laut.de-Kritik

Akustisches Fingerpicking und barocke Arrangements.

Review von

Midlake tauchten 2006 aus dem Nichts auf, fielen mit ihrem zweiten Album "The Trials Of Van Occupanther" bei Kritikern zunächst durch und landeten erst über die mediale Zweitvermarktungsinstanz der Jahrescharts so richtig auf der Pop-Agenda. Damit war den Jazz-Studenten aus Texas auch unfreiwillig ein Plädoyer für eine tiefgründigere Auseinandersetzung mit dem totgesagten Album-Format und für die Haltbarkeit von Popmusik in einer schnelllebigen, digitalen Welt gelungen.

So ist es mit Jugendkulturen im Pop schon immer gewesen: Auf jede Bewegung folgt eine Gegenbewegung. Während sich also die einen zu Justice die Schädel zusammenschlagen, predigten Midlake Entschleunigung, spielten die Musik von Fleetwood Mac nach und lieferten so für alternative Studenten und Bildungsbürger eine willkommene Alternative zum nächsten Aufguss von Kuschel-Rock.

Ihr neues Album geht in seinem Historismus – bei deutlich gestiegener Erwartungshaltung der Außenwelt – noch einen Schritt weiter. Die einstigen Parallelen zu 90er-Heroen wie Radiohead und Grandaddy, bloß in verschulter Form, sie lassen sich nicht mehr so einfach ziehen. Midlake sind bei ihrem Streifzug durch die Vergangenheit auf britische Folklore der 60er Jahre gestoßen und so noch softer, noch einebnender in ihrem Klangbild geworden.

Verschnörkeltes akustisches Fingerpicking an den Gitarren, ein Schlagzeug, das nur behende mit Besen gestreichelt wird, Anflüge von zarter Pianistik und der so schmiegsame Klang von Holzblasinstrumenten – in den elf Songs werden barocke Arrangements dermaßen kunstvoll errichtet, dass eigentlich ein diplomierter Musikwissenschaftler über sie befinden müsste. Auch daran, wie sicher Tim Smith über lange Harmoniebögen hinweg einen sicheren Tenor gibt, dürfte jenen Experten anerkennend die Brille von der Nase rutschen lassen.

Doch die Kategorie Pop hat immer auch eine höchst subjektive, gefühlte Komponente. Und da – man traut es sich gar nicht zu sagen – erscheinen einem alle elf Songs bei all ihrer reichhaltigen Staffage fast etwas zu gleichförmig (was aber zumindest situative Zuschreibungen wie "ein schönes Winteralbum" oder "das perfekte Sonntagsalbum" zulässt). Gerade die perfektionistische Adaption von Folk-Traditionen strahlt aber auch etwas Monotones, Biederes aus.

Gerade hier fehlt Tim Smith das Charisma eines Neil Young oder das Winseln von Thom Yorke, um für Wiedererkennungswert innerhalb der Binnenstruktur des Albums zu sorgen. Es sind freilich Klagen, die eher auf einer impulsiven Aneignung von Pop und einem medialen Frontmann-Kult beruhen, was aber gerade für das studierte Kollektiv Midlake nie zur Debatte gestanden haben dürfte.

Nimmt man Songs wie die erhabene Single "Acts of Man", das Goethe zitierende "Core Nature" oder das elektrisch verstärkte "The Horn" für sich, kommt man schlussendlich nicht umhin, Midlake anstandslos den Ehrendoktortitel in mittelalterlicher Pop-Geschichte auszustellen.

Trackliste

  1. 1. Acts of Man
  2. 2. Winter Dies
  3. 3. Small Mountain
  4. 4. Core of Nature
  5. 5. Fortune
  6. 6. Rulers, Ruling All Things
  7. 7. Children of the Grounds
  8. 8. Bring Down
  9. 9. The Horn
  10. 10. The Courage of Others
  11. 11. In The Ground

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LAUT.DE-PORTRÄT Midlake

Denton, Texas, 1997. Anstatt über Rhythmik, Blue Notes und Improvisationstechniken zu philosphieren, gründen vier Jazzstudenten der University Of North …

1 Kommentar

  • Vor 11 Jahren

    Die hab' ich total verdrängt gehabt, und bin jetzt aus reinem Zufall nochmal drüber gestolpert. Glücklicher Zufall!
    Ich weiß zwar nicht ganz, was der Mittelalter-Hinweis in der Rezension soll, aber egal. Mir gefällt's jedenfalls.