12. April 2005
"Ich werde langsam ein alter Mann!"
Interview geführt von Mathias MöllerWie sehr das doch Sinn hat, sein gleichsam "Hotel" betiteltes Album hat er gerade fertig gestellt und heraus gebracht, nun präsentiert er es stolz der Welt und deren Presse. Und obwohl sein Sound sich wieder ein wenig vom eingeschlagenen Pfad der Melancholie entfernt hat, ist Moby noch ganz der Alte. Er antwortet äußerst eloquent, entschuldigt sich gleichzeitig für seine Ausführungen, macht sich Sorgen um den Zustand der Welt, aber dass er selbst auf die Vierzig zugeht, das stört ihn nicht so sehr. Außer vielleicht, dass er mal langsam anfangen muss, die ganzen fertigen Alben rauszubringen, die noch bei ihm zuhause rumliegen. So sitzen wir uns also gegenüber in einem halbdunklen Raum, den eine Installation aus Papierfliegern beherrscht, Moby mit einem riesigen Scheinwerfer im Rücken, der die kurzen Haarstoppeln auf seinem kahlen Kopf leuchten lässt und ihm ein leicht außerirdisches Aussehen verleiht.
Wie hast du den Entstehungsprozess des Albums erlebt? Es scheinen ja ziemlich viele verschiedene Emotionen auf dem Album vertreten zu sein.
Oh ja, ich habe emotional eine Menge durchgemacht. Ich habe einerseits nach 9/11 in New York gelebt, andererseits habe ich in einer sehr liebevollen, sehr intensiven Beziehung gelebt, die leider zum Scheitern verurteilt war und endete, als ich noch mit der Platte beschäftigt war. Dann war da noch das politische Klima in den USA, mit dem Irakkrieg und dieser sehr zornigen, sehr verbissen geführten Kampagne zwischen John Kerry und George Bush. Aber wenn ich in meinem Studio die Tür hinter mir zu gemacht habe, dann blieb die Politik draußen. Darum ist "Hotel" auch kein sehr politisches Album. Es ist eher emotional, sehr persönlich.
Ein Hotel ist ja ein komischer Ort, sehr öffentlich und gleichzeitig sehr privat. Was hat dich dazu bewegt, "Hotel" als Titel für dieses Album zu wählen?
Der Titel kam, nachdem die Musik fertig war. Hotels faszinieren mich, es sind so komische Orte. Leute gehen in Hotels, um zum Teil sehr intime Dinge zu tun. Sie schlafen dort, sie gehen aufs Klo, sie haben Sex, sie beginnen und beenden Beziehungen dort ... Das ist das komische an Hotels, sie sind sehr anonym, aber gleichzeitig sehr intim. Dieses Paradoxon hat mich fasziniert.
Du warst ja selbst öffentlich sehr aktiv in der Kampagne gegen Bush, ist "Hotel" vielleicht auch ein Rückzugsraum für dich?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich dafür schon die richtige Antwort habe. Vielleicht macht das alles erst in ein oder zwei Jahren Sinn. Das ist wie damals, während meines kurzen Studiums an der Filmhochschule. Also, ich habe Philosophie studiert und gleichzeitig Filmkurse belegt. In meinem vorletzten Jahr an der Uni habe ich mit einem Freund einen Film gedreht. Es war sehr surreal und absurd, aber damals haben wir nicht darüber nachgedacht, was es bedeuten sollte. Zwei, drei Jahren später haben wir uns den Film noch mal angesehen und plötzlich hat alles einen Sinn ergeben. Ich will damit sagen, dass man manchmal erst mal etwas Abstand braucht, um einen Sinn in seinem Schaffen zu sehen.
Würdest du denn sagen, die Musik auf "Hotel" passt zu deinen Vorstellungen von einem Hotel?
Das ist eine gute Frage, aber auch dazu habe ich noch keine Antwort. Wenn du in einem Hotel bist, kommst du dir manchmal vor wie ein Astronaut auf einem fremden Planeten. Wenn ich beispielsweise in Singapur bin, komme ich dort am Flughafen an, fahre zum Hotel, gehe auf mein Zimmer und sehe mir dann vom Fenster aus die Stadt an. Man sieht sie sich an, ist aber kein Teil der Stadt. Darum das Albumcover. Ich sehe mir das Leben da draußen an. Es geht um die Idee, von der äußeren Welt getrennt zu sein. Ich möchte ein Teil dieser Welt sein, weiß aber nicht genau wie.
Wie ist denn deine persönliche Beziehung zu Hotels? Du musst sie ja hassen, so viel, wie du dich in ihnen aufhältst!
Nein, ich liebe und ich hasse sie. Gestern zum Beispiel sind wir (ich und meine Band) von Paris nach Berlin gefahren. Ich habe ein wenig unter Schlaflosigkeit gelitten in den letzten Tagen, ich war also ziemlich fertig, als ich im Hotel ankam. Wenn du dein Gepäck ablegen und endlich duschen kannst, das ist wunderbar. Aber eine Stunde später fühlst du dich einsam und niedergeschlagen. Es ist also eine Hassliebe.
Du hast ein Mobyhotel im Internet. War das deine Idee?
Das ist eine Seite, die Mute gemacht hat. Ich finde sie super. Aber ich habe leider nichts damit zu tun. Ich habe allerdings mein eigenes Zimmer, ich glaube es ist Nummer 244. Es ist eine wirklich coole Website, ich wünschte, ich hätte mir das ausgedacht, aber das ist leider nicht so.
Und was ist mit diesem Hotel?
Das waren auch die Leute von Mute. Sie haben die Räume hier umgestaltet, und das haben sie großartig gemacht. Eine Künstlerin hat diese Installationen gemacht, und es beeindruckt mich wirklich. Es ist eine sehr interessante Idee, ein Hotel in eine Platte zu verwandeln.
Kannst du sehen, dass die Künstlerin von dir inspiriert wurde?
Ja, wir sind hier im "Lift Me Up"-Raum, und hier hängen Papierflieger. Das ist ziemlich eindeutig (lacht).
Du sagtest, dass dein Album sehr persönlich ist, und du warst viel in der Öffentlichkeit. Macht es dir nicht mehr so viel aus, etwas von dir preiszugeben? Du versteckst dich ja gar nicht mehr hinter dem "Little Idiot".
Ja, es gab da am Anfang meiner Karriere eine Zeit, da hatte ich Angst, zu viel von mir preiszugeben und zu sehr im Mittelpunkt zu stehen. Ich hatte den ganzen Erfolg ja nie erwartet. Meine erste Single kam ja 1990 heraus, und damals dachte ich, dass ich immer der kleine Underground-Musiker aus New York bleiben würde, dem niemand zuhört. Es überrascht mich, dass ich schon so lange in der Lage bin, Platten zu machen. Und mal ehrlich, je älter ich werde, desto mehr denke ich, dass das alles nicht so wichtig ist. Anfangs war es natürlich ungewöhnlich, aber jetzt erscheint mir das alles normal. Viele Leute glauben ja, nur weil sie in der Öffentlichkeit stehen, sind sie etwas Besonderes. Aber so ist es nicht, es ist nur ein Begleitumstand meines Lebens. Ich kann mich erinnern, wie es damals mit dem "Play"-Album war. Als es herauskam, hat sich niemand wirklich dafür interessiert. Es hat sich nicht gut verkauft, und die Kritiken waren schlecht. Als ich damals eines Tages nach New York nach Hause kam, habe ich mich wie ein Rockstar gefühlt. Ich dachte, die Leute müssten mich durch die Straßen jagen oder Autogramme wollen. Aber nichts dergleichen passierte, und ich habe plötzlich begriffen, dass Musik machen mein Job ist. Ich liebe es, aber es macht mich nicht interessanter oder wichtiger als einen Chemiker, einen Architekten oder einen Lehrer. Ich denke sogar, dass die wahrscheinlich viel interessanter sind als ich. Was ich damit sagen will, ist, dass ich nicht schlauer oder interessanter bin, oder dass meine Meinung mehr wiegt, nur weil ich bekannter bin. Ich bin einfach nur ich.
Dazu, dass du mehr in der Öffentlichkeit stehst, passt ja auch, dass deine Stimme auf "Hotel" wesentlich präsenter ist als auf früheren Alben.
Ich liebe es, zu singen. Ich weiß, dass ich keine großartige Stimme habe, aber es macht mir großen Spaß. Auf der anderen Seite möchte ich ehrlicher sein. Eine der ehrlichsten Dinge, die ein Mensch machen kann, ist, einen Song über etwas Persönliches singen. - Ich will eigentlich nicht immer so lange Antworten geben! - Die Leute verschwenden so viel Zeit darauf, vorzugeben, jemand zu sein, der sie nicht sind. Ältere Leute geben vor, jung zu sein, Jüngere, alt zu sein, fette Leute, dünn zu sein, Frauen mit kleinen Brüsten geben vor, große zu haben. Ich denke, dass das Leben besser für alle wäre, wenn wir uns einfach akzeptieren würden, wie wir sind. Darum singe ich diese Songs, weil ich auch sagen möchte: "Das bin ich, das ist meine Stimme. Wenn sie dir gefällt, schön, wenn nicht, auch gut. Es gibt ja eine ganze Menge anderer Platten zu hören."
Du wirst dieses Jahr ja vierzig. Bedeutet dir das etwas?
Oh ja. Mein ganzes Leben, bis jetzt - und das wird komisch klingen - war ich jung, und wenn man nur die Jugendlichkeit kennt, denkt man, man wird ewig jung sein. Plötzlich wird dir klar: "Ich werde eines Tages ein alter Mann sein!" Man stellt dann fest, dass das Leben etwas sehr Wertvolles ist, und dass man nicht immer so weiterleben kann, wie ich es getan habe. Man wird sich bewusst, dass das Leben nicht ewig währt, und das jeder Tag wertvoll ist.
Verändert sich dadurch auch deine Einstellung gegenüber deinem Publikum? Es kommen mittlerweile ja sicher verschiedene Generationen zu deinen Konzerten ...
Ich hoffe, das klingt jetzt nicht schlimm, aber die Tatsache, dass ich schon eine Weile Platten aufnehme, hat mich zu einer mitfühlenderen Person gemacht. Ich habe festgestellt, dass jeder auf seine Weise ein schweres Leben hat. Das hat Einfluss auf die Art und Weise, wie ich Platten mache und wie ich auf Tour gehe. Wenn man ernsthaft versucht, das Leben zu betrachten, dann stellt man fest, wir sind in einem Universum, das 15 Milliarden Jahre alt ist, das Billiarden von Galaxien hat, und wir leben nur ein paar Jahre. Mensch, wir sollten gut zu einander sein. Man kann niemanden disrespektieren, wenn ein Leben so klein und wertvoll ist. Wenn man einen Terroristen nimmt, oder einen kriegsgeilen Soldaten oder jemanden, der Andere verletzen möchte, und ihm zeigt, wie besonders das Leben ist, wäre er nicht mehr in der Lage, zu töten. Das Leben ist so ein Zufall, eigentlich sollte hier gar kein Leben existieren, aber die Tatsache, dass es so ein unmöglicher Zufall ist, macht es noch viel wertvoller.
Werden wir in Zukunft mehr von deinem Nebenprojekt Voodoo Child hören?
Das hoffe ich sehr. Während den Sessions für "Hotel" habe ich ca. 250 Songs geschrieben, und da ...
250?
Ja, ich schreibe viel. Ich habe 4.000 oder 5.000 unveröffentlichte Songs bei mir zu Hause in New York. Viele dieser Songs sind allerdings nicht wirklich gut.
Du hast sie aber nicht alle aufgenommen!
Doch, doch. Ich habe Regale voll mit unveröffentlichter Musik. Aber viele der Songs aus den "Hotel"-Sessions, die es nicht auf die Platte geschafft haben, sind elektronische Disko-Stücke. Die möchte ich auf einem weiteren Voodoo-Child-Album veröffentlichen. Es wird fast wie ein Anfangs-Achtziger-Disko-Elektro-Album klingen. Schnelle dreieinhalb Minuten Electronic-Pop-Songs. Das ist das Problem, wenn man so viel Musik schreibt, man hat viel zu viele Pläne. Ich möchte ein Punkrock-Album machen, es ist schon fast fertig. Dann habe ich diese Voodoo-Child-Sache, und Pläne für ein abgefahrenes HipHop-Underground-Album. Aber jetzt müssen wir uns erst mal auf "Hotel" konzentrieren.
Wirst du das Punk-Album unter deinem Namen veröffentlichen?
Nein, wahrscheinlich unter einem anderen Namen. So kann ich damit mehr Spaß haben. Es ist eine schöne Platte, sie ist überraschend poppig. Den Punkrock, den ich früher gespielt habe, das war ja sehr aggressiver Hardcore-Punk. Das hier ist viel melodischer, sehr songorientiert. Es ist schon lustig, denn so sehr ich auch das Herumreisen mag und das Konzerte spielen und Interviews geben, so sehr möchte ich doch auch wieder zuhause in New York sein und diese Platten fertig machen. Sie sind ja schon fast fertig. Sie sind wie kleine Föten, die darauf warten, geboren zu werden. Ich halte sie künstlich zurück, aber sie wollen raus.
Warum stellst du sie dann nicht einfach ins Internet? Ohne ein Label?
Ich habe gelernt, dass die Musik, die im Internet ist - und ich finde das wichtig - nur einen kleinen Teil ausmacht, vielleicht ein Prozent des Musikmarkts. Mir liegt diese Musik am Herzen, und ich möchte, dass die Leute sie hören. Klar ist digitale Technologie spannend, und das wird sicher noch zunehmen, aber der Großteil der Leute hört Musik immer noch im Radio, oder im Auto, oder von CD.
Aber bevor du es gar nicht rausbringst, oder erst in ein paar Jahren ...
Ja, aber ich habe ja gerade "Hotel" herausgebracht, das Album liegt mir auch sehr am Herzen, da würde alles andere nur die Aufmerksamkeit davon abziehen. Das ist so ein bisschen wie beim Chefkoch im Restaurant: Man hat eine Vorspeise gemacht, ein Hauptgericht und ein Dessert, natürlich serviert man das nicht alles gleichzeitig. Man serviert es nacheinander, denn wenn man will, dass die Spaghetti Aufmerksamkeit bekommen, serviert man sie nicht gleichzeitig mit Schokoladenkuchen. Wenn das Sinn macht.
Das macht Sinn! Am Abend gibt Moby dann noch ein Showcase in der direkt gegenüber dem Hotel gelegenen, völlig überheizten Universal Hall, die auf Grund ziemlich hoher Ticketpreise nur zu gut zwei Dritteln gefüllt ist. Moby störts nicht, er und seine Band spielen dann doch über volle Konzertlänge, die Fans danken es ihm mit frenetischem Abgefeier seiner Darbietung vom ersten Ton an. Als er ganz zum Schluss den "Feeling So Real"-Hammer rausholt, gibt es kein Halten mehr, und wildfremde Leute liegen sich in den Armen.
Das Interview führte Mathias Möller
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