laut.de-Kritik
Psychedelic-Rock an der Grenze des Machbaren.
Review von Kai ButterweckDrei lange Jahre reifte im nordischen Motorpsycho-Universum ein Projekt heran, das dieser Tage all diejenigen verstummen lassen wird, die meinten, nach "Tommy" könne man keine glaubwürdige Rock-Oper mehr inszenieren. Man kann! Und wie das funktioniert zeigen drei Norweger, deren einzige Motivation nach über 20 Jahren konventionsfreiem Treiben nur noch darin bestehen dürfte, sich zur Abwechslung auch mal selbst zu überraschen. 2012: Ziel erreicht. Denn mit "The Death Defying Unicorn" stoßen die Nordlichter unweigerlich an die Grenzen des Machbaren.
Selbst die verwöhnte Motorpsycho-Anhängerschaft dürfte bei diesem ultimativen "Rock meets Jazz"-Spektakel gewaltig mit den Ohren schlackern. "The Death Defying Unicorn": Ein Doppelalbum mit fast 90 Minuten Spielzeit. Dreizehn Songs, die zwischen einer- und sechzehn Minuten Lauflänge alles auffahren, was das Weirdoz-Herz eines jeden bekennenden Motor-Psychopaten im Dreieck springen lässt.
Unter der Regie von Norwegens Star-Keyboarder Stale Storlokken und mit Hilfe des Trondheimer Jazzorchesters hievt sich das Trio anno 2012 endgültig in konkurrenzlose Psychedelic-Rock-Gefilde. Frickelig geben sich die Orchester-Protagonisten beim Intro "Out Of The Woods" die Klinke in die Hand, ehe sich der rockende Dreier auf "The Hollow Lands" dazugesellt und gleich zu Beginn eines klarstellt: Hier trifft Motorpsycho auf Jazz und nicht Jazz auf Motorpsycho.
Kenneth Kapstad, Hans Magnus Ryan und Bent Saether geben die Richtung vor. Der klassische Background fügt sich, passt sich an und liefert stets das optimale Füllmaterial. Angetrieben und angestachelt von der permanent lauernden Hintergrund-Virtuosität der Storbokken-Gemeinde katapultieren sich Motorpsycho auf Endlos-Epen wie "Through The Veil", "Into The Gyre" oder "Mutiny!" von einem Jam-Höhepunkt zum nächsten.
Ständige Tempi- und laut-leise-Wechsel lassen im Vergleich eine Achterbahnfahrt in der "Dragon Khan" wie eine müde Kinderveranstaltung aussehen. Immer wieder meint man, den gelegten Spuren der Band folgen zu können, ehe man sich in der nächsten Sekunde wieder wie ein Blinder in einem Labyrinth fühlt.
Natürlich ist das irgendwann für jeden Neueinsteiger zu viel des Guten. Wer sich erstmals mit der Band auseinandersetzen möchte, dem sei geraten, sich eine andere Perle aus dem reichhaltigen Motorspycho-Fundus der Vergangenheit herauszupicken. Kenner und Liebhaber der Band werden sich stattdessen suhlen, laben und die nächsten Wochen wohl nichts anderes mehr fertig bringen, als dauerhaft auf Repeat zu drücken.
12 Kommentare
Mit psychedelischem Rock hat das wenig zu tun! Das ist reinster symphonischer Prog-Rock mit ordentlich Jam und Jazz. So Zheul-Dingens.
Wahnsinn. Das ist allerfeinster Psychedelic-Prog-Jazz-Rock. So ein Werk hätte ich auch einer Band wie Motorpsycho nicht zugetraut. Eine unglaubliche Überraschung, die gar nicht hoch genug bewertet werden kann! Das Jahr fängt ja doch besser an, als ich befürchtet habe...
Geiler Scheiß!!
@ForbiddenForest: Na sowas, diese modrige und verstaubte Schublade hatte ich schon fast vergessen...
Storlokken ist sicherlich der letzte, der es nötig hätte diese verstaubte, intellektuelle Kunstschiene zu fahren. Dafür ist der Mann viel zu gut und ein gefragter Name in der skandinavischen Jazz-Szene, vor allem was modernen Jazz angeht.
David Bowie meets Freddy Mercury auf Doom