laut.de-Kritik
Komm mit ins Abentneuserland.
Review von Benjamin FuchsEine kurze Klimpergitarre, und schon bricht der Bombast los. Das Klavier klöppelt über einen ausgefranst-verzerrten Sechssaiter. Jetzt muss die Intensität wieder abnehmen, und Chris Martin setzt ein. Ganz bestimmt. Da, jetzt. Die Instrumente klingen aus. Nee, kann doch nicht sein. Da singt einer auf Deutsch. Ist das Kim Frank von Echt? Neuser, sagt die CD-Hülle. "Alles Wird Leichter", heißt das Album. "Wie Es Ist" heißt der Song. Aha. Neuser.
Eine Band debütiert mit neuem Namen zum zweiten Mal - nach dem Album "Luka Neuser" (2002) - und erfindet den Pop nicht neu. Neuser kommen aus Köln und werden zurzeit heftigst mit ihrer eingängigen Single "Von Vorn Anfangen" im Radio gefeiert. Ist ja auch nett, irgendwie. So kuschelig. Als hätten die Jungs von Echt die Mädels von Virginia Jetzt! beschlafen. Das hat man jetzt davon. Sänger Henning Neuser bittet um eine neue Chance, hat sich seine Teufel ausgetrieben, meint er. Was kann dieser so furchtbar nett klingende junge Herr schon getan haben? Auf jeden Fall will er sie zurück, die Frau, und vielleicht auch ein kleines Stück Harmonie.
Für das energische "Jetzt Leben Wir" holt das Quartett eine sägende Gitarre heraus, das Klavier hüpft über den Soundteppich. Das macht doch mal etwas her. Eine erste rühmliche Ausnahme. "Sie und ich sind so verschieden, doch es reicht um sich zu lieben / Wir zwei sind unvereinbar / Und scheinbar ganz zufrieden", so gesungen beim nächsten Track. Wenn das nicht mal echtes Beziehungsunderstatement ist. Jetzt noch ein Nierentischchen daneben und vors Haus den VW-Käfer mit gehäkeltem Klorollenüberzug auf der Hutablage und wir sind zurück im Wirtschaftswunderland.
Wo kommt eigentlich diese ganze Harmoniesucht im deutschen Indie-Pop her? Jochen Distelmeyer ist ein Fall für die ZDF-Hitparade geworden und Virginia Jetzt! sind ohnehin nur noch eine handbreit von einem Auftritt bei Florian Silbereisen entfernt. Die Sportis liefern dagegen den Soundtrack zum Schunkel-Saufen im Bierzelt. Verrückte Welt. Neuser positionieren sich gekonnt dazwischen und kaschieren alles mit einer kleinen Dissonanz hier und einem Tritt aufs Verzerrerpedal dort.
"Du bleibst bei mir / Du hast dich in mir verewigt" singt Henning Neuser bei "Du bleibst" inbrünstig und verstärkt den Schlagerverdacht weiter. Eine Zeile im Pur-Format. Warum hier nicht Hartmut Engler um die Ecke geschleimt kommt, fragt man sich spontan. Das wäre die perfekte Kombination: Henning und Hartmut auf dem Weg ins Abentneuserland.
"Das Perfekte Gefühl" - man möchte fast darauf wetten, dass dieses zweite, unter Rockverdacht stehende Lied mit enormem Wiedererkennungwert als zweite Single ausgekoppelt wird. Vielleicht auch "Du Bleibst".
Aber der Reihe nach. Zuerst ein Trommelwirbel und diese perfekte Zeile genießen: "Der doppelte Pulsschlag einwattiert" - ein heißer Kandidat für den Grönemeyerlyrik-Nachwuchs-Award. Mit seinen Dynamiksprüngen, dem Wechsel zwischen nach vorne drängenden Gitarrenpassagen - abgeschmeckt mit Klaviertupfern - und sparsamer instrumentierten, energisch gesungenen Strophen gehört es auch zu den besseren Stücken.
"Keiner Von Euch" bewegt sich etwas in Richtung NDW-Retro-Chic. Indie-rockig nett, aber auch sehr harmlos. Überzeugen kann Neusers Debüt nicht wirklich. Nette, friedliche Songs, die nicht nach etwas Eigenem klingen, sondern nach einem heterogenen Sammelwerk geliehener Töne. "Alles Wird Leichter" wirkt konstruiert, aufgesetzt und nicht zuletzt auch kalkuliert.
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