erste, die sagt: Das ist für mich total kitschig. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber ich seh' jetzt nicht den Kitsch darin. Es gibt keine Wörter, die für mich Kitsch verkörpern. Ich sing' da nicht: Vor mir liegt der Horizont und ich tauche ins Meer der Gefühle, oder so'n Scheiß, gar nicht. Ich find', das findet in einer ziemlich kühlen Atmosphäre statt. Ich sag' ja auch nicht nur: Du hast mir das Herz gebrochen und dann sagst du nur Autsch, sondern ich sag': Du hast mir das Messer in die Kehle geworfen, und dann hast du Autsch gesagt. Upps! Oh, 'tschuldigung. Ach, Scheiße, jetzt tschüß! Du bist die Frau, die aus der Kiste steigt, ohne einen Kratzer in der Haut - das ist ja auch ein Bild. Das ist die Frau, die aus dieser Zersäge-Zaubermaschine heraussteigt, in ihrem Ballkleid, die perfekte Person. Für mich bebildert das alles irgendwie eher eine Kälte als dieses Ich-suhle-mich-in-einem-Gefühl.

Kitsch findest du offenbar deutlich schlimmer als Pop.

Kitsch find' ich ganz schlimm, ja. Voll! Das schlimmste, das passieren kann, ist, dass etwas kitschig ist. Deswegen ist das der ultimative Diss an mich gewesen.

Upps.

Aber das ist überhaupt nicht schlimm. Du musst deine Meinung haben, und das macht mich auch nicht fertig. Ich weiß ja, warum ich einen Song schreibe, und ich bin ziemlich stolz auf gerade den. Max Herre hat den produziert.

Mit Max Herre kann man mich halt auch jagen.

(Lacht) Ah, okay. Musst du dich gar nicht für rechtfertigen.

Jedenfalls hast du keine Probleme damit, in deinen Texten emotional blankzuziehen.

Nee. Es ist das Langweiligste der Welt, wenn Leute sich verstecken. Wofür soll Musik dann gut sein? Als Informationsquelle? Wenn ich mich über irgendetwas informieren will, kann ich die Zeitung lesen. Soll Musik wütend machen? Das ist auch 'ne Emotion. Erklär' mir irgendwas anderes, wofür Musik gut sein sollte, als dafür, emotional blankzuziehen. Dann kann ich mich vielleicht dafür entscheiden, das mal anders zu machen. Aber mir fällt jetzt nichts ein.

Ich will das ja auch so. Fällt es dir leicht, dein Innerstes nach außen zu stülpen?

Nee. Das ist unfassbar viel Arbeit. Weil es eine Gratwanderung ist. Was ist jetzt cool, zu zeigen? Was ist kitschig? Was ist uninteressant, was ist interessant? Genau dieses Sich-in-einem-oberflächlichen-Gefühl-Suhlen mag ich nicht. Ich muss ganz lange kucken: Was ist eigentlich der Kern des Problems, das ich da habe, und wie finde ich ein Szenario oder ein Bild, das das auf eine neue Art beleuchtet. Ohne dass ich irgendeine Floskel benutze, die schon achtzig Mal benutzt wurde. Da würde ich jetzt einfach mal behaupten, dass du in dem Album keine findest. Keine einzige. Keine Textstelle, wo du sagen kannst: Ah, das ist typisch, das hat der und der auch schon so bebildert. Klar, es gibt typische Motive, zum Beispiel Scherben. Aber nicht: "über Scherben gehen", weißte? Den Fakir, der da rüberläuft, den gibts nicht. Das ist viel Arbeit. Du kannst natürlich ganz schnell irgendwas bebildern. Es gibt immer die erste Idee auf dem Ideenstapel, da kannst du auch einen Song mit schreiben. Aber der ist dann halt scheiße.

Es ist also nicht nur mein Eindruck, dass für dich wichtig ist, Sachen zu sagen, die noch niemand gesagt hat?

Ja, auf 'ne Art. Ich hab' noch nichts gesagt, das noch niemand gesagt hat. (Lacht) Aber ich hab', glaub' ich, eine mir eigene Form dafür gefunden. Ein Konzept, einen Entwurf von Popmusik und Lyrik, die sich vereinen, und ich sehe jetzt da draußen ehrlich gesagt keinen, der das so machen könnte. Das mein' ich jetzt wertungsfrei, das heißt nicht, dass das jetzt deswegen der Shit ist. Das kannste scheiße oder gut finden. Aber du kannst mir ruhig einen zeigen, der das auch kann. Den würde ich gerne hören und mich drüber freuen. Aber das gibts, glaub' ich, nicht, und darauf bin ich stolz. Wertfrei, wie gesagt. Das unterstreiche ich ganz doll. Natürlich ist trotzdem möglich, dass das jeder scheiße findet. Das kann ich nicht beeinflussen. Ich kann nur sagen: Ich hab' superlang daran gearbeitet, dass es halt nicht "den anderen Maxim" geben kann.

Wenn man private Themen anschneidet, kehrt man nicht nur sein eigenes Inneres nach außen, sondern man zieht auch andere Leute mit rein.

Das passiert ständig. Die Leute, um die es geht, wissen das. Die merken das und ich geh' damit auch offen um. Das sind dann natürlich die ersten, die das Lied zu hören kriegen, und ich frag': Ist das okay für dich? Aber da fallen ja keine Namen oder sowas..

Aber die Leute sind ja trotzdem nicht doof. Die erkennen sich doch.

Es würde nicht passieren, dass ich ein Album rausbringe, und die Betreffenden hören das dann da das erste Mal. Ich schreibe das, und in so einem Fall hört die Person das als allererstes, bevor das irgendjemand anderes hört. Direkt mit der Frage: Ist das für dich okay?

Ist schon vorgekommen, dass jemand sagt: Nö, will ich nicht?

Nee, noch nie. Ich wahre ja die komplette Privatsphäre. Ich geh' nirgendwohin und entblöße irgendjemanden. Ich halte es zumindest soweit allgemein, dass man nicht auf jemanden Spezielles zeigt. Klar, die Leute raffen das. Aber eigentlich haben die sich bis jetzt darüber im Endeffekt eher gefreut. Das ist ja auch schön: Man hat ein Lied, in dem es um einen geht.

Mich hat "Buntstifte" sehr berührt. Wie ich das verstanden habe, dreht sich das um Depressionen und die Qual, die das vor allem auch für das Umfeld der Betroffenen bedeutet.

Ja, genau. Aus meiner Perspektive, quasi. Eine mir nahestehende Person hat das alles erlitten, im größtmöglichen Ausschlag. Das ist für alle richtig hart. Am härtesten natürlich für die Person selbst, aber auch drum herum ist es krass. Das ist einfach eine unfassbare Krankheit, die für alle ganz schwer zu ertragen und schwer zu verstehen ist. Du kannst ja auch nichts machen, so richtig. Du kannst jemandem, der depressiv ist, nicht wirklich helfen.

Das ist das Schlimmste. Du sitzt daneben, kuckst dir dieses Elend an, und du kannst einfach überhaupt nichts tun.

Nur die Person selbst kann was tun, aber diesen Schritt zu wagen und das alles zuzulassen, das erfordert sehr, sehr viel Energie, sehr viel Mut ... Ja. Das war krass. Dieser Song beschreibt auf jeden Fall eine sehr krasse Lebensphase.

Ist in einem solchen Fall, wenn es um einen labilen Charakter geht, nicht vielleicht doppelt gefährlich, so etwas öffentlich zu machen?

Nee. Wie gesagt: Das ist alles komplett abgesprochen, und es ist okay so. Ich hab' mich da auch sehr drüber gefreut, weil ich das wichtig finde, dass man das Thema immer wieder anspricht. Ich steh' da eh ein bisschen für, Depressionen waren auch das ganz große Thema vom letzten Album. Ich weiß, dass viele, die damit zu kämpfen haben, meine Musik hören. Ich würde auch nicht sagen, dass ich das gar nicht kenne. Ich war noch nie in Therapie oder so, mir wurde das nie attestiert, aber ich bin schon melancholisch, in einer extremeren Form, vielleicht. Ich glaube, es ist wichtig, darüber immer wieder zu sprechen, weil es endlos viele Leute gibt, die depressiv sind. Das Schlimmste an einer Depression ist, dass man sich alleine fühlt. Dass man denkt, man ist der einzige auf der Welt, der das hat und der sich so fühlt. In dem Moment, in dem man rafft, es gibt andere, die das genauso erleiden, möglichst authentisch in Form gebracht, ist das eher eine Hilfe. Ich male ja auch nichts schön. Wenn ich jetzt irgendwelche Aufbauparolen machen würde, so im Sinne von: "Du wirst es schon wieder schaffen. Du wirst aufstehen. Kopf hoch!", dann wird jeder Depressive sagen: "Verpiss dich bitte aus meinem Leben, du nervst." Ich schildere einfach nur die Situation, und daran, glaube ich, können die Leute anknüpfen, weil sie denken: Ja, genau so isses. Und dann fühlt man sich besser.

Du kriegst viele Reaktionen von Fans, die gerade bei solchen Songs sagen: Hey, so gehts mir auch, und dann quasi ihr Herz bei dir ausschütten.

Das ist passiert, ja. Bei "Meine Soldaten" ganz doll. Viele, und auch extrem. Aber auch bei anderen Liedern. Ich weiß nicht, ob das vielleicht immer so ist, egal, welchen Song du schreibst, dass sich, wenn der bekannt wird, soundsoviele Leute damit identifizieren können. Es gab Briefe über mehrere Seiten, intelligent geschrieben, bei denen ich mir dachte: Krass, was für ein unfassbares Leben hast du gehabt?! Ich hab' mich einfach nur geehrt gefühlt, dass ich durch so einen Song Teil davon werde. Wirklich, so ein ganz ehrlich gemeintes Wow. Ich finds krass, dass ich da irgendwie dran teilhaben konnte, weil ich einfach nur Respekt gehabt habe, vor diesen Leuten, wie die das schaffen, solche Situationen überhaupt zu meistern. Ich hab' krasse Sachen gehört, dadurch.

Ist das nicht auch belastend?

Nein. Find' ich überhaupt nicht.

Du kannst dich gut abgrenzen?

Ich muss mich gar nicht abgrenzen. Das sind jetzt nicht so Leute, die sagen: "Bitte komm' zu mir und nimm' mich in den Arm" oder sowas. Das ist es nicht. Die wollen mir einfach mitteilen: "Das und das ist passiert. ich wollte dir nur danke sagen, dass du den Song geschrieben hast. Der hat mir geholfen." Das ist doch nicht belastend, da freu' ich mich. Das ist doch eine Ehre für mich, dass ich zufälligerweise das Lied geschrieben habe, das so einer Person irgendwie ein My weitergeholfen hat, es erträglicher gemacht hat. Ich lese das mit Interesse. Ich bin ja kein Heiler. Ich lese die Geschichte und denk' mir: Es ist krass, und ich bin jetzt Teil davon geworden.

"Wenn meine Intelligenz beleidigt wird, fühle ich erstmal gar nichts"

"Wir sind der erste Jahrgang mit 'nem Verfallsdatum auf der Stirn." Stimmt das?

Ja, voll. Weiß nicht, ob der erste. Mein Vater würde sagen: "Bei uns stand das auch auf der Stirn, wir hatten den kalten Krieg" und so'n Kram. Aber ich hab' schon das Gefühl, dass es jetzt recht viele Fakten gibt, die unumgänglich sind. Einen Krieg kann man womöglich noch beenden. Eine aufgeladene politische Situation lässt sich vielleicht lösen. Was ich in Frage stelle, ob es sich noch lösen lässt: Wir haben einen Plastikhaufen im Meer schwimmen, der so groß ist wie Länder ... Dass uns das Verfallsdatum der Welt auf der Stirn steht, bedeutet, dass unserem Jahrgang das jetzt einfach nur sehr klar wird. Auch die Alternativlosigkeit darin. Das Argument, das ich dann immer höre: Ja, aber es kann ja eine technologische Errungenschaft kommen. Jesus steigt vom Ölberg runter und legt uns einen Gegenstand hin, das Perpetuum Mobile, das alles retten wird.

Klingt nicht, als würdest du daran glauben.

Da bin ich zu realistisch für. Ich freu' mich tierisch, wenn es passiert. Ich will auch die Hoffnung nicht aufgeben, dass es passiert. In dem Song, "Pille Aus Luft", aus dem du diese Zeile herausgepickt hast, geht es in erster Linie um Hoffnung. Ja, wir sind dieser Jahrgang. Uns ist das klar. Aber das ändert nichts daran, dass ich trotzdem möglichst hoffnungsvoll durchs Leben gehen muss. Weil: Das ist ein funktionierendes Konzept. Das macht die Sachen eher besser als schlechter. So im Elend zu versacken, jetzt wieder zum Thema Weinerlichkeit, da kann ich dir an 80 Stellen belegen, dass das bei mir nicht vorkommt. Gerade in dem Lied: Auch wenn das alles so ist, glaube ich an diese Pille aus Luft. Auch, wenn sie aus Luft ist, wenn nichts da drin ist und das nur der Placebo-Effekt ist, der mich gerade heilt, glaub' ich trotzdem dran. Das macht es besser. Es bringt nichts, zu heulen. Es muss weitergehen. Auch wenn die Fakten für mich ziemlich klar zeigen, dass es um unsere Situation nicht sonderlich gut bestellt ist.

Die Platte dreht sich um Vergänglichkeit. Treibt einen dieses Thema mit zunehmendem Alter stärker um?

Das war ja auch schon bei der letzten Platte so. Das ist ein großes Thema für mich und ein großes Thema für die ganze Kunst, immer schon gewesen: die Liebe und der Tod. Was soll jetzt noch kommen? Die Politik vielleicht noch, aber selbst die kackt in der Kunst ab gegen die Liebe und den Tod. Meistens. Nee, das stimmt nicht: Ich würde doch die drei Sachen sagen: Politik, Tod, Liebe. Genau um die drei Themen geht es bei mir auch immer. Ich hab' mir da nichts sonderlich Neues ausgedacht, etwa: Ich schreibe nur Musik über Hamster. Ich hab' ein Nagetier als Haustier, darüber hab' ich ein Album geschrieben. Ne. Ich weiß jetzt auch nicht, worüber man sonst schreiben soll. Das drängt sich einem ja die ganze Zeit auf. In dem Moment, wo man anfängt, nachzudenken, wenn man immer tiefer in die Materie reingeht, geht es im Endeffekt immer um Vergänglichkeit. Das große Thema des Lebens ist, das man dann halt am Ende stirbt.

Verschiebt sich das Gewicht zwischen Liebe und Tod in Richtung Tod, je älter man wird? Wenn man ein Teenie ist, kommt einem der Tod ja noch wie ein relativ abstraktes Konzept vor. Is' ja noch lange hin.

Ich bin ja erst 34. Der Richtige bin ich, glaub' ich, nicht, um das in Gänze zu beantworten. Dafür musst du dir jemanden suchen, der 70 ist oder so. Aber für mich ist das immer ein großes Thema gewesen. Ich hab' schon als Kind absurde Fragen über den Tod gestellt. Ich muss darüber nachdenken. Es kippt immer hin und her, zwischen ganz beklemmenden und ganz befreienden Gedanken darüber. Das passiert zum Beispiel bei "Amnesie": Da beschreibe ich den ganzen Zyklus eines Lebens. Am Anfang musst dir deine Erinnerung erkämpfen, weil: Das bist du. Das, woran du dich erinnern kannst. Danach musst du diese Erinnerung loslassen, du musst wieder vergessen. Die nächste große Aufgabe im Leben ist, zu sagen: Okay, jetzt werd' ich wieder zu Nichts.

Als wir das produziert haben, haben wir gemerkt: Wenn wir das mit ganz wenig Hall machen, ganz trocken, dann ist das ein arg beklemmendes Lied, das einem ein krass beklemmendes Gefühl gibt. Wenn du aber Hall reinmachst und eine gewisse Größe reinbringst, ist das auf einmal ein ganz befreiendes Ding, bei dem du dir denkst: Hey, dann soll er halt kommen, der Tod. Is' okay, wird schon. Das liegt daran, dass in diesem Thema eben genau diese beiden Pole drin sind. Du kannst es positiv beleuchten, und du kannst es negativ beleuchten. Es ändert sich aber nichts an der Situation. Du kannst in gleichem Maße im Tod auf- oder eingehen. Fällt man da in sich zusammen, im Tod, oder explodiert man in dem Moment? Wer weiß?

Wenn du sagst, es geht eh alles den Bach runter, Leben und Tod ist ohnehin ein unaufhaltsamer Kreislauf ...

Da will ich doch direkt einschreiten, das halte ich zum Beispiel für weinerlich: Es geht ja eh alles den Bach runter. Das ist niemals 'ne Aussage, die ich machen würde. Dieses "eh" stört mich daran. Es geht alles den Bach runter. So würde ich das nennen. Das ist mir nämlich nicht egal. Überhaupt nicht. Es ist mir gar nicht egal, nie. Ich will ein möglichst schönes, möglichst produktives Leben haben. Ich möchte möglichst viel verändern, in dieser Zeit, die ich hier habe, und ich möchte sie möglichst genießen. Das hält mich nicht davon ab, trotzdem manchmal festzustellen, dass vieles den Bach runtergeht. Aber ich will jetzt nicht sagen: Geht ja eh alles den Bach runter, drauf geschissen. Das ist nicht meine Art.

Resignieren is' nicht?

Nee.

Dass du Wert auf deine Texte legst, hast du schon ausgeführt. Kannst du dir erklären, warum das so viele andere nicht machen? Warum hat keiner Hemmungen, die ausgenudeltsten Phrasen noch weiter auszunudeln?

Keine Ahnung. Ey, ich weiß nicht, ob das am tatsächlichen Handwerk, am Können, oder an den Ideen liegt. Ich bin der lebende Beweis dafür, dass dieselbe Person so richtig beschissene Texte schreiben kann, und richtig geile. Ich glaub', dass es ganz oft an der Arbeitsbereitschaft liegt. Dass die Leute halt schnell zufrieden sind. Dass sie sich auch Kritik nicht richtig anhören. In dem Moment, in dem du vorhin "Autsch" kritisiert hast, passiert bei mir Folgendes. Erster Reflex: Was fällt dir ein!? Zweiter Reflex: Ah, okay, stimmt, kann man auch so sehen, wegen "autsch", und dann auf so 'ner Ballade ... Dritter Reflex: Hat sie Recht, hat sie Unrecht, aus meiner Perspektive? Wenn ich dann merke: Sie hat Recht, geh' ich beim nächsten Mal hin und versuch', es anders zu machen. Irgendwann führt das dazu, dass man bessere Songs schreibt. Und da gibt es natürlich viele Kritiken, die man sich abholen kann. Die letzte ist die des Journalisten. Davor hab' ich fünf Meinungen, die ich mir reinhole, von Leuten, die ich stark finde. Wenn die sagen, das ist geil, dann kommt etwas überhaupt erst drauf.

Aber es gibt schon Leute, die suchen sich dann ein Umfeld, wo sich gegenseitig ständig in den Arsch gekrochen wird, und alle sagen: Geil, geil, geil, alles geil. Was soll denn da passieren? Wie soll bei so einer Person überhaupt der kritische Gedanke geschult werden? Kritisch zu denken musst du ja lernen. Du denkst ja nicht von selbst kritisch. Mein Vater ist der überkritischste Typ. Ich bin damit aufgewachsen, kritisch zu denken. Du musst deinen eigenen Gedanken auch kritisch gegenüber stehen. Wenn du eine Idee hast, dann musst du dir das ganz lange immer wieder durch den Kopf gehen lassen und dich fragen: Ist das jetzt geil? Oder ist es doch scheiße? Das ist bei mir schon echt vielen Prüfungen unterzogen. Erstmal schon ganz vielen, denen ich mich selbst unterziehe. Dann kommt Rootdown. Dann kommen Musikerkollegen, da frag' ich Tua oder so. Wenn die alle sagen: Is' geil, dann kannst du mich danach schon relativ schwer noch zum Schwanken bringen, als Journalist. Aber wenn es mich dann trotzdem treffen würde, dann hättest du halt einfach Recht gehabt. Fuck, sie hat Recht gehabt! Aber beim nächsten Mal dann wieder nicht.

Es ist ja auch Geschmackssache. Da muss es ja oft noch nicht einmal um Recht haben oder nicht gehen.

Doch. Aus meiner Sicht. DU hast sowieso Recht, in deiner Welt.

Na, ja.

Doch, doch. In deiner Welt hast du Recht. Wenn du sagst: "Das ist für mich Kitsch, das find' ich ekelhaft", dann ist das in deiner Welt so. Das kann auch niemand jemals ändern. Wenn das aber aus deiner Welt in meine reinkommt und mich zum Schwanken bringt und am Ende dafür sorgt, dass ich das auch irgendwie auf einmal denke, dann ist survival of the fittest verloren. Die Idee ist gestorben.

Ohje. Das wollte ich gar nicht.

Nee, nee. Ist ja auch nicht passiert, deswegen bin ich cool damit. Deswegen kann ich hier sitzen und lächeln und mich gut fühlen mit 'ner Kritik. So muss das funktionieren. Wir sind ja eigentlich immer noch bei der Frage: Warum schreiben die Leute Scheißtexte? Ich glaube, dass die Leute sich einer Kritik einfach nicht aussetzen. Wenn sie jemand kritisiert, gehts gleich: Uhhhh, was fällt dir ein?! Das einzige, das die dann können, ist irgendwie zurückstinken. "Aber du ... aber du ... du hast doch" ... So funktioniert das nicht. So kommst du nicht dahin, dass du am Ende was Geiles machst. Du musst die Kritik mitnehmen.

Im letzten Interview mit uns hast du meinem Kollegen erzählt, dass du dem Reggae unter anderem deswegen den Rücken gekehrt hast, weil dir dort die Poesie fehlt.

Ich hab' gesagt, dass ich daran gescheitert bin. Ich habe für mich gemerkt, ich schaffe es nicht, was ich eigentlich gerne mit Worten machen würde, im Vibe von Reggae unterzubringen. Ich glaub' schon, dass das geht. Vielleicht wird das noch kommen. Gerade hat Trettmann einen Song gemacht, bei dem ich mir echt denke ... (unterbricht sich) Kannste aber eigentlich nicht mit reinnehmen. Das ist komischer Trap, und der chantet halt irgendwie drüber, kann man eigentlich auch nicht Reggae nennen. Für mich ist das halt noch nicht so richtig passiert: Poesie im Reggae. Dass jemand kommt und darauf etwas macht, das echt poetisch ist. Ich bin auch dran gescheitert. Ob das an der Mucke liegt? Weiß nicht, kann ich dir nicht sagen.

Siehst du in anderen Genres mehr Poesie?

Voll! Wenn es in Deutschland jemanden gibt, der poetische Musik macht, dann meistens jemand, der Indiemucke macht - oder einer, der rappt. Oder einer, der beides vermischt, so wie Tua. Die Musik gibts ja. Man kann sich mal Die Höchste Eisenbahn anhören, man kann sich Sophie Hunger mal anhören, man kann sich mal ein Marteria-Album anhören, oder Tua natürlich, ganz vorneweg. Es ist ja nicht so, dass es die Leute nicht gibt, die tolle Texte schreiben. Ich find', Haftbefehl kann man auch reinnehmen. Der hat auch eine eigene Art entwickelt, wie er mit Sprache umgeht: Mich hat das abgeholt. Ich konnte mir das anhören und dachte: Hey, der hat seine Ausdrucksform. Du raffst nach zwei Sekunden: Das ist Haftbefehl, und der hat auch was zu erzählen. Teilweise berührt mich das auch. Dieses "Azzlackz Sterben Jung", das ist ein geil geschriebener Song. Find' ich. Mir ist scheißegal, ob einer Rapper ist oder Sänger, für mich zählt, dass ich am Ende höre, dass er seine Ausdrucksform entdeckt hat. Dass er eigen, für sich steht. Dass man sofort merkt: Okay, das ist ein Haftbefehl-Song, das ist ein Maxim-Song, das ist ein Tua-Song. Das ist eigentlich das Wichtigste von allem. Das kannst du erlangen durch Sound und durch Text. Bestenfalls ist beides geil.

Was fällt dir leichter: einen Text auszuarbeiten, oder eine musikalische Idee?

Das passiert bei mir gleichzeitig, ich schreib' die Sachen meistens zusammen. Ich sitz' da mit der Gitarre, danach produzier' ich was vor, und dann geh' ich zum Produzenten. Die Produzenten kriegen von mir Spuren von einem vorproduzierten Lied und basteln dann weiter. Manchmal ist es so, dass ich da ganz lange mit denen zusammen weiterfrickle. Manchmal machen die das auch selber. "Buntstifte" zum Beispiel hat Farhot komplett alleine gemacht. Der hat den Song von mir gekriegt. Die Gesangsspur ist genau der Take, den ich bei mir im Zimmer aufgenommen hab', auf die Akkorde gesungen. Er hat alles anders instrumentiert, aber es ist halt der Song, genau so. Das war direkt geil, da musste ich gar nicht hinkommen. Aber es passiert halt auch, dass ich da ganz viel sitze. Leichter ist das Musikmachen. Melodien finden oder so, das ist nicht so schwer. Viel schwieriger ist es, einen geilen Text zu schreiben.

Wobei die musikalische Ausgestaltung, wie schon beim letzten Album, nach extrem viel Mühe klingt. Als wäre jeder Sound, jede Note durchdacht.

Voll. Die Jungs arbeiten ganz krass. Ich glaub', in so einem Song stecken echt zwei Monate Lebenszeit, in jedem Lied. Deswegen könnte ich wahrscheinlich gar nicht so leicht ein Album mit nur einem Produzenten machen. Das würde drei Jahre dauern, bis das fertig wäre. Die arbeiten ja gleichzeitig, und das dauert immer! Ich schick' den Song, und drei Monate später ist der frühestens fertig. Eher fünf Monate später.

Eine gewisse Verkopftheit gehört bei deiner Musik offenbar dazu.

Voll. Verkopft ist aber wieder so negativ. Das findet auch wieder gerade in der Popmusik immer so statt, diese Trennung zwischen Kopf und Bauch und Kopf und Herz ... für mich ist das alles im Kopf. Als ob mein Herz irgendwas fühlen würde! Mein Kopf sagt meinem Herzen, was es zu fühlen hat. Wenn überhaupt. Als ob die Gedanken zu trennen wären von den Gefühlen! Das ist doch totaler Schwachsinn! Erst siehste was, dann denkste was, dann fühlste was. Das ist doch ganz klar. Was heißt denn "Verkopftheit"? Ich kann nur eine Bedingung schaffen, durch meine Gedanken, die nachher ein möglichst starkes Gefühl erzeugt. Andersherum funktioniert das nicht. Ich kann jetzt nicht meinen Kopf ausschalten, irgendwas schreiben, und dann denken, das würde jetzt die Leute berühren. Wenn meine Intelligenz beleidigt wird, dann fühle ich erstmal gar nichts. Das letzte, das dann passiert, ist, dass ich irgendetwas fühle. Erst muss man mich ja irgendwo hinziehen, und wenn einer als erstes schon mal mit irgendeinem langweiligen Scheißsatz kommt, dann denk' ich doch gleich: Okay, das kriegste wahrscheinlich eh nicht mehr gut gemacht. Da bin ich direkt in so einer Trotzhaltung. Wie soll ich da noch irgendwas fühlen?

Meine Theorie ist, dass du dir hart erkämpfen musst, eine Emotion überhaupt erst zulassen zu können. Deswegen auch immer der Versuch, eine relativ kühle Situation zu erzeugen. "Meine Soldaten" steht sehr bezeichnend dafür, weil das da bilderbuchmäßig gelaufen ist: Erst diese kalte Kriegssituation, und dann sag' ich einmal "Immer, wenn mein Herz nach dir ruft". Das ist das Einzige, das ich in dem Song sage, das auch nur annähernd cheesy ist. Und in dem Moment entsteht die große Emotion. Weil du einmal "Herz" sagst, aber die ganze Zeit diese Kälte hattest. Du pumpst den Reifen auf, bis er fast platzt. Dann machst du einmal kurz das Ventil auf, und dann fühlst du was. Wann hast du jemals am laufenden Band etwas gefühlt? Emotion ist ein Impuls, kein Zustand. Du kannst nicht hingehen, einen Song schreiben und erwarten, dass die Leute die ganze Zeit von Anfang bis zum Ende heulen. Das ist, was die, glaub' ich, teilweise versuchen, mit so Popmusik. Die ganze Zeit so große Worte, große Rede, viel zu unkonkret auch. Du musst doch erstmal konkret etwas sagen. Du brauchst ein Szenario, damit die Leute das von selbst sehen. Dann einmal kurz Ventil auf und wieder zu. Dann fühlen die was.

Das beschreibt wirklich genau, wie dieser Song funktioniert.

Das mach' ich IMMER so. Bei jedem Lied ist das das Konzept. Wir nehmen wieder "Autsch", das mach' ich jetzt die ganze Zeit, absichtlich. (Lacht) Das einzige aufgeladene Wort, das es da gibt, ist "Scherben". Es gibt kein anderes aufgeladenes Wort. So funktioniert das immer. Du lässt es einmal zu. Jetzt entsteht etwas, vielleicht auch durch die Melodie, die ein bisschen größer, aufgeladener, bisschen kitschiger ist. Aber halt nie mehr als dieses eine Mal. So ist mein Konzept, so seh' ich schöne Popmusik.

Wieder sehr textlastig. Offenbar steckt darin doch viel mehr Mühe als in der Musik.

Nein. Ich kann darüber nur mehr erzählen. Natürlich ist die Musik von mir geschrieben. Meistens, wenn auch nicht immer. Ich hab' dieses Mal tatsächlich mehr Writing-Leistung von den Produzenten gehabt, weil ich diese Vorproduktion gemacht hab'. Ich bin eigentlich mehr in die Produktion reingegangen als beim letzten Mal. Da hab' ich nur so Gitarren-Layouts gemacht. Das hab' ich den Produzenten gezeigt, nur so ins Handy reingesungene Gitarrendinger. Diesmal hatte ich schon einen Song vorproduziert und hab' denen das gegeben. Ich hab' aber auch etwas von ihnen gefordert. Ich hab' ihnen gesagt: "Ey, halt' dich daran nicht auf. Wenn du den einen Akkord ändern willst, änder' den. Sofort. Ich will nicht, dass du jetzt, nur, weil ich das vorproduziert habe, daran hängenbleibst." Dadurch ist es passiert, dass die bei einigen Songs hingegangen sind und ein bisschen mehr probiert haben, andere Akkorde hier und da. Das hat dann nichts an der Gesangsmelodie geändert, auch nicht an dem grundsätzlichen Song, das ist immer noch der gleiche. Wenn ich dir die Vorversion zeigen würde, brauchst du keine zwei Sekunden, um zu checken, welches Lied das jeweils ist. Aber trotzdem: Dieses völlige Frickeln, zum Beispiel, um den Snaresound zurecht zu feilen, das liegt viel mehr bei den Produzenten als bei mir. Wie gesagt: "Buntstifte", da hat Farhot die Produktion alleine gemacht. Der Song kam so an, da hab' ich nichts bemängelt. Nichts. Das war genau so, nicht gemischt natürlich, aber halt der Song. Ich hab' den geschrieben, ich hab' das eingesungen, ich hab' ihm die Spuren geschickt, und er hat die Stimme genau so genommen. Ich hab' das auch nicht nochmal neu gesungen, es ist genau nur das.

Ist man hin und wieder erstaunt, was dabei rauskommt?

Da war ich supererstaunt, gerade bei dem. Weil das sehr anders war, obwohl es gar nicht die Akkorde verändert hat. Aber das ist so ein anderes Konstrukt gewesen, und ich dachte: Wow, das hätten Portishead halt auch nicht geiler hingekriegt. Das ist einfach geil gemacht. Unfassbar geile Ideen, geile Melodien, voll krass. Aber alle, jeder von denen. Da kann man jetzt keinen irgendwie hervorheben. Was sind das für Produzenten, die das Album produziert haben?! Da krieg' ich ja schon ein bisschen dicke Eier, ehrlich gesagt. Das sind für mich halt einfach die geilsten Produzenten, die in Deutschland rumrennen. Jochen Naaf: bester Indie-Produzent, macht richtig geile Sachen. Dann Farhot: müssen wir nicht drüber reden. Die Leute kennen Farhot. Tua: müssen wir auch nicht drüber reden. Teka: immer noch geil, hat auch zwei fette Dinger rausgehauen und macht ja gerade auch mit Kitschkrieg stylische Sachen. Gerade dieses Ronny Trettmann-Ding: is' fresh. Kahedi: auch einfach geil. Was ist los? Alle geilen Produzenten haben bei dem Album mitgemacht!

Kann eigentlich nur noch bergab gehen. Ich hab' gelesen, du hast angefangen, ein Buch zu schreiben, bist aber nie damit fertig geworden?

Ach, krass, woher weißt du denn das schon wieder? Das war ein ganz schlechtes Buch, so halb Roman, Lyrik, Biografie, Irgendwie-alles-Ding. Wild drauf losschreiben und irgendwann merken, dass es keinen Anfang und kein Ende hat und sowieso völlig fürn Arsch ist.

Ist es so anders, ein Buch zu schreiben, als einen Songtext?

Nee, aber das ist genau zu dem Zeitpunkt passiert, als bei mir der Wandel kam, hin zu dieser ein bisschen literarischer gedachten Textstruktur. Das war genau, als ich aufgehört hab', Reggae zu machen, und angefangen, diese Singer/Songwriter-Sachen zu schreiben. Genau in dieser Zeit hab' ich parallel immerhin achtzig getippte Seiten Buch geschrieben. Das hat nichts gebracht für das Buch. Aber es hat superviel gebracht, um diesen Style zu finden, meine Art, wie ich mich artikuliere. Dabei hat es geholfen.

Mit einem Buch von dir ist also nicht zu rechnen?

Nee. Das bring' ich niemals raus.

Sonst irgendwelche nicht-musikalischen Ambitionen? Nachdem ich das Video zu "Willkommen Im Club" gesehen habe ...

Ich werd' Einbrecher! Einbrecher in den Siebzigern!

Ich dachte an Schauspieler. Der Einbrecher war ja nicht so erfolgreich.

Nee, wir haben es verkackt, in dem Video. (Lacht) Keine Ahnung. Da müsste schon 'ne geile Rolle kommen. Nee. Ich werd' Profiboxer.

Erstmal Promiboxen, was?

Ja? Was ist das? Ich kenn' das gar nicht.

Das ist wie Fernsehgarten, nur im Boxring. Also eigentlich auch ein Format, um deine Platte zu bewerben.

Du meinst, ich könnte da boxen und dabei "Autsch" singen? Ach, Quatsch, was soll das immer? Ich bin Musiker. Als wenn das nicht reichen würde! Immer so: "Machst du noch irgendwas anderes? Hast du irgendwelche Flüchtlinge gerettet?" Nee! Ich bin Musiker. Punkt. Das ist meine Story, und alles mögliche, das ich erlebe und das mich sonst so interessiert, pack' ich in diese Musik rein. Wenn einem das dann nicht reicht, ist es vollkommen in Ordnung. Dann muss man das ja nicht kaufen. Das ist ja das Geile: dass man immer die Wahl hat. Aber ich werd' mir jetzt nicht irgendeinen Scheiß ausdenken, um interessanter zu werden.

Es sind ja oft nicht die Rezipienten, denen das nicht reicht, sondern es genügt den Künstlern nicht.

Pech für die! Das ist doch nicht mein Problem. Deswegen sag' ich ja: Die Leute können immer noch entscheiden, das nicht zu kaufen. Wenn das nicht reicht, wenn das nicht interessant genug ist, dann kauf' es nicht.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Maxim

Sich aus einer Schublade zu befreien, in der man gelandet ist, fällt äußerst schwer. Ein einmal aufgeklebtes Etikett bleibt hartnäckig haften, auch …

Noch keine Kommentare