laut.de-Kritik
Klasse-Rückkehr der großartigen Songwriterin.
Review von Artur SchulzSchwierige Jahre liegen hinter Melissa Etheridge: 2004 wurde bei ihr eine schwere Krebserkrankung diagnostiziert, die sie aber, mit viel Kampfgeist ausgestattet, erfreulicherweise überwand. So ist der Titel "The Awakening" für ihr neues Album fraglos auch als Auseinandersetzung mit der überstandenen Krankheit zu verstehen. Allerdings ist ihr neues Werk alles andere als eine in sich gekehrte, womöglich gar weinerliche Selbsttherapie - nach eigener Aussage ist "The Awakening" als Album zu verstehen, das erläutern soll, "warum ich die Musik so sehr liebe". Und das gelingt der Künstlerin in beeindruckender Weise.
Gleich 16 brandneue Tracks hat Melissa komponiert und eingespielt. Nach dem kurzen, Sitar-dominierten Intro mit "All There Is" folgt mit "California" kein strahlender Sonnenschein, aber ein Etheridge-typischer Midtempo-Song mitsamt einem Lächeln im Gesicht. "An Unexpected Rain" offeriert eine weitere, gelungene Variante ihrer Fähigkeiten als Songwriterin, ausgestattet mit wehmütiger, aber niemals überbetont-sentimentaler Melodie-Führung. Das eher poppig gehaltene "Message To Myself" stellt die erste Single-Auskopplung dar - ist aber bei weitem nicht der stärkste Track des Albums.
Als besonderes Highlight in Song-Aufbau und Gesamt-Einspielung fasziniert "Map Of The Stars". Mit filigraner, fast zerbrechlicher Melodie-Führung gelingt der Künstlerin, unterstützt von einem luftigen, transparent schimmernden Arrangement, hier ein ganz großer Song-Wurf. Die variabel angeschlagenen Rhythmen bieten stetige Abwechslung, und Melissas Gesangsarbeit präsentiert sich hier besonders leidenschaftlich und druckvoll. Nach einem einfühlsam gehaltenen Akustik-Beginn gesteht die Sängerin: "I've Loved You Before", und erläutert in diesem weiteren Klasse-Track das Gefühl, einen Menschen schon sehr, sehr lang zu lieben - in weit zurückliegenden Zeiten: "Were we lovers in an army? / Marching off for Rome / Side by side in battle / Did we bravely leave our home?".
"Threesome" wildert mit verstärkt eingesetzter E-Gitarre in kräftigeren Rock-Bereichen, statt, wie vorherrschend, der akustischen Variante. "Heroes And Friends" begeistert mit gelungenem Spannungs-Aufbau und intensiven Vocals, ebenso das mit zusätzlichen E-Gitarren-Soli versehene "Kingdom Of Heaven". "Open Your Mind" glänzt mit seinem mit Gospel-Elementen vermengten Blues-Rock. "What Happens Tomorrow" bedeutet den würdigen Alben-Abschluss mit einer im Gesang stets unter die Haut gehende Melissa Etheridge, die hier noch einmal sämtliche Register ihres Könnens zieht.
Jeder Song auf "The Awakening" trägt Melissas ganz eigene und mit hohem Wiedererkennungswert ausgestattete Handschrift, und sie zeigt sich vielseitig in der Wahl der Stilmittel. Ob Rock, Blues, Gospel oder Roots - nicht nur die einzelnen Songs wirken in sich geschlossen, organisch gewachsen und harmonisch aufeinander abgestimmt. Das Sahnehäubchen obendrauf ist ganz klar die kratzig-rauhe Stimme der Sängerin, die im Lauf der Jahre an Intensität gewonnen hat, und ihr Volumen oft noch wirkungsvoller und atemberaubender einsetzt, als bislang gehört. Die Produktionsarbeit Melissas im Verbund mit David Cole zeigt sich tadellos und niemals mit überladener Arrangement-Arbeit.
Mit "The Awakening" ist Melissa Etheridge ein prächtig eingespieltes, abwechslungsreiches Album gelungen, das beweist, dass ihre persönliche Entwicklung nach vorn noch längst nicht abgeschlossen ist. Die Künstlerin zu den Erwartungen, was ihr neues Werk angeht: "Ich hoffe nur, dass die Leute das Album wenigstens einmal ganz durchhören". Es wird für den Freund von Melissas Musik garantiert nicht nur beim einmaligen Einlegen der CD bleiben - selbst zaghaftes Hineinhören von Misstrauischen kann sich sehr rasch in eine tiefgehende Freundschaft zu "The Awakening" verwandeln.
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