laut.de-Kritik

Das Pionierwerk der Elektro-Musik lehrt die Pflanzen das Wachsen.

Review von

Amerika in den 1970er Jahren. Aus den Scherben der drogengeschwängerten, utopischen Ideologien der Flower-Power-Generation entwächst das New Age-Zeitalter und die Ökobewegung. Die Umweltphilosophie des Environmentalismus, ländliches Kommunenleben, Yoga, spirituelle Erleuchtung und Esoterik sind in aller Munde. "The Greening Of America" von Charles A. Reich sowie das zweifelhafte "The Secret Life Of Plants" der ehemaligen Geheimdienstagenten Peter Tompkins und Christopher Bird werden zu Kassenschlagern in den Buchhandlungen der Nation.

In ihrer pseudowissenschaftlichen Studie stellen Tompkins und Bird die abenteuerlichen Hypothesen auf, Pflanzen erhörten Gebete, seien telepathische Lügendetektoren, könnten Naturkatastrophen vorhersagen und empfingen sogar Botschaften aus weit entfernten Galaxien. Trotz oder gerade wegen dieser hanebüchenen Behauptungen verkauft sich ihr Buch millionenfach. Quasi über Nacht erblüht in Folge auch das Geschäft mit Zimmerpflanzen, die ex abrupto amerikanische Hauswände und Fensterbänke zieren. Die damals gewagteste und aus heutiger, wissenschaftlicher Sicht gar nicht mehr so abstrus erscheinende Behauptung in "The Secret Life Of Plants": Pflanzen lieben Musik.

Hier kommt der 1924 in New Brunswick, Kanada geborene Komponist und Pionier der Elektronischen Musik Mort Garson ins Spiel. Ende 1967 lernt er auf einer Konferenz der Audio Engineering Society an der amerikanischen Westküste einen gewissen Robert Moog kennen, der im Juni des Jahres auf dem Monterey International Pop Festival das erste Mal seinen elektronischen Tongenerator einem größeren Publikum vorstellt. Dieses Instrument revolutioniert unter dem Namen Moog-Synthesizer die Musikwelt. Garson, der zuvor als Arrangeur für Doris Day arbeitet und 1962 Co-Autor des später vielfach und bis heute gecoverten Billboard Hot 100 Nummer-eins-Hits "Our Day Will Come" der Rhythm And Blues-Band Ruby & The Romantics ist, lässt mit Entdeckung des Synthesizers die Welt der Popularmusik schlagartig hinter sich.

Mit seiner Platte "The Zodiac: Cosmic Sounds" ist er der Erste, der 1967 das neue Instrument an der Westküste bekannt macht. Als Buzz Aldrin und Neil Armstrong am 21. Juli 1969 den Mond betreten, hört die ganze Welt ein eigens von Garson zum Anlass der Live-Übertragung auf dem Moog-Synthesizer eingespieltes Stück. "Die einzigen Sounds, die mit der Raumfahrt einher gehen, sind elektrische. ... Ich benutzte psychedelische Musik für einen Abschnitt, der Aufnahmen aus dem Inneren des Raumschiffs mit negativen und diffusen Farben unterlegte und eine schöne Melodie für den Mond. Schließlich ist es doch ein lieblicher Mond" gibt er danach in einem Interview mit der L.A. Times an.

Mort Garson komponiert sein 1976 erscheinendes instrumentales Konzeptalbum "Plantasia" ganz spezifisch ebenfalls auf dem Moog – mit der Intention, dass es Pflanzen zugunsten eines besseren Gedeihens vorgespielt werde. Von zentraler Bedeutung für das Werk ist die Gärtnerei Mother Earth auf dem Melrose Place in Los Angeles. Die Platte ist nur dort beim Kauf einer Zimmerpflanze wie beispielsweise eines Bogenhanfs oder einer Friedenslilie (manchmal auch alternativ beim Kauf einer Simmons-Matratze bei der alteingesessenen Einzelhandelskette Sears) erwerbbar. Wenig verwunderlich, dass auf dem Plattencover zu lesen ist: "Warm Earth Music For Plants ... And The People Who Love Them". Selbstverständlich liegt jeder Ausgabe von "Plantasia" eine von Lynn und Joel Rapp geschriebene Anleitung zur Pflege der gekauften Pflanzen bei. Inklusive liebevoller Kurztexten zu den einzelnen Stücken des experimentellen, skurrilen Albums.

Die knapp 30 Minuten dauernde Platte ist ein bis ins letzte Detail geplanter, außerweltlicher Trip, dessen verträumte Moog-Sounds eine ganz und gar warme Atmosphäre schaffen. Dem entsprechen auch die Namen der Tracks, die einfach Lust machen, sich auf die Reise durch diese entrückten elektronischen Klangwelten zu begeben.

Der einführende Titeltrack "Plantasia" beginnt mit arpeggierten Akkorden, über der eine mystische und schwebende Theremin-Melodie erklingt. Der kurz darauf folgende orchestrale Part macht den Einstieg in die bizarren Reise perfekt. "Jede Tonhöhe ist wissenschaftlich gestaltet, um die Spaltöffnungen, die Atmungszellen deiner Pflanzen, so zu öffnen, dass sie sich geringfügig weiten und ihnen erlauben ein wenig freier zu atmen, wodurch sie etwas besser wachsen" steht in der Einsatzanleitung und erklärt damit gleichzeitig das Konzept des Albums.

"Symphony For A Spider Plant" und "Swingin' Spathiphyllums" sind liebevolle Oden an die grünen Hausgenossen der Naturalisten. Über letzteren Song steht im Begleittext: "Wenn du zu der Sorte Mensch gehörst, die ihre Pflanzen einfach jedes Mal beim Vorbeilaufen gießen muss und siehst, wie sie dich mit seelenvollem Blick auf ihren Blättern anstarren, dann wirst du die Spath lieben." Großartig!

"Philodendron-Arten und Efeutute sind wunderbar, um sie in Behälter ohne Löcher im Boden zu pflanzen" heißt es im Text zu "Concerto For Philodendron And Pothos". Der Nintendo-Generation dürfte dieser Track in anderem Gewand wohl sehr bekannt vorkommen. Komponist Koji Kondo übernahm die Melodie des Songs fast exakt für "Zelda's Lullaby", das erstmalig 1986 im Soundtrack zum NES-Spiel "The Legend Of Zelda" auftaucht und, neben "Ocarina Of Time", in mehreren Spielen der Serie Verwendung findet.

In den Credits für "Zelda's Lullaby" wird Garson dafür allerdings leider nicht honoriert. Überhaupt fühlt man sich, heute im 21. Jahrhundert, beim Hören von "Plantasia" des Öfteren an Soundtracks aus der Nintendo-Welt erinnert. Das gilt auch für das ätherische "Rhapsody In Green", bei dem man am liebsten sofort zum Erkunden bunter Pixelwelten aufbrechen möchte. Dabei sollte man jedoch nie vergessen: "Nicht alles was glänzt ist Gold. Manchmal ist es Grün." Das dürfte sich damals wohl manch eine*r beim Genuss eines gewissen Krautes während des Erkundens dieser psychedelisch-spacigen Klangwelten auch gedacht haben.

"Plantasia" ist ein Pionierwerk der frühen Elektronischen Musik des 2008 in San Francisco verstorbenen und heute leider nahezu vergessenen musikalischen Gestaltwandlers Mort Garson. Die jetzt erschienene Ausgabe ist das erste offizielle Re-Release dieses legendären Klassikers und kommt einschließlich sämtlicher im Original enthaltenen Texte daher. Zum Glück, denn die Originale werden im Internet zu horrenden Preisen gehandelt. Die unkommerzielle Verkaufsstrategie des 1976 erstmals veröffentlichten Meilensteins experimenteller Musik verhinderte damals dessen weitere Verbreitung. Die märchenhaften Klangwelten des seiner Zeit weit voraus gewesenen "Plantasia" müssen als das vielleicht sonderbarste Werk eines Künstlers gesehen werden, dessen Einfluss auf die heutige zeitgenössische Elektronische Musik von unschätzbarem Wert ist.

Trackliste

  1. 1. Plantasia
  2. 2. Symphony For A Spider Plant
  3. 3. Baby's Tears Blues
  4. 4. Ode To An African Violet
  5. 5. Concerto For Philodendron And Pothos
  6. 6. Rhapsody In Green
  7. 7. Swingin' Spathiphyllums
  8. 8. You Don't Have To Walk A Begonia
  9. 9. Mellow Mood For Maidenhair
  10. 10. Music To Soothe The Savage Snake Plant

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