laut.de-Kritik
An der Grenze des Vorstellbaren.
Review von Holger Grevenbrock13 Jahre sind die Grafikkünstlerin/Musikerin Geneviève Castrée und der Musiker Phil Elverum aka Mount Eerie ein Paar. 2015 kommt ihre Tochter zur Welt, vier Monate später erreicht das Paar die schockierende Diagnose von Genevièves Bauchspeicheldrüsenkrebs. Im Juli 2016 stirbt sie im Alter von nur 35 Jahren. Wenige Monate darauf beginnt Elverum mit dem Schreiben neuer Songs und den Aufnahmen: "A Crow Looked At Me".
Was macht die Krankheit mit der Person, die ich liebe? Wie verändert sie sich körperlich? Was passiert, wenn sie nicht mehr da ist? "A Crow Looked At Me" wirft viele Fragen auf, Antworten gibt es keine, Elverum sucht sie auch nicht. Vielmehr sind es Eindrücke, die sich ihm etwa auf den vielen Fahrten zum Krankenhaus oder in den allein verbrachten Nächten im Ehebett tief einprägen und darauf drängen, gehört zu werden: "Look at me / Death is real".
Der Tod gibt sich als Absenz zu erkennen. "Someone's there and then they are not". Es klingt einfach, fast banal, aber das ist es nicht. Der Platz, den die geliebte Person ausfüllte, ist leer. Stattdessen verbreitet sich Einsamkeit und ergreift Besitz von allem was dir lieb und teuer war. Erinnerungen sind ambivalent. Sie sind schmerzhaft und verhindern eine Rückkehr in so etwas wie ein normales Leben.
Noch schmerzhafter erscheint es, wenn sich die Erinnerungen langsam verdunkeln, ihre Kontur verlieren. Das Bewusstsein, wie es sich anfühlt, die verstorbene Person im Nebenraum zu wissen, sich an Kleinigkeiten festzuhalten, wie etwa ein quietschender Schreibtischstuhl oder das selbstvergessene Singen auf den Treppenstufen: "The actual experience of you here/ I can feel these memories escaping/ Colonized by photos narrowed down and told my mind erasing/ The echo of you in the house dies down" ("Toothbrush/Trash").
Elverum stemmt sich gegen das Vergessen, "A Crow Looked At Me" klingt wie ein von spärlicher Instrumentierung begleitetes Tagebuch. Die Sprache, assoziativ und direkt, lässt den Hörer teilhaben am Prozess, den Elverum in einzelnen Stadien nachzeichnet. Diese gnadenlose Ehrlichkeit, mit der er den Zuhörer konfrontiert, führt ihn auch an die Grenzen des Vorstellbaren.
Natürlich wecken die Beobachtungen und Empfindungen des Künstlers Empathie, aber sie verschließen sich zugleich, bieten keinen Zugang, da sie doch auf die ganz und gar eigenen Erfahrungen Elverums fußen. Das Album entzieht sich per se einer Bewertung, ein Paradox, dass sich nicht auflösen lässt.
Elverum selbst bezeichnet das Album als "barely music", mehr Stream of Consciousness denn Indie-Folk:" It's just me speaking her name out loud, her memory". Mantraartig wiederholt er die Worte "Death Is Real" und versetzt dem Zuhörer jedesmal aufs neue einen Stich: "October wind blows / It makes a door close / I look over my shoulder to make sure / But there is nobody here".
In den Songs spiegeln sich die unterschiedlichen Facetten des Todes, und wie er das Leben danach gestaltet. "Swims" fängt den flüchtigen Moment ein und setzt sich mit der eigenen Sterblichkeit auseinander. In "Forest Fire" verbrennt Elverum die Unterwäsche seiner Frau, begleitet von einem Gefühl der Leere und des Widerstands: "You do belong here / I reject nature, I disagree". "My Chasm" setzt sich mit seinem Verhältnis zur Außenwelt auseinander, und wie diese auf seine Situation reagiert: "The loss in my life is a chasm I take into town / And I don't wanna close it". Häufig wird der Moment des Loslassens reflektiert und wie sich dieser ankündigt. Das Fenster im Zimmer steht offen, "just in case something still needs to leave".
Wenn es diesen Moment denn gäbe, Elverum läuft die Zeit davon, um auf ihn zu warten. Nicht seinetwegen, sondern der gemeinsamen Tochter zuliebe: "I had to close the doors and windows without you coming through / I kept them open as long as I could / But the baby got cold". Das bedeutet jedoch nicht, den Tod zu akzeptieren. Wir sind immer noch selbst imstande, ihm unsere ganz persönliche Sicht auf das Leben entgegenzuhalten.
So verbreitet "Crow" die leise Hoffnung auf ein Wiedersehen: "Sweet kid, I heard you murmur in your sleep / "Crow," you said, "Crow"/ And I asked, "Are you dreaming about a crow?"/ And there she was".
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