laut.de-Kritik

Die Grunge-Pioniere kommentieren die Lage der Nation.

Review von

Vorliegende EP ergänzt Mudhoneys fast auf den Tag genau vor einem Jahr veröffentlichtes zehntes Album "Digital Garbage" um sieben weitere Tracks. Alle Songs der ausschließlich digital und auf Vinyl erhältlichen EP stammen aus den Albumsessions. Ein Teil erschien bereits als Bonustracks oder auf ultrararen, nicht mehr erhältlichen 7"-Tour-EPs - ein insofern überfälliger Release der Grunge-Veteranen aus Seattle.

Dass es nicht weniger politisch als auf dem Vorgänger zugeht, deutet schon der Titel an. Dieser bezieht sich auf die "It's Morning In America"-TV-Kampagne anno 1984. Ziel war es damals, die US-Bevölkerung mit dem Heilsversprechen eines "stolzeren, stärkeren, besseren" Amerikas zur Wiederwahl des republikanischen Präsidenten Ronald Reagan zu bewegen. Unübersehbar ist an dieser Stelle die Parallele zur spaltenden Rhetorik eines Donald Trump, gegen die sich dieses Album an vielen Stellen inhaltlich wendet.

Der Titeltrack gibt die Marschrichtung vor. "Morning In America" ist nicht weniger als ein zynisches Statement zur desolaten Lage der Nation, verblendet und uneinig: "America hates itself /.../ America rolls out of bed and looks in the mirror / and can't believe what it sees /.../ feeling so ugly, how could this be me? /.../ feeling so ugly, what have I become?", nölt Frontmann Mark Arm anklagend ins Mikro.

Mit Zeilen wie "[America] wraps up in the flag for cover / splitting it at the seams", thematisiert er das unreflektierte, einseitige Verhältnis zum Patriotismus. Musikalisch bewegen sich Mudhoney hier, passend zur lyrischen Schwere, in einem treibenden, an Sabbath und Clutch erinnernden Midtempo-Groove.

Das dystopisch anmutende "Vortex Of Lies" lebt ebenfalls von bluesgetriebenem Stoner Rock. Erneut beziehen Mudhoney politisch überdeutlich Stellung: "Most of us will be losing and they'll be doing the choosing / and we'll be stuck with the ruins of the terrible things they've done".

Dieses Gefühl der Machtlosigkeit - übertragen auf das orientierungslose Individuum in seiner Alltagsrealität - bestimmt auch den Inhalt des einzigen Covers der Platte. "Ensam I Natt" ("So Lonely Tonight") stammt von der schwedischen Kultband The Leather Nun, deren Protagonist Jonas Almqvist bei der Übersetzung ins Englische half. Mark Arms aggressiver, halb geschriener Gesang und Dan Peters explosives Schlagzeugspiel machen diesen Up-Tempo Punksong zu einem Höhepunkt der Platte. Sowohl "Vortex Of Lies" als auch "Ensam I Natt" waren bereits als limitierte 7"-Single im Rahmen der letzten Europatour erhältlich.

"Let's Kill Yourself Live Again", eine alternative Version von "Kill Yourself Live", erschien als Bonustrack der japanischen Version. In der aktuellen Fassung zeigt sich der von schwarzem Humor über selbstverliebte Social Media-Nutzer durchzogene Song deutlich gestraffter und auf das Wesentliche reduziert.

Zum Triumvirat der bisher nicht veröffentlichten Tracks zählen neben dem Titeltrack, das schnelle, garage- und punklastige "Creeps Are Everywhere" sowie das etwas getragene "Snake Oil Charmer", in dem es um einen Quacksalber geht, der den Leuten das Blaue vom Himmel verspricht. Selbstredend, wer im Kontext der Platte mit "he promised everything /.../ he will give us everything / the more he speaks, the more we hear what we want to hear" gemeint ist.

Das vorab als Single veröffentlichte und ursprünglich als Teil einer limitierten 7"-Splitsingle mit der amerikanischen Post-Hardcore-Band Hot Snakes erschienene, mächtig fuzzgetränkte und höllisch groovende "One Bad Actor" bleibt mit Abstand der beste Song der EP. Riffgewaltiger und textlich eindeutiger als hier zeigen sich Mudhoney anno 2019 kein zweites Mal: "One bad actor versus the rest of the world / my middle finger is on the button / itching to deliver the final concussion / think of me when you've become nothing".

Mudhoney liefern in äußerst kurzweiligen 22 Minuten was man von ihnen erwartet und was sie am besten können: schrammelige, rotzige und direkt zündende Songs mit sardonischen Texten zwischen Grunge, Garage, Punk und Metal. Es verwundert etwas, dass es diese sieben "Digital Garbage"-Überbleibsel damals nicht aufs Album schafften, lahmte der Vorgänger doch an einigen Stellen. Denn "Morning In America" überzeugt nun auf voller Linie: Nur von Outtakes zu sprechen, würde der Qualität der EP absolut nicht gerecht.

Trackliste

  1. 1. Vortex Of Lies
  2. 2. Creeps Are Everywhere
  3. 3. Ensam I Natt
  4. 4. Morning In America
  5. 5. Let's Kill Yourself Live Again
  6. 6. Snake Oil Charmer
  7. 7. One Bad Actor

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