laut.de-Kritik

Das verlorene Album - zwischen Brillanz und Peinlichkeit

Review von

"Rubberband" bietet Studioaufnahmen vom Zeus des Jazz, Miles Davis aus dem Jahr 1985, die eigentlich als Album erscheinen sollten. In jenen Tagen wechselte Davis die Pferde, kappte seine über 30 Jahre währende Zusammenarbeit mit CBS und landete bei Warner. Gemeinsam mit dem Produzentenduo Randy Hall und Zane Giles startete er Recording-Sessions in den Ameraycan Studios in Los Angeles. Angetan von Prince und dessen funky rockenden Grooves, erweiterte er seinen Jazz um Dancefloor, Rock und soulige Stimmungen. Man dachte sogar daran, Gaststimmen wie Chaka Khan oder Al Jarreau zu engagieren.

Davis unterbrach sein Vorhaben jedoch, um mit Marcus Miller zunächst das so erfolgreiche wie umstrittene "Tutu" zu fabrizieren. Miller und er blieben aneinander hängen, schoben "Amandla" und den Soundtrack "Music From Siesta" nach. Den "Rubberband"-Faden nahm er nicht wieder auf.

34 Jahre später holen Hall und Giles mit Davis' Neffen Vince Wilburn, Jr., der damals die Drums einspielte, die Tracks aus der Schublade, stellen sie fertig und sorgen damit für eine Sensation. Beim ersten Hören fühlt man sich wie bei der Öffnung von Tut Ench Amuns Grabkammer. Erblicken große Schätze das Licht der Welt oder rangiert alles höchstens auf dem Niveau polierter Outtakes? Die Antwort fällt komplex aus und bietet Anlass zu Frohlocken wie auch zu berechtigt irritierter Enttäuschung.

Grundsätzlich gilt: Je weniger das Team die Skizzen mutwillig aus ihrer Zeit heraus bricht, desto mehr Miles-Spirit atmen sie. Ausgerechnet der Opener "Rubberband of Life (feat. Ledisi)" hinterlässt sofort einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits zeigt die Nummer, dass Miles auch im zeitgenössischen Lounge-Gewand funktioniert. Derlei Spielereien hat Bill Laswell jedoch etwa mit den "Panthalassa"-Remixen besser hinbekommen. Hier degradiert man Davis ohne Not zur bloßen Nebenrolle, beraubt ihn echter Akzente. Der vor Overacting strotzende Gesang Ledisi Anibade Youngs macht alles noch schlimmer. Derbes Vokalgeturne zwischen Stino-Soul und Normalo-R'n'B schiebt das Lied von der Ruhmeshalle in die Cocktailbar der Allerwelts-Hotelketten.

"Paradise" macht es nicht besser. Im preiswerten Pauschaltouristen-Arrangement samt unpassendem Karibiktouch versenkt Medina Johnson des Meisters schöne, sensible Trompetenspur, bis alles Gold zu Blech erstarrt. Kurz darauf havariert "So Emotional" am klebrigen Kliff denkbar konventionellster Ladidah-Soul-Vocals von Lanah Hathaway. Dann ertönt mit "I Love What We Make Together" eines der belanglosesten 08/15-Soulstücke aller Zeiten. Der Fehler ist schnell ausgemacht: Wenn Miles - wie etwa in "Doo-Bop" - Stimmen einsetzte, entstand alles im direkten Clinch miteinander. Einfach inspirationsfreie Gesangssoße über seine Licks zu gießen, ist hingegen definitiv der falsche Weg.

Kein Wunder mithin, dass jene instrumentalen Tracks, die weitgehend auf damaligen Tonspuren und Ideen beruhen, den Meister weit effektiver und authentischer illustrieren. "This Is It" etwa explodiert in fettem Hardrock samt deftigen Beats. Das Gebräu klingt weniger nach "Bitches Brew", macht aber als Bastard Laune. Seine Mutter ist hörbar der breitbeinige Mackersound von "Fat Time" ("Man With The Horn"); sein Vater das Groovemonster "Hannibal" ("Amandla").

Ähnlich frisch glänzt die ausgelassene Tanzbarkeit von "Give It Up". Auf einmal jagt ein Highlight das andere. Das Trio Hall/Gilles/Wilburn macht der gestellten Aufgabe alle Ehre. "Maze" umrockt Davis wie ein Rudel seinen Leitwolf. "See I See" groovt sich so verhalten wie hypnotisch mit schick gezogener Handbremse zur schmackhaften Psychedelicsuppe ein. Quasi die 80er-Version der "Get Up With It"-Stücke aus den 70ern.

"Echoes In Time / The Wrinkle" läuft auf dem Pfad weiter, nimmt sich zehn Minten Zeit, purem Funkrock zu huldigen. Besonders hier finden alle Kritiker "Tutus" jene organische Bandheinheit, die sie bei Davis/Miller stets vermissten. Auf der Ziellinie zündet das Titelstück dann noch einmal ein ähnlich munteres Feuerwerk, fokussiert dabei sogar noch direkter auf Miles lebhafte Trompete im Duett mit der tollen Gitarre. "Rubberband" ist überall dort ein musikarchäologisch großer Wurf, wo man des Maestros Naturell unterstreicht und nicht mit Fremdkörpern zukleistert.

Trackliste

  1. 1. Rubberband of Life (feat. Ledisi)
  2. 2. This Is It
  3. 3. Paradise (feat. Medina Johnson)
  4. 4. So Emotional (feat. Lalah Hathaway)
  5. 5. Give It Up
  6. 6. Maze
  7. 7. Carnival Time
  8. 8. I Love What We Make Together (feat. Randy Hall)
  9. 9. See I See
  10. 10. Echoes In Time / The Wrinkle
  11. 11. Rubberband

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