8. August 2019
"Ich habe meine komplette Jugend auf tumblr verbracht"
Interview geführt von Julian VölkerIm Interview quatscht die Sängerin frei heraus über ihren Aufstieg und die Zusammenarbeit mit Max Rieger, den Eurovision Songcontest und wieso sie gerne mal im ZDF-Fernsehgarten auftreten würde.
Nach ihrem 2018er Indie-Hit "Waveboy" veröffentlichte Mia Morgan im Juli ihre Debüt-EP "Gruftpop". Drangsal, Casper und Kraftklub pushten die Newcomerin, die dieses Jahr zum ersten Mal die große Festivals des Landes bespielt. Als Ort für ein Interview wählte sie weder den Backstage einer Berliner Konzertlocation, noch den Schreibtisch einer Kölner Plattenfirma. In Kassel bleibt man wohl am Boden.
Hey Mia, wieso treffen wir uns in der Mensa in Kassel?
Ich studiere hier an der Kunsthochschule Visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Fotografie und mag die Mensa. Es ist irgendwie ein schöner, gemütlicher Raum, in dem ich mich wohlfühle. Obwohl ich den Studiengang super interessant finde, war ich wegen der Musik leider in letzter Zeit nicht mehr oft an der Uni.
Hat sich denn seit der EP-Veröffentlichung viel verändert?
Eigentlich nicht, aber das Gefühl ist ein anderes. An dem Wochenende, an dem "Gruftpop" raus gekommen ist, war ich so on top of the world, das war ein super schönes Gefühl. Nachdem ich am Release-Tag auf dem Kosmonaut gespielt habe, war ich dann mega geflasht davon, wie viele Leute gekommen sind. Außerdem lief der Vorverkauf deutlich besser als ich gedacht habe. Ohne mich selber nieder zu machen, aber es überrascht und freut einen ja dann doch auch sehr.
Wie kam es denn dazu, dass du die Möglichkeit bekommen hast professionell eine EP aufzunehmen?
Dass ich die EP relativ früh, nach nur zwei Single-Releases gemacht habe, hat sich so ein bisschen ergeben, weil ich mit einem Team zusammenarbeite, das gerade ein neues Label gegründet hat. Das steckt noch in den Kinderschuhen, aber die EP war eine Möglichkeit, darüber etwas zu veröffentlichen. Eigentlich ist es eine Art Sammlerstück in limitierter Form für die Leute, die den alten Kram von Soundcloud verfolgt haben. Sie soll die Anfangszeit meiner Demos manifestieren und festhalten.
"Ich wollte nicht die Person sein, die nach der Show auflauert"
Was hatte Drangsal mit der EP zu tun?
(lacht) Mit der Platte gar nichts. Aber wenn er nicht wäre, hätte niemand eine EP mit mir aufgenommen. Er hat "Waveboy" vor einem Jahr geteilt und mir immer gut zugeredet. Er war mein Anstoß, das jetzt wirklich seriös in die Hand zu nehmen.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Ich war ziemlich früh Fan. Als ich zum ersten Mal "Love Me Or Leave Me Alone" gehört habe, dachte ich: "Ja! Das ist die Musik, die ich hören will". Der war so mega interessant, cool und exzentrisch, da habe ich ihm einfach auf Instagram geschrieben. Tatsächlich hat er geantwortet und sogar eine Lesung von mir besucht. Daraus ist dann eine Freundschaft entstanden und wir haben immer nach Konzerten gequatscht.
Und er wusste nicht, dass du Musik machst?
Nein, das wusste er nicht. Ich hatte mich am Anfang nicht wirklich getraut, etwas zu sagen, weil ich mir dachte, dass jemand wie er ständig von Leuten angesprochen wird. Ich wollte dann nicht die Person sein, die ihm nach der Show auflauert. Aber letztendlich ist es dann irgendwie raus gekommen und seine Reaktion war mehr als ich mir erhofft hatte. Es hätte mir schon gereicht, wenn er gesagt hätte: "Gut, mach weiter so", aber er hat dann direkt mit angepackt.
Die EP hat Max Rieger von den Nerven produziert. Hat er auch die Verbindung hergestellt?
Ja, mehr oder weniger. Das ist ja alles so eine Blase und hat sich einfach ergeben. Max und ich haben uns gut verstanden und nachdem wir einen Tag lang rumprobiert und direkt einen Song aufgenommen haben, war klar, dass wir das zusammen machen. Der ist so begabt und hatte so viele Ideen, auf die ich selber nicht gekommen wäre. Dafür bin ich sehr dankbar.
Also folgt auch bald ein komplettes Album?
Ja. Das dauert alles noch ein bisschen, aber ein paar Songs haben wir bereits zusammen.
Wenn man die Platte mit "Waveboy" vergleicht, ist sie deutlich synthielastiger. Hast du dir die Songs so vorgestellt, als du sie geschrieben hast?
Ja schon. Tatsächlich ist "Waveboy" ein Song, der ziemlich aus der Reihe fällt. Ich wollte eine Smiths-Nummer schreiben, die das selbe Gefühl wie "Stop Me If You Think You've Heard This One Before" vermittelt. Die anderen Songs sind viel persönlicher und ähneln eher dem, was ich auch privat höre. Ich bin schon immer ein Fan von drückender Musik gewesen, die von einer süßen Lead-Melodie getragen wird. Das wollte ich für meine Songs auch.
Deine Texte handeln oft von den extremen Seiten der Liebe. Ist Songwriting für dich auch eine Art emotionale Aufarbeitung?
Ja, total. Aber ich denke, dass das bei den meisten KünstlerInnen Standard ist. Tatsächlich behandelt die EP für mich eine abgeschlossene Thematik aus der Zeit, in der ich angefangen habe Songs zu schreiben und Liebeskummer hatte oder verletzt wurde. Aber im Großen und Ganzen ist meine Devise, aus den schlechten Zeiten etwas Positives zu ziehen.
Schreibst du denn aktiv Songs oder benutzt du auch manchmal Texte, die du schon vorher geschrieben hast?
Das geht oft Hand in Hand. Meistens nehme ich meine Gitarre und träller drauf los. Was gut ist, schreibe ich dann auf. Eine feste Methode habe ich nicht. Neulich hatte ich zum Beispiel eine Songidee im Kopf, die ich weder auf Gitarre noch Keyboard umsetzen konnte. Ich habe sie dann mit Max Rieger im Kern aufgebrochen und Gesangsmelodie und Songstruktur erarbeitet.
Im März erschien mit "Es Geht Dir Gut" dein erstes Video mit dir vor der Kamera. Wie war es zu schauspielern?
Mega persönlich, weil es auch eine Art Aufarbeitungsgeschichte war und wir mit dem Vampirmotiv die Überspitzung einer realen Person gefunden haben. Bei der Szene, wo ich mit Luis vor diesem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig stehe, er an meinen Beinen hängt und ich ihn ansingen muss, sind mir echt die Tränen gekommen. Das war mega krass und das erste Mal seit langem, dass ich wieder schauspielern konnte. Das hab ich ein bisschen vermisst, deswegen bin ich da sehr aufgegangen in der Rolle. Es war auch eine Möglichkeit Dampf abzulassen.
Würdest du denn sagen, dass du gerne im Mittelpunkt stehst oder sogar eine Art Rampensau bist?
Ich mag den Begriff nicht gerne. Kommt drauf an. Ich schiebe das immer auf mein Sternzeichen (lacht). Ich bin Widder. Aber Rampensau ist so negativ konnotiert. Ich denke, jeder Mensch steht bis zu einem gewissen Grad gerne in der Öffentlichkeit. Das kann der introvertierteste, schüchternste Mensch sein - jeder braucht irgendwo Bestätigung. Ich bin eben ein extrem emotionaler Mensch und habe Lust, mich zu teilen und einer breiteren Masse zu zeigen. Da reicht mir das familiäre, das Universitäts- oder das lokale Umfeld nicht. Aber das soll jetzt nicht so klingen, als ob ich bestätigungssüchtig bin.
Spielt in diesem Zusammenhang Social Media eine große Rolle für dich?
Ja voll. Aber das war auch schon relevant bevor ich versucht habe mit meiner Musik was zu machen. Ich habe eigentlich meine komplette Jugend auf tumblr verbracht. Ich war nur drinnen am Laptop und habe gar kein draußen stattfindendes Sozialleben geführt (lacht).
Instagram ist für mich fast schon wie eine neue Realität, weil man da nochmal ganz neue Möglichkeiten hat, sich gezielt zu zeigen. Trotzdem würde ich meinen Kanal nicht als diese klassische Scheinwelt bezeichnen, auf der ich nur hübsche Bilder poste. Das bin einfach ich, das ist ehrlich und mir würde etwas fehlen, wenn ich es nicht hätte.
"Die großen Stars von heute antworten auf deine Kommentare oder schreiben emotional unkontrollierte und dadurch ehrliche Posts gegen Trump. Das finde ich sehr schön"
Möchtest du das Private in den Fotos auch beibehalten, falls sich deine Followerzahl drastisch erhöht und du mehr in der Öffentlichkeit stehen solltest?
Ja. Ich fände es schade, wenn ich mich dazu gedrängt fühlen würde, weil ich mir auch nicht wünsche, dass mir Leute folgen, die mich nicht mögen und mir ein schlechtes Gefühl dafür geben, dass ich ehrlich bin. Aber ich finde, es gibt auch viele große KünstlerInnen und Bands, die trotzdem ein relativ privates Social Media führen. Charli XCX zum Beispiel postet auch hässliche Selfies und Bikini-Pics und ist sehr persönlich. Man merkt, da steckt eine Person dahinter und nicht irgendein Management, dass das für sie macht. Oder Frauen wie Lana Del Rey, die einfach so Familienfeierfotos posten. Ich finde das ganz wichtig. Instagram macht KünstlerInnen auch nahbarer. Früher waren sie fern und unerreichbar und jetzt - wenn man Glück hat - beantworten die Kardashians deinen Kommentar. Das ist doch der Wahnsinn für die Leute, die die gut finden.
Man lernt dieses Starleben auch besser kennen und verdauen. Umso weiter man diese KünstlerInnen entfernt und unnahbarer macht, desto mehr verunmenschlicht man sie auch. Das ist gefährlich. Siehe Madonna oder Michael Jackson. Die waren so komplett fern von allem anderen, die wirkten überhaupt nicht mehr menschlich. Die großen Stars von heute antworten auf deine Kommentare oder schreiben emotional unkontrollierte und dadurch ehrliche Posts gegen Trump. Das finde ich sehr schön.
Ich habe online bei der Recherche Interviews von dir vor deiner musikalischen Zeit gefunden. Was hat es denn damit auf sich?
Das klingt jetzt doof, aber ich bin ein bisschen wie ein Meme in Kassel. Nachdem ich zum ersten Mal etwas von Stefanie Sargnagel gelesen habe, fing ich auch an Facebook-Posts zu machen. Vor drei Jahren habe mal einen Text über "Germany's Next Topmodel" geschrieben. Der war relativ witzig und wurde auf vielen Seiten geteilt. Da haben die Leute gedacht: "Ach, die Mia, die ist funny" und plötzlich hatte ich sehr viele Follower auf Facebook. Außerdem habe ich Theater gespielt, mit Bands auf Bühnen gestanden und Lesungen gehalten – deshalb die Interviews.
Nennst du dich deswegen auch auf Instagram "Kassels größter Stolz"?
Ja. Aber auch so ein bisschen aus Gag, weil ich so eine Hassliebe zu der Stadt habe. Ich wäre überhaupt nicht dieselbe Person, wenn ich nicht hier wohnen würde.
Wie ist es denn jetzt? Auch im Vergleich zu früher?
Also jetzt gerade im Moment ist ehrlich gesagt wieder nicht so cool. Ich fahre wegen der Musik ständig nach Berlin und habe dort ein völlig anderes Leben, ständig Termine, Aufnahmen, Treffen und total viel Spaß. Da hole ich in vier Tagen auf, was ich in Kassel in zwei Wochen nicht habe. Hier habe ich Job, Studium und Familie. Was hier Entspannung ist, ist manchmal zu entspannt. Ich habe zum Beispiel lokal keine Leute, mit denen ich mich musikalisch austauschen kann. Hier gibt es nur Trap. Aber immerhin ist es schöner als der Ruhrpott (lacht).
Du spielst live ohne Band, nur mit DJ. Wieso?
Ich finde es eigentlich cool so wie es ist. Es ist entspannt, mit einem normalen PKW anzureisen, mein Load-In dauert zehn Minuten, mein Set-Up und mein Soundcheck ist alles in einer halbe Stunde durch und das macht Bock. Ich bin dann Herrin der Lage und das bin ich gerne. Natürlich kommt aber auch viel: "Boah, das würde so krass klingen, wenn du das mit einer richtigen Band machst" und das verstehe ich dann auch. "Valentinstag" ist zum Beispiel so ein Song, den ich auch gerne mal mit Liveband hören würde. Aber das müssten dann zehn Leute mit Xylophon und Gospel- oder Kinderchor sein. Bis das möglich ist, dauert es. Ich bin ja noch eine kleine Erbse, die irgendwie an die Schwelle der Musikwelt gerollt ist und noch nicht weiß, wie es weitergeht.
Im September spielst du auf dem Lollapalooza in Berlin. Bist du schon aufgeregt?
Ja. Sehr. Aber weniger wegen des Auftritts, sondern weil ich die geringe Chance habe Billie Eilish zu treffen. Es wäre krass, wenn ich sie nicht nur auf der Bühne, sondern auch hinten herum scharwenzeln sehen würde. Ich liebe das Mädchen einfach.
Wie ist denn dein Bild vom Musikbusiness? Hast du es dir so vorgestellt?
Also ich lebe halt sehr in dieser Blase mit Drangsal, den Nerven, Ilgen Nur und Search Yiu. Die sind alle super nett und entspannt. Wenn man Zeit miteinander verbringt, ist eben nicht immer nur Musik das Thema, sondern auch ganz normale, banale Dinge. Ich habe das Gefühl, die richtigen Leute kennengelernt zu haben, die mich auf eine smoothe Art und Weise langsam weiterführen.
Hast du musikalische Wünsche für die Zukunft?
Boah. Total viele. Ich will einfach, dass das was wird. Das ist schon immer mein Traum gewesen. Krass wäre auch ein Opener-Slot für Die Ärzte. Und Fernsehgarten. Ohne Scheiß, richtig Bock auf Fernsehgarten. Ich finde diesen Aufbau, diese komplette Fassade und wie fake und komisch das alles ist so geil, dass ich da einfach gerne in kompletter Goth-Montur auftreten und "Goth Girl" singen würde.
Geil. Ein bisschen wie Drangsals Wunsch, beim Eurovision Song Contest anzutreten.
Ja, obwohl ich gar nicht glaube, dass das komisch gewesen wäre. Ich bin mir, nicht nur weil ich die Band mag, ziemlich sicher, dass die eine gute Platzierung erreicht hätten. Wirklich. Das ist was ganz anderes, was besonderes und es könnte eine breite Masse ansprechen. Dieser krasse Exzentriker mit Glitzerschminke - da fühlen sich viele Leute, die ESC mögen, abgeholt. Deswegen finde ich es bescheuert, dass die Angst hatten. Ich glaube, die haben ihm nicht abgenommen, dass er das ernst meint. Der ESC glaubt, junge Leute machen das sowieso nur aus Ironie, aber meiner Meinung nach kann man etwas nicht aus Ironie mögen. Vielleicht schämt man sich manchmal, aber entweder man mag etwas oder nicht. Irgendwas aus Ironie zu machen ist dumm. Das ist eine Ausrede.
Du meinst also Guilty-Pleasures gibt es nicht?
Ja genau. Entweder du magst die komplette Diskographie von Modern Talking oder nicht.
Ist auch schade, weil sich der ESC dadurch ein bisschen einer jüngeren Zielgruppe entzieht.
Ja genau. Voll schade. Dabei finde ich die Veranstaltung so toll. Ich habe sie dieses Jahr zum ersten Mal verpasst, ansonsten immer geguckt. Nicht aus Wut weil Drangsal nicht genommen wurde, sondern weil ich keinen Fernseher mehr habe. Das hätte nur dazu geführt, dass ich den ganzen Tag RTL-Soaps gucke und das will ich mir nicht mehr antun. Aber ich finde einfach, dass das eine sehr friedliche, positive und auch queere Veranstaltung ist. Obwohl ich glaube, dass schwule, weiße Männer in Deutschland weitestgehend akzeptiert sind, habe ich das Gefühl, dass das komplette Queerness-Spektrum noch unter den Teppich gekehrt wird. Aber einmal im Mai beim ESC darf das rauskommen und das sollte es viel öfter geben.
Also du würdest beim ESC spielen?
Joa klar, aber ich würde mir meine Chancen nicht so gut ausrechnen. Außerdem wäre es Drangsal gegenüber nicht fair. Aber ist doch super, dass die deutschsprachige Popszene grade wieder ein bisschen cool wird. Ich bin die letzte, die Mark Forster oder Andreas Bourani kritisiert - die Musik ist vollkommen legitim - aber das ist alles eine Suppe. Und jetzt gibt es langsam wieder verschiedene deutsche KünstlerInnen, die unterschiedliche Sachen machen und sich trotzdem pushen. Und auch Mädels wieder. Endlich. Das ist so geil. Denn es ist gar nicht so lange her, da war deutsche Musik noch cool - Anfang der 2000er mit 2raumwohnung oder Wir Sind Helden. Das waren coole Bands. Ich meine, die waren in der Bravo. Und plötzlich war es dann uncool auf deutsch zu singen. Dabei ist das so eine geile Sprache, mit der man so viel machen kann.
1 Kommentar
.....oder schreiben emotional unkontrollierte und dadurch ehrliche Posts gegen Trump.....
emotional unkontrollierte und dadurch ehrliche Posts FÜR Trump geht aber dann wieder gar nicht klar?
Naja egal finde Mia Morgan interessant und hab mir ihre EP öfter angehört als ich zugeben möchte! Man muss halt mit klar kommen das wirklich jedes kloine Handwerkerle heutzutage politisch wird