Perfekte Schönheit, perfekte Ausbildung, perfekte Musik, null Konflikte: Eine inoffizielle Biografie gestattet Einblicke in die K-Pop-Kultur.
Seoul (ynk) - "Blackpink: Die K-Pop Queens - die inoffizielle Biographie" liest sich über weite Strecken wie die vegetarische Variante von Bret Easton Ellis' "American Psycho". Die Szenen beginnen mit minutiös detaillierten Beschreibungen von Klamotten - und dann wird geslayt. Abwägungssache, mit was von beidem man mehr anfangen kann. Ellis mag etwas mehr Sprachgefühl haben als Autor Adrian Besley, dafür killen es Blackpink auf Songs wie "Boombayah" mehr, als Patrick Bateman es sich je träumen ließe. Die inoffizielle Fan-Biographie der vierköpfigen Girlgroup erleuchtet inhaltlich nicht unbedingt, ihre Aufmachung sagt aber trotzdem einiges über den K-Pop aus.
Inhaltlich erschöpft das Buch sich in online verfügbaren Informationen. Jenny, Rosé, Lisa und Jisoo wurden gecastet, irgendwann hatten sie ihr Debüt, dann machten sie Songs, sahen dabei gut aus und machten eine Menge Klicks. Kennt man. Aber auch in dieser minutiös detailliert nacherzählten Wikipedia-Bio stecken ab und zu Momente, über die man grübeln möchte.
Denn es gibt ja auch nach außen hin bekannte Ereignisse im Werdegang von Blackpink, über die man gerne mehr erfahren hätte. Zum Beispiel über die Trainingsperiode einer Gruppe, die eigentlich schon 2013 an den Start hätte gehen sollte, dann aber doch bis 2016 auf Eis lag. Über Jennies Beziehung mit Kai von der Boygroup EXO, die für einen handfesten Skandal gesorgt hat. Auch über die Musik hätte man ein bisschen reden können, über Blackpinks einzigartige Comeback-Politik oder ihre Art und Weise, Musik zu veröffentlichen.
Welche erfolgreichste Band der Welt veröffentlicht in ihren ersten vier Jahren gerade einmal 15 Songs? Aber Recherche und Analyse scheinen nicht so das Ding des Fan-Guides zu sein. Stattdessen bekommt man einen "Anfänger-Baukasten K-Pop-Vokabular" an die Hand und Episoden aus dem Leben, die sogar ich als absoluter Causal-Fan aus dem Stegreif hätte nacherzählen können.
Die meisten Kapitel lesen sich nach dem Schema: Es gibt einen Song. Sie machen ein Video. Sie sehen großartig aus. Der Song wird erfolgreich. Sie machen eine Live-Show. Sie sehen fantastisch aus. Die Show ist gut. Alle sind überwältigt davon, wie gut das jetzt gelaufen ist. Spätestens sechs Kapitel später fällt es schwer zu glauben, denn diese Girlgroup, die offensichtlich mehr gewinnt als Bayern in der Bundesliga, wird sich doch irgendwann daran gewöhnen, dass Leute sie ganz gut finden, oder?
Wer weiß? Die Prosa dieses Textes ist eigentlich nur eine Erweiterung des Fan-Materials, das YG Entertainment im Blackpink-Kosmos zur Verfügung stellt. Man könnte stattdessen auch die ganze Staffel Blackpink-House gucken, in der man den vier Frauen dabei zusehen kann, wie sie monotone, alltägliche Dinge tun und sich darüber freuen, Stars zu sein. Auch in diesem Content spürt man die Limitationen dessen, was ihr Label als Image-gerechte Präsentation wahrnimmt. Für Struggle, Auseinandersetzung mit Industrie und Kultur, Ängste und Konflikte in der Gruppe gibt es keinen Raum. Mag sein, dass es im Rahmen der K-Pop-Industrie eine ganze Menge Scheiße gibt, die passiert. Aber die wird fachgerecht verdrängt. Man will ja nicht zu kontrovers arbeiten.
Auch die öffentlichen "Skandale" geben höchstens eine Randnotiz her, stattdessen wiederholt das Buch Mantra-artig, wie gut die vier Sängerinnen miteinander befreundet sind und wie viele Klicks und Rekorde sie eingefahren haben. Dass sie "wundervoll" aussehen, konstatiert das Buch mit siebzehn Synonymen sicher über zweihundert Mal. Es gibt auch dreimal so viele Absätze, die ihre Outfits beschreiben, anstatt den Fokus auf die Musik zu richten.
Nun möchte man berechtigterweise einwenden: Yannik, du alter Nörgler, was zum Teufel hast du denn von diesem Buch erwartet? Einen systemkritischen Takedown der Industrie oder eine tiefschürfende Analyse der Musik? Und - natürlich nicht die Bohne. Im Grunde habe ich mit "Blackpink: Die K-Pop Queens" genau das bekommen, was ich mir erhofft habe: Eine von vorn bis hinten glatte Abhandlung. Eine Geschichte ohne jegliche Form von Konflikt. Ein Handlungsstrang, der so linear nach oben verläuft, dass man es fast experimentell finden könnte.
Man muss sich nur einmal das Musikvideo zu "Stay" ansehen und ahnt den Effekt, den auch dieses Buch ausübt. Die Fantasie, die K-Pop verkauft, macht keine Kompromisse. Paradox dabei: Obwohl das Buch nicht weniger als absolute Perfektion beschreibt, perfekte Schönheit, perfekte Ausbildung, perfekte Musik, eine perfekte Karriere - klingt es gar nicht so krass nach Fanboy, wie man es erwarten würde.
Ich hätte vielleicht nicht über insgesamt fünfzig Seiten die Outfits abgefeiert, aber ich denke, würde ich über Blackpink schreiben, hätte ich etwas deskriptivere, größere Worte dazu gefunden, wie gut Lisa als Tänzerin ist. Wie stark Rosé stimmlich inzwischen agiert. Wie untypisch stimmig und beeindruckend die Rap-Parts in vielen Songs klingen. Wie gut und vorwärtsdenkend das Songwriting auf Nummern wie "Playing With Fire", "Boombayah" oder "Ddu-Du Ddu-Du" funktioniert. Aber das scheinen alles Formalien zu sein. Das Buch folgt der Logik von Stan-Twitter: Die Kunst ist so groß und gut wie die Erfolge, die sie einfährt. Dass "Ddu-Du Ddu-Du" ein fantastisch geschriebener Song mit perfekt ausgeführtem Spannungsbogen und genial kombinierten Trap- und EDM-Elementen ist, kann man unter "der Song ist gut und sie sehen wundervoll aus" subsumieren. Der eigentliche Knackpunkt scheint zu sein, wie viele Klicks er eingefahren und wie viele Awards er gewonnen hat.
In diesem Sinne transzendiert "Blackpink: Die K-Pop Queens" konventionelle Strukturen des klassisch literarischen Kanons, es ist ein reines Konsum-Schlachtfest, das mehr mit einem Ikea-Katalog als mit einer Erzählung zu tun hat. Es zeigt eine Welt ohne Ecken und Kanten, Protagonisten ohne Tiefe und Geschichte, Musik ohne Kontext und Gehalt. Es resümiert Blackpinks immensen Trophäenschrank und portraitiert eine simple Realität jenseits von Utopie und Dystopie: Jennie, Rosé, Lisa und Jisoo existieren, um zu gewinnen, sie schweben durch die Welt und sehen wundervoll, umwerfend, fantastisch aus. Das ist alle Bedeutung, aller Sinn, aller Inhalt, der zählt. Und diese eindimensionale Sinnhaftigkeit der Welt macht den absolut unerklärlichen Sog dieser bizarren Lektüre aus. Um es mit anderen Worten zu sagen: We had absolutely no choice but to stan.
3 Kommentare mit 2 Antworten
"vegi-varianten" von American Psycho hat B.E. Ellis doch selber verfasst. Sie (sc)heißen regeln des Spiels und glamorama...
Naja, sich bei den Fans anbiedernde, stumpf offen verfügbare Informationen zusammentragende Biographien von Populäracts sind ja jetzt auch kein neues Phänomen. Ob man einem offensichtlich, an bedeutendem Inhalt völlig leerem Cashgrab jetzt unbedingt so viele Zeilen Aufmerksamkeit spenden musste, weiß ich nicht so recht. Aber gut, die typischen K-Pop Alben werden hier ja auch rezensiert.
"Dass sie "wundervoll" aussehen, konstatiert das Buch mit siebzehn Synonymen sicher über zweihundert Mal."
Zwei Absätze später: "Es klingt gar nicht so krass nach Fanboy, wie man es erwarten würde."
Scheint also, als würde der Autor die Damen zwar gerne vögeln, aber ihre Verdienste nicht ansprechend würdigen wollen.
Wenn selbst die offizielle Jubelperser-Biographie ihren Gegenstand derart degradiert, sollte das einen doch ins Grübeln darüber bringen, warum man diesem offenkundigem Cashgrab überhaupt ne Rezi widmen muss. Praktikant Gölz vermag leider keine hinreichende Begründung zu liefern, abseits der 50 cent die ihm pro Wort gezahlt werden.
Die Musik ist und bleibt selbstverständlich Kernschrott; Musik mit der ästhetischen Halbwertszeit eines Blowjobs im Lieferanteneingang von McDonalds.
Die schönste und gerechteste Beschreibung von K-Pop, die ich bisher las.
Fell in love with THE SCHWINGER