laut.de-Kritik

Für Cobain das Ende, für Young ein Neuanfang.

Review von

Die 1970er Jahre, die für Neil Young so gut begonnen hatten, drohten in einem Desaster zu enden. Aus dem jungen kanadischen Barden, der sich 1970 erst mit Crosby, Stills And Nash, dann unter eigenem Namen mit seiner hohen Stimme in die hohen Etagen der Charts gesungen hatte, war ein introvertierter Singer/Songwriter geworden, der in einem Strudel aus Tragödien, Drogen und Selbstzweifel gefangen schien.

Ein Sinnbild dafür bleibt das "teuerste Kokain, das ich jemals gekauft habe", wie Robbie Robertson es später beschrieb. Das hing 1976 unmissverständlich an Youngs Nase, als er beim Abschiedskonzert von Robertsons The Band auf die Bühne trat. Dumm nur, dass Martin Scorsese das Ereignis mit dem Titel "The Last Waltz" verfilmte. Auf Drängen von Youngs Manager musste das weiße Pulver Fotogramm für Fotogramm entfernt werden – mit einem Spezialeffekt, den die Techniker "travelling booger matte" (so etwas wie "wandernder Popelklumpen") tauften.

Im Laufe der 70er Jahre hatte Young mehrere Alben veröffentlicht, darunter die üppige Zusammenstellung "Decade" (1977), die dank der persönlichen Beteiligung Youngs und seiner Kommentare nach wie vor als vorbildliche Retrospektive gilt. Mit "Hurricane", "Cortez The Killer", "Tonight's The Night" oder "Comes A Time" hatte er zudem bewiesen, dass er nach wie vor erstklassige Songs schreiben konnte. Ein Ausrufezeichen in LP-Länge fehlte jedoch.

1979 überrascht Neil Young mit einem Album, wie er es seit seinem größten Erfolg "Harvest" 1971 nicht mehr geschrieben hatte. Ein kurzes Intro auf der Akustikgitarre, dann eine Strophe für die Ewigkeit: "My my, hey hey, Rock'n'Roll is here to stay / It's better to burn out, than to fade away / My my, hey hey."

Als Gassenhauer hat Young das ruhige Stück nicht ausgelegt, eher als Zeugnis des Versuchs, seine eher trostlose Lage einzuschätzen. Sobald wir stillhalten, beginnen wir zu rosten, sagt der Titel des Albums aus. Kreativität stirbt ab, wenn man sie nicht fördert. Also denkt sich Young zwei Besonderheiten aus. Zum einem nimmt er einige Stücke live auf und mischt anschließend das Publikum aus. Nicht ganz allerdings, denn Klatschen und Rufe fallen vor allem im Opener auf. Zum anderen soll es aus zwei unterschiedlichen Seiten bestehen.

Auf der A-Seite zupft Young seine 12-saitige Gitarre und liefert zwei weitere exzellente Stücke ab: Den Road-Song "Thrashers", eine Abrechnung mit Crosby, Stills and Nash, darin die geniale Zeile "burned my credit card for fuel". Und das verträumte "Pocahontas" über die mythenumrankte "Indianerprinzessin" aus dem 17. Jahrhundert, um die Disney Jahre später einen Zeichentrickfilm strickt. Wobei sich Young, der das Lied bereits 1975 aufgenommen hat, nicht unbedingt jugendfrei zum Thema äußert: "I wish I was a trapper and had a thousand pelts / To sleep with Pocahontas and find out how she felt".

Beim Anhören des Albums in elektronischer Form fehlt leider die Überraschung beim Umdrehen der ursprünglichen Vinyl-Ausgabe. Schön eingelullt vom lieblichen "Sail Away" ist es nach wie vor eine Freude, den unwissenden Besuch vom Sofa aufzuschrecken. Denn bei "Powderfinger" ertönen neben der E-Gitarre auch Youngs Begleitband Crazy Horse, die sich zunächst noch zurückhält, auf den folgenden Stücken aber ordentlich Gas gibt.

Später gilt die B-Seite als eine der Geburtsmomente des Grunge. Fest steht, dass alle Beteiligten Gefallen am Verzerrer fanden. Auf "Sedan Delivery", das wie "Powderfinger" ursprünglich für Lynyrd Skynyrd vorgesehen war, strapaziert Young seine Stimme bis zum Anschlag. Doch ist es das abschließende Lied, das das Album zum Meilenstein macht.

Im Prinzip derselbe Song wie der Opener, nur mit geänderter Strophenfolge und vor allem mit einer E-Gitarre auf 11. Von Selbstzweifeln bleibt keine Spur mehr. Hier ist ein Künstler am Werk, der seine Bestimmung gefunden hat, der mit Wut und Energie auf die widrigen Umstände des Lebens reagiert. Der sich treu bleibt und sich dennoch neu erfindet.

Mit "Rust Never Sleeps" (und dem kurz danach veröffentlichten Konzertmitschnitt "Live Rust") meldete sich Young zurück im Ring. Zumindest vorübergehend. Wer sich mit seinem Werk auskennt, weiß, dass seine Experimentierfreude in den folgenden Jahren seltsame Blüten hervorbringen sollte. Streng genommen eher Schlimmes als Gutes. Erst Ende der 80er Jahre findet er wieder seinen Weg, als er erneut den Lautstärkeregler aufdreht und zu so etwas wie dem Godfather des Grunge mutiert.

Der riesige Einfluss, den "Rust Never Sleeps" auf nachfolgende Generationen ausübt, zeigt sich an Kurt Cobains Abschiedsbrief. "I don't have the passion anymore, and so remember, it's better to burn out than to fade away", schreibt er 1994 in den letzten Zeilen, bevor er sich mit einer Flinte den Kopf wegpustet. Bei Neil Young lief es genau umgekehrt: Für ihn bedeuteten diese Zeilen nicht das Ende, sondern einen Neuanfang.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. My My, Hey Hey (Out Of The Blue)
  2. 2. Thrasher
  3. 3. Ride My Llama
  4. 4. Pocahontas
  5. 5. Sail Away
  6. 6. Powderfinger
  7. 7. Welfare Mothers
  8. 8. Sedan Delivery
  9. 9. Hey Hey, My My (Into The Black)

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