Die Zukunft des Noise-Punks sorgte für tropische Temperaturen im Hamburger Molotow.

Hamburg (rnk) - Schon seit Wochen gibt es einen eindringlichen Appell von deutschen und internationalen Künstler:innen: Das Molotow soll nach mehreren Umzügen nun endgültig für die Hotelkette Hyatt weichen. Eine von vielen bedenklichen Entwicklungen, wenn man sich auch andere Städte und das große Clubsterben von kleinen Indie-Locations vor Auge führt. Dabei ist der Standort direkt an der Reeperbahn eigentlich perfekt und schnell zu erreichen, auch wenn das Publikum dort überwiegend aus Sauftouris und Eventvolk besteht.

Umso schöner die tatsache, dass das Molotow dort eine Ausnahme bildet und vorbei am Massengeschmack immer wieder tollen Newcomern eine Plattform bietet. "Ausverkauft" liest man am vergangenen Samstag auf dem Zettel am Eingang: Eine hoch gehandelte Band tritt auf - Sprints aus Dublin im Doppelpack mit English Teacher. Die Gemeinsamkeit der Co-Headliner: eine Frau an vorderster Front und ein nicht besonders geschickter Bandname, was die Google-Suche angeht.

Der Unterricht beginnt

Die Band mit der Lehrerbezeichnung eröffnet den Abend. Die Band um Multinstrumentalistin und Sängerin Lily Fontaine läuft in Deutschland noch unter dem Radar, Musikfans aber feiern aber Trarcks wie "Mastermind Specialism". Fontaine war bereits in der legendären Musikshow "Jools Holland...Later" zu Gast. Dort starteten immerhin Sonic Youth und auch Oasis ihre Karrieren. English Teacher aus Leeds spielen einen Mix aus verträumten Shoegaze-Melodien und einigen Punk-Ausbrüchen.

Der Sound wirkt im Gegensatz zu den Sprints und ihrem Krawall-Noise ein bisschen arty und weckt Erinnerungen an Elastica, die in den Neunzigern zwar nicht wirklich erfolgreich, ihrer Zeit dafür aber eigentlich voraus waren. English Teacher könnten eine ähliche Liebhaber-Band in the making sein, kommen aber noch etwas verunsichert rüber, auch, wenn sie versuchen, ein wenig desinteressiert zu wirken. Gerade Fontaine zieht eine, natürlich nicht bierernst gemeinte Schnute. Eine freundliche Band, die, als ein Gast in dem bereits jetzt schon heißem Molotow kurz zusammenklappt, augenblicklich ihr Set unterbrechen und sich mit sorgenvoller Miene nach dem Wohlergehen der Besucherin erkundigt.

Bei einem ausverkauften Laden und gefühlten 45 Grad stehen die Besucher:innen heute eh vor einem körperlich herausfordernden Konzert. Solche Gigs muss man erleben wollen, auch, wenn es ein paar versprengte Alt-Punks in dominater Dude-Attitüde in Sachen Lautstärke und Egoismus übertreiben müssen.

Die erste Reihe gehört den Frauen

Ansonsten gehört die erste Reihe den Frauen - auch bei Sprints. Was diese an Moshpit entfachen, hat es in sich. Wie damals schon Kathleen Hannah zu seligen Bikini Kill-Zeiten sagte: "Jungs, für EINEN Abend seid ihr nicht der Mittelpunkt des Planeten, also lässt den Frauen hier vorne mal den Space zum Austoben." Schon beim ersten Song wird es vorne rumpelig, doch man hält sich an die Moshpit-Etikette: Party hard, aber niemals auf Kosten der Gesundheit anderer und immer mit einer helfenden Hand.

Ansonsten ist der ständige High Level-Noise-Punk von Sprints einfach zu verlockend, als das hier jemand keinen Bock auf ordentlich Pogo hätte. Die stets gepresst ruhige Stimme und der anschließende Noise-Ausbruch kommt manchem vielleicht zu repetitiv daher, aber - bei Gott!- alle Songs vom im England gefeierten Debüt "Letter To Self" sind hymnisch und mitreißend zugleich geraten. Vorhersehbar vielleicht, aber eben gnadenlos effektiv, was Sängerin und Energiebündel Karla Chubb da abzieht. Ihre Ausflüge ins Publikum heizen das auch unentwegt wird.

Die Wasserflaschen, die sie in den kurzen ruhigen Momenten reicht, werden bei mittlerweile tropischen Temperaturen dankbar in Anspruch genommen. Ansonsten stehen Frauen jeglichen Alters vor der Bühne und bewundern wahlweise ihr neue Rockgöttin oder die Reinkarnation von Courtney Love oder Brody Dalle, wie sie auf der Bühne ihre Gitarre schwingt. Chubbs Stimme besitzt diese rotzige Straßen-Attitüde, um Gefahr heraufzubeschwören und die Punks mitzunehmen. Eine Co-Headliner-Tour mit Amyl And The Sniffers, das wäre mal was!

Sprints sind die Zukunft

"Ich bin in Düsseldorf aufgewachsen!", erinnert sich Karla Chubb an ihre frühe Kindheit in Deutschland. Eine veritable Punk-Vergangenheit hat die Landeshauptstadt ja, aber Sprints die Zukunft. Die wünscht man auch dem Molotow, denn genau solche Venues brauchen junge, aufstrebende Bands. Also unterstützt, spendet und macht Druck auf die Politik, damit nicht wieder ein weiteres, wichtiges Stück Underground-Kultur verschwindet.

Von Rinko Heidrich.

Fotos

Hamburg, Molotow, 2024 Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher.

Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich) Noch fliegen sie unter dem Radar: Sprints sind ein Stück Punk-Zukunft. Im Doppelpack mit English Teacher., Hamburg, Molotow, 2024 | © laut.de (Fotograf: Rinko Heidrich)

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