"Culture as usual" beklagt der ukrainische Botschafter, auch Berlins Bürgermeister sieht die Auftritte kritisch. Soll Anna Netrebko in Berlin singen?

Berlin (ebi) - Ab morgen soll Anna Netrebko in der Berliner Staasoper Unter den Linden an vier Abenden in Giuseppe Verdis Oper "Macbeth" auf der Bühne stehen. Gegen das Engagement der weltberühmten Sopranistin regt sich seit Wochen Widerstand. In einer Ende August gestarteten Petition wird die Staatsoper aufgefordert, Netrebkos Rolle neu zu besetzen.

Der Grund: Ihre "Nähe" zum Kreml bzw. Russlands Präsident Wladimir Putin. Die Sängerin habe "nur sehr indifferent erklärt, sie sei gegen den aktuellen Krieg und sie hoffe, er möge enden. Sie hat jedoch mit keinem Wort die Verantwortung Russlands und Wladimir Putins für den Angriffskrieg anerkannt und dessen Handeln verurteilt." Dies sei nicht akkzeptabel, so die Initiatoren. Über 36.000 Menschen haben die Petition bis dato unterschrieben.

In die Debatte schaltete sich gestern auch der ukrainische Botschafter in Deutschland ein. Oleksii Makeiev wirft der Netrebko gar eine "persönliche Mitverantwortung" für Russlands Überfall auf sein Heimatland vor und bezeichnet sie in einem Kommentar zur Petition als "Ex-Unterstützerin Putins und Propaganda-Mithelferin bei der Donbass-Besetzung". In ihrer "verspäteten Erklärung" habe sie den Krieg nur verurteilt, "ohne zu erwähnen, wer ihn überhaupt angefangen hat und wer ihn genozidal führt". Die Staatsoper betreibe "culture as usual" und setze ein "Zeichen des Wegschauens".

Singt sie oder singt sie nicht?

Das Berliner Opernhaus, in dem Netrebko zum ersten Mal seit Kriegsbeginn wieder auftreten soll, hatte die Zusammenarbeit mit ihr, wie andere internationale Häuser auch, im vergangenen Jahr ausgesetzt, fordert mittlerweile aber eine differenzierte Sichtweise ein: "Es ist wichtig, zwischen vor und nach dem Kriegsausbruch zu unterscheiden. Anna Netrebko hat seitdem keine Engagements in Russland angenommen und es wurde uns seitens ihres Managements bestätigt, dass es auch weiterhin keinerlei Vorhaben für Auftritte in Russland gibt", teilte die Staatsoper Anfang September mit.

Netrebko habe sowohl durch ihr Statement als auch ihr Handeln seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine eine klare Position eingenommen und sich distanziert. Zudem sei die "klar proukrainische Position" der Staatsoper der Sängerin bekannt, hatte Intendant Matthias Schulz der Berliner Zeitung gegenüber betont.

Unterstützung erhielt die Petition am Montag dagegen aus Wissenschaft und Kultur. In einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner, Kultursenator Joe Chialo und Intendant Schulz wird für Freitag vor der Staatsoper eine Demonstration angekündigt, werde Netrebkos Auftritt nicht abgesagt. In dem Brief werden zahlreiche Beispiele angeführt, die Netrebkos Kreml-Treue aus Sicht der Unterzeichnenden belegen.

Die beiden CDU-Politiker äußerten sich daraufhin kritisch: Er werde Netrebkos Auftritt boykottieren, so Chialo. Wegner bedauerte gegenüber der dpa die mangelnde Distanzierung der Sängerin. Er sehe den Auftritt "sehr kritisch". Gleichwohl sei "die Freiheit von Kunst und Kultur in unserem Land ein hohes Gut. Das gilt auch für alle Einrichtungen in Berlin und ihre Entscheidungen über ihr künstlerisches Programm". Im SWR spricht sich Albrecht Selge in einem Kommentar ebenfalls dafür aus, Netrebko singen zu lassen. Bei aller berechtigter Kritik, die Sängerin habe den Krieg nur zögerlich verurteilt und nur das Nötigste formuliert, könne man ihr nicht vorwerfen, sich zu einer Zeit für die Kreml-Propaganda habe einspannen lassen, zu der führende westliche Politiker Putin noch hofierten.

Klage in New York

Mit der New Yorker Metropolitan Opera liegt die Sängerin derzeit in einem Rechtsstreit: Das Opernhaus, in dem Netrebko seit 20 Jahren auftrat, hatte die Zusammenarbeit mit der Sopranistin 2022 ebenfalls beendet, weil sie sich nicht von Putin distanzieren habe wollen, wie der Spiegel die Met zitiert. Netrebko reichte daraufhin im August Klage auf Schadensersatz ein.

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