laut.de-Kritik
Protokoll des versuchten Mordes an der Rockmusik.
Review von Sebastian BerlichLiegengelassene, eingestaubte und nach Jahren ausgebuddelte Platten sind in der Regel eine mittelschwere Katastrophe, erscheinen meist aber auch erst, wenn die betreffende Legende bereits verstorben ist und sich ihr Umfeld in Leichenfledderlaune befindet. Wie wertvoll hingegen kontrollierte Archivarbeit zu Lebzeiten sein kann, zeigen etwa Bob Dylans "Bootleg Series" beständig auf – und nun auch "Three Men And A Baby", eine Gemeinschaftsarbeit zwischen den Melvins und Ex-GodheadSilo-Bassist Mike Kunka aus dem Jahr 1999.
Die darauf enthaltene Musik lässt erahnen, wieso es damals niemand eilig hatte, das fast fertige Album zu veröffentlichen: Sie ist verdammt sperrig. Riffs fliegen durcheinander, der Sound kratzt, Songs enden abrupt und der Gesang kommt meist über eine Karikatur nicht hinaus. Gerade diese Radikalität zeichnet das Projekt jedoch aus. Selten hat eine Band so respektlos, und doch beherzt ihr Genre demontiert wie hier.
Das fängt bereits bei der Produktion an, die Gemüter wie Schädel spalten möchte. Die Gitarre übersteuert meist heillos, was auf äußerst sterile Art sehr kaputt klingt. Weder Alternative noch Sludge oder Stoner Rock dienen hier als Maß. Ziel war anscheinend vielmehr, möglichst wahnsinnig zu klingen und den passenden Rahmen für psychotische Scharmützel zu schaffen.
Nicht selten erscheinen die zugehörigen Kompositionen wie eine Parodie der damaligen Konventionen des Mainstream-Rocks. "Read The Label (It's Chili)" entfaltet im Refrain mit schiefem Sprechgesang und schleppendem Groove ein gewisses Crossover-Appeal, das an die Beastie Boys im "Sabotage"-Modus erinnert, hätte man denen jegliche Hit-Tauglichkeit ausgesaugt. Verzogene Riffs wie im tristen "Dead Canaries" gab es derweil auch bei Bands wie Korn zu hören, nur bauschen Mike & The Melvins den Song nicht emotional auf, sondern lassen ihn einfach verhungern und quittieren das Ganze am Ende mit höhnischem Gelächter.
Trotz dieser 90er-Referenzen erschließt sich nicht zwingend, welche Teile das Quartett dem Album 2015 nachträglich beimischte, schließlich blieb das Album 1999 unvollendet. Godheadsilo hatten sich gerade aufgelöst. Da Kunta und die drei Melvins ohnehin gerade von einer gemeinsamen Tour zurückkehrten, nutzten sie die freie Zeit, um gemeinsam ins Studio zu gehen. Was genau die Fertigstellung damals verhinderte, lassen die Beteiligten im Dunkeln, mit Sub Pop hatte sich sogar bereits ein namhaftes Label für die Platte gefunden.
Im Grunde aber auch egal, denn "Three Men And A Baby" hat nichts von seiner verstörenden Kraft eingebüßt. Eindruck davon vermittelt sogar ein eigentlich treibender Rocksong wie "Annalisa", der sich in Sachen exaltiertem Gesang gar an Mike Patton versucht. Das muss eigentlich scheitern, doch Mike & The Melvins vergraben die Stimme einfach unter Schichten von Delay und Verzerrung, so dass jeglicher Vergleich im Lärm absäuft.
Oft gewinnen die Songs wegen solcher Eigensabotagen. "Bummer Conversation" ist von Störgeräuschen durchsetzt, erreicht jedoch gerade darüber markante Eigenständigkeit. Vielseitigkeit ist ebenfalls eine Stärke des Albums: In der derangierten Atmosphäre des stapfenden "A Dead Pile Of Worthless Junk" fühlte sich etwa auch ein Exzentriker wie Tom Waits wohl, der sonst ja nicht unbedingt für einen Hang zum Alternative-Rock bekannt ist.
Absolut folgerichtig lassen Mike & The Melvins ihr Album nicht behutsam ausklingen. Sie bauen es mit der Black Metal-Reminiszenz "Art School Fight Song" regelrecht auseinander. Über Blastbeats keift jemand Unverständliches (Wer genau singt, bleibt meist unklar), während die Gitarren von Anfang an streiken und nicht mehr als ein moduliertes Fiepsen von sich geben. Irgendwann bricht dann alles zusammen, das Schlagzeug wird abmontiert, die Instrumente liegen gelassen, bis nur noch weißes Rauschen bleibt.
An manchen Ecken mag "Three Men And A Baby" nicht ganz perfekt sein. Über die Relevanz einer Obskurität wie "A Friend In Need Is A Friend You Don't Need" lässt sich sicher streiten. In seiner Konsequenz und als Protokoll einer versuchten Ermordung der Rockmusik fasziniert das Album jedoch so sehr, dass es als Archivleiche verschenkt gewesen wäre.
2 Kommentare
Unkonventionell ohne jegliche Angst vorm Experiement. Die Fans sind auf jedenfall gefordert die Kost zu erkunden. Nebenbei eine der besten Livebands überhaubt mit Ihrer spielfreude und direktheit. King Buzzo zelebriert sich pompös aber immer mit Bodenerdung. Die Kolobo hier ist sehr gelungen weil wuchtig und unbedarft aufgespielt wird. Nach ein paar Durchläufen wird gar ein Sogwirkung erzeugt. Zwar gibs nicht wirklich neue Sounds aber dafür werden hier die Stärken zu 100% ausgespielt 5/5 Punkten
Ein ganz hervorragendes Album!!! Eigentlich typisch Melvins. Ich habe aber auch nichts anderes erwartet. Besonders Chicken 'N' Dump läuft momentan in Dauerschleife. Besonders gelungen finde ich die Produktion: die Scheibe groovt ohne Ende. Definitiv eine der beste Platten des Jahres.