Rinko Heidrich
Am Ende des Jahres führen weiße, alte Männer die Albumcharts an. So ganz schlimm scheinen alte, weißen Boomer ja doch nicht zu sein, und ist es nicht eigentlich die Gen Z, die auf TikTok alten Zeiten hinterherjammert, aber am Ende im Nirvana-Shirt zur Flausch-Erzkapitalistin Taylor Swift pilgert?
Okay, das war nun stark verallgemeinert und so unterkomplex wie ein El Hotzo-Tweet. Der große Vordenker der Tasten-Generation ließ erst bei sämtlichen Affären und nach einem Exposing einer gehörten Freundin auch im Internet die Hosen runter. Ja, vielleicht sollte man wieder aktiver denken und bequem Tweets ähnlicher Apologeten teilen oder sich schnell vom nächsten Dulli auf YouTube die Welt erklären lassen. Eine Headline wie "Ich weiß es doch auch nicht!" klickt wohl eher mäßig, aber wäre mal erfrischend authentisch. Das macht mich für mich gerade die Top drei der Albumcharts sehr angenehmen: Robert Smith und Nick Cave zweifeln an sich, Gott und dem Leben.
Selbstzweifel wären mal wieder überall angebracht, aber sind wohl 2024 komplett aus der Mode. So zicken sich Kendrick Lamar und Drake im ödesten Beef ever an, mit Pädo-Vorwürfen und Witze über Körpergröße. Musikalisch gilt wohl allgemein Kenny als Sieger, aber Drake, eh noch nie mit Street Creed gesegnet, führt am Ende des Jahres weiterhin die Streaming-Charts an und kann damit wohl leben, dass die "Straßen" ihn nun noch mehr verachten. Zerstört wurde also niemand, der Hip Hop-Kultur hat es bis auf billigstes Entertainment aber auch nicht weitergeholfen.
Überhaupt Zerstörung: Überall "Die Zerstörung von…"-Videos und Texte, ohne dass die jeweilis zerstölrte Partei wirklich Schaden davon trüge, eher im Gegenteil. Wie groß der Einfluss von KI sein wird, weiß man noch nicht, vielleicht verkommt der Begriff in zehn Jahren wie "Second World" zu einem verschimmelten Relikt aus der Frühzeit des Internets. Oder wir stehen am Anfang einer großen Kulturrevolution. Andererseits, wie Eric Pfeil schon sagte: Coldplay machen eh schon KI-Musik, ohne dafür überhaupt KI zu verwenden.
Nee, aber so darf dieser eh schon zu lange Rant nicht enden. Es gibt großartige Subreddits, und mit etwas Zeit findet man auch auf YouTube wunderbare alte und neue Musik abseits des Mainstreams. Es braucht eben Eigeninitiative und viel nervige Arbeit gegen den sackblöden Algorithmus. Ach so, zu meiner Jahresliste, glaube, darum ging es ursprünglich: Anstatt die kotzunsympathischen BDS-Supporter von Fontaines D.C. waren Yard Act die so viel besser Wahl. Die sind übrigens nun in einem Team mit dem Wirrkopf Roger Waters, der gerade Radiohead wegen Zionismus beschimpft. Noga Erez wird derzeit vom Kulturbetrieb gecancelt, obwohl sie mit Netanjahu nichts am Hut hat. Schade, ihr Auftritt beim Maifeld war durchaus spannend und mit "The Vandalist" hätte sie ein gelungenes, zweites Album am Start. Ach, egal lest einfach mal abseits von eurer "Queers For Palestine"-Bubble das "After Woke" Buch von Jens Balzer, und ihr versteht es.
In solchen Momenten bekommt man Hass und was eignet sich da nicht besser als Black Metal? Wem das schöne Album von Alcest nicht mehr krass genug ist, der kann hier abbiegen oder mit Winterfylleth auf einem schwarzen Ross zum Gipfel reiten. Im Juli stehe ich in Manchester übrigens im Maine Road Stadium und erlebe das nie geglaubte Comeback von Oasis. 2025 wird vielleicht nicht gut, aber besser. Falls nicht: You gotta spit on that thang. Hawk-Tuah.
- International Music - Endless Rüttenscheid
- Yard Act - Where's My Utopia
- Die Nerven - Wir Waren Hier
- English Teacher - This Could Be Texas
- The Last Dinner Party - Prelude To Ecstasy
- Charlie XCX - BRAT
- Alcest - Les Chants De L'Aurore
- Amyl And The Sniffers - Cartoon Darkness
- Jack White - No Name
- Cloud Nothings - Final Summer
- Elbow - Audio Vertigo
- Julie - My Anti-Aircraft Friend
- Solstafir - Hin Helga Kvöl
- Noga Erez - The Vandalist
- Spectral Wounds - Songs Of Blood And Mire
- Winterfylleth - The Imperious Horizon
- Vegyn - The Road To Hell Is Paved With Good Intentions
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