laut.de-Kritik

Wie McCartney ohne Lennon, Harrison und Starr.

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Neal Morse schon zu seinen Lebzeiten eine Legende zu nennen, wäre zu hoch gegriffen. Allerdings passt das Etikett 'unterbewertet' schon längst nicht mehr. In den vergangenen zwanzig Jahren hat er sich mit Spock's Beard, Transatlantic oder The Neal Morse Band einen exzellenten Ruf als Vorreiter der Neo Prog-Bewegung erworben.

Dabei beherrscht der Mittfünfziger neben abendfüllenden Epen ebenso das kleine Einmaleins des Songwritings und setzt schöne Melodien in Szene. "Snow" oder der letzte Streich der Neal Morse Band ("The Similitude Of A Dream") klingen gerade aufgrund der strafferen Songstrukturen, die das Konzept in einzelne Parts unterteilen, äußerst zugänglich. Viele Fans haben die Widerhaken einer Ballade wie "June" fest in ihren Hörgängen verankert.

Gelang Neal Morse auf "The Similitude Of A Dream" eine runde Mischung aus Konzept und Struktur, streicht der Meister diesmal "The" und "Band" aus dem Namen und wandelt auf Solopfaden. Wobei das neue Material in seiner Anlage eher an seinen letzten Solo-Output "Songs From November" erinnert: Die ersten Soloalben fielen deutlich proggiger aus, wovon insbesondere der Track "A Whole Nother Trip" von der 2015er Morsefest-Nachlese Zeugnis ablegt.

Hier dominieren Gute Laune-Rocker mit immens poppigem Flair wie – nomen est omen – "Livin' Lightly", "Good Love Is On The Way", "Wave On The Ocean" oder "Manchester". Daneben erklingen dezent nachdenkliche Zwischentöne wie der Anti-Kriegs-Song "He Died At Home" oder der Carpe Diem-Beitrag "If I Only Had A Day", die in ihrer Wohlfühl-Harmonik und Instrumentierung nicht ansatzweise an die Achterbahnfahrten von Morse' Prog-Ergüssen heranreichen.

Beziehungslyrik in Form kleiner Oden an seine Lieben bricht sich öfter Bahn, als es manchem lieb ist. Das mag für Morse Authentizität ausstrahlen, rutscht aber des Öfteren in die Sparte Kalendersprüche ab. Die Zeile "You make me feel like a wave on the ocean in the summertime" verdeutlicht dies drastisch.

Der Albumtitel "Life & Times" klingt zunächst nach Krieg und Frieden, nach Auf und Ab, nach der Suche nach dem großen Ganzen, was vielen ambitionierten Prog-Alben zu eigen ist. Dabei ist "Life & Times" vor allem ein Wohlfühlalbum, eine Liturgie des Glaubens, ein Bekenntnis zu den Menschen, die man liebt, und ein Abgesang auf böse Geister.

Neal Morse' Soloalben zeigen zwei Dinge: Zuerst hört man, welch begnadeter Songwriter mit einem Händchen für einprägsame, aber nie abgehalfterte Melodien und Arrangements Morse ist. Zum Zweiten bemerkt man das fehlende Korrektiv einer eingespielten Band, die sich kreativ in die Songs mit einbringt.

Somit trägt das Bild im Booklet Symbolcharakter: Neal Morse schlendert allein über einen Zebrastreifen. Er wandelt auf den Spuren der Beatles, aber was wäre ein McCartney ohne Lennon, Harrison und Starr?

Trackliste

  1. 1. Livin' Lightly
  2. 2. Good Love Is On The Way
  3. 3. JoAnna
  4. 4. Selfie In The Square
  5. 5. He Died At Home
  6. 6. She's Changed Her Mind
  7. 7. Wave On The Ocean
  8. 8. You + Me + Everything
  9. 9. Manchester
  10. 10. Lay Low
  11. 11. Old Alabama
  12. 12. If I Only Had A Day

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