laut.de-Kritik

Wunderbar surreale Welt zwischen Euphorie und Melancholie.

Review von

Steile These: Ein Großteil der geneigten Hörerschaft war zum Zeitpunkt der Band-Gründung froh, nicht mehr über die eigenen Füße zu stolpern und quälte im besten Fall die Erzeuger mit schrillem Blockflötenquietschen. Vor 22 Jahren fanden Isaac Brock, Eric Judy und Jeremiah Green als Modest Mouse zusammen und gaben den Startschuss für prägende Alben der heutigen Twentysomethings. Das 2004er "Good News For People Who Love Bad News" oder das spätere "We Were Dead Before The Ship Even Sank" setzten Qualitätsmarken, denen sie sich nun stellen müssen. Acht Jahre nach dem letzten Langspieler steht nun "Strangers to Ourselves" in den Plattenregalen.

Mit Erwartungen zu spielen, das hat das Sextett um Isaac Brock nicht nötig. Vielmehr beweisen sie, dass Entwicklung eine Einbahnstraße mit vielen Abbiegungen und Möglichkeiten ist. Auf diesem Weg saß jede Entscheidung, jede Wende ein glücklicher Umstand, jeder Entschluss ein Schritt in die richtige Richtung für ein gelungenes sechstes Album.

Zwei Abstriche muss die Band sich jedoch gefallen lassen: Die Wartezeit nahm nahezu Chinese-Democracy-eske Züge an und spielte schamlos mit dem Geduldsknäuel der Fans. Die Arbeiten zogen sich einerseits aufgrund der obsessiv peniblen Arbeitsweise von Brock in die Länge. Andererseits spielte der Aussteig des Gründungsmitglieds und Bassisten Eric Judy eine Rolle. Letztendlich dauerten die Aufnahmen drei Jahre – Zeit, in der Modest Mouse auch ihr eigenes Studio bauten, in dem sie die 15 neuen Tracks einspielten. Isaac Brock, der keinem Produzenten abverlangen wollte, sich so lang mit dem Album auseinanderzusetzen, produzierte die Platte schließlich selbst. Ungewöhnlich lange 57 Minuten Spielzeit entschädigen heute für das Warten.

Abstrich Nummer zwei: "Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996) ", der völlig unnötige und alberne Ausflug ins Business des rhythmischen Sprechgesangs an vierter Stelle von "Strangers to Ourselves". Hier gibt Brock dem Wahnsinn einen langen Zungenkuss, dem zuzuhören ein bisschen eklig ist. Aber danach wirds wieder ästhetischer und das Album eröffnet eine ganz wunderbar surreale Welt zwischen Euphorie und Melancholie.

Brocks typisch aufgeregter Gesang bündelt Indierock-, Kabarett-, Country- und Funk-Anleihen zu einem Gesamtpaket mit charmantem Popappeal. Eigenwillig und abgedreht legen sie nach dem sanften Opener los, schlagen aber nie zu hohe Capriolen, die das Gesamtbild zerstören könnten. Absolute Perlen wie "Shit In Your Cut" und "Be Brave" verzaubern mit originellen Melodien und unvorhersehbaren Breaks. "The Tortoise And The Tourist" und "Sugar Boats" spielen mit hysterischem Lärm und theatralischer Attitüde, während "Coyotes" und "God Is An Indian And You're An Asshole" possierliche Verschnaufpausen bieten. Auch hüpfbare Indiehits wie "Lampshades On Fire" und "The Ground Walks, With Time In A Box" machen das Album zugänglich, ohne ins Triviale abzudriften.

Modest Mouse gelingt mit "Strangers to Ourselves" ein vielschichtiger, abgedreht lebendiger Langspieler, der den Durst der Fans nach Neuem wunderbar befriedigt. Und sogar ein Nachfolger steht nach Brocks Aussage schon in den Startlöchern.

Trackliste

  1. 1. Strangers To Ourselves
  2. 2. Lampshades On Fire
  3. 3. Shit In Your Cut
  4. 4. Pistol (A. Cunanan, Miami, FL. 1996)
  5. 5. Ansel
  6. 6. The Ground Walks, With Time In A Box
  7. 7. Coyotes
  8. 8. Pups To Dust
  9. 9. Sugar Boat
  10. 10. Wicked Campaign
  11. 11. Be Brave
  12. 12. God Is An Indian And You're An Asshole
  13. 13. The Tortoise And The Tourist
  14. 14. The Best Room
  15. 15. Of Course We Know

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6 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 9 Jahren

    Cut me down like a tree / like the lumber or weeds /
    Well, discard who you please / like the leaves off a tree /
    Drag me out of the sea / and then teach me to breath /
    Give me forced health / till I wish death on myself.

    Ah! Ha! Ha! Haha! Haha! Hahaaaa!

    Ja, verdammt. 8 Jahre sind eine sehr lange Zeit. Aber ich bin auch schon fast 20 Jahre TOOL-Fan und hab in der Zeit ganze 2 Alben-VÖsmiterleben dürfen, von daher... Wenn wir was können, dann warten.

    Marr und v.a. Judy werden mir sicher fehlen auf dieser Platte. Ja klar, die Sache mit Marr war von Anfang an als Spiel auf Zeit vereinbart, aber ich finde, dass sein Stil einfach hervorragend zu Modest Mouse gepasst hat.
    Diese zurückhaltende und unaufdringliche Kapelle mit dem überboardenden Sänger und den feinsinnigen Texten hat mir schon so viele Tage umringt von ignoranten Alles-Abfeierern erträglicher gemacht, die haben für immer einen Stein in meinem Brett. Wird sowas von angecheckt!

    Wer die mag sollte vielleicht auch mal in sowas wie "the Paper Chase" reinhören...

  • Vor 9 Jahren

    "Wunderbar surreale Welt zwischen Euphorie und Melancholie."

    Entspricht genau meinem inneren Zustand, muss ich mal rein hören.

    Gruß Speedi

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 9 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 9 Jahren

      Ja, hab mich beim Lesen der Review auch gewundert. 'Lonesome Crowded West' bleibt doch bis heute unerreicht, das Debut und 'Moon And Antarctica' sind auch grandios. Aber danach gings einfach mal bergab (auf hohem Niveau). Auf die neue bin ich dennoch gespannt.

  • Vor 9 Jahren

    Ein richtig schlechtes Album haben sie ja noch nie gemacht, so auch jetzt nicht. Trotzdem. Für mich haben MM mit "Good News" ihren Zenit überschritten und locken mich seitdem nicht mehr wirklich hinter dem Ofen hervor. More of the same nach 8 Jahren Wartezeit. Auf recht gutem Niveau zwar, aber wenn man schon 4-5 Platten von ihnen zu Hause hat, muss die nicht mehr sein.