Die große Nachwuchs-Liste des Rapmagazins XXL steht an, und einmal mehr widmen wir dem Kandidat*innenfeld viel zu viel Zeit.

Berlin (ynk) - Es ist Zeit für meine liebste jährlich wiederkehrende Psychose: XXL Freshman-Season, Baby! Ihr habt das ja jetzt schon ein paar Mal gesehen und wisst, was ich dann tue: Jedes Jahr huldigt das legendäre Hip Hop-Magazin XXL auf einem Heft-Cover einer Auswahl von etwa zehn Newcomer*innen. Dafür geben sie zwei Monate vorher eine ausufernde Vorauswahl bekannt und lassen der Szene viel Zeit für Spekulation: Wer ist neu dabei? Wer macht gerade Radau? Natürlich gilt: Ich habe sehr viel Spaß daran. Es ist mein persönlicher ESC.

Alle 54 Newcomer*innen im Ranking!

Um ein bisschen vorzugreifen, weil jedes Jahr jemand ins Zetern kommt: 80 Prozent meines Interesses daran macht so ein Chartwatcher-Fantasy Football-Interesse aus. Ich sage nicht: "Yo, das sind die geilsten neuen Rapper dieses Jahr!" Ich sage: "Ich glaube, die haben gute Karten, in der Industrie eine Rolle zu spielen." Sie nach Rapskill zu sortieren, wäre noch einmal ein ganz anderes Ungetüm. So herum finde ich es interessanter, weil: Es erlaubt eine gewisse Diagnostik. Was will die Szene aktuell? Was fehlt der Szene gerade? Wo beweget sich Hip Hop hin?

Leider beobachte ich, wie oft in den letzten Jahren, einen tendenziell pessimistischen Trend: Die Lage für Newcommer*innen sieht mau aus. Normalerweise gibt es eigentlich immer ein paar richtige Nobrainer. Polo G und Jack Harlow 2020, Lil Pump und J.I.D 2018, Casanova Fly 1979. Halt Namen, bei denen man ein Trottel sein müsste, um sie nicht aufzunehmen. Diese Instant-Superstars fehlen diesmal irgendwie. Selbst die Plätze eins bis drei meines Rankings, also die, denen ich die hellste Zukunft prophezeie, könnten in drei Jahren problemlos wieder verschwunden sein.

Die Trends des Jahres

Genauso geht es interessanterweise dem untersten Viertel: Wo sich auf den letzten zehn Plätzen sonst wirklich affige Scheiße getummelt hat, gibt es dieses Jahr (vielleicht auch wegen der von 75 auf 50 reduzierten Auswahl) niemanden frappierend Beschissenes. Die Randoms werden halt irgendwann etwas randomer.

Vor allem haben wir es 2024 mit einem sehr stabilen Mittelfeld zu tun. Ein YouTuber hat neulich davon gesprochen, dass nach dem Soundcloud-Zeitalter etwas aufgekommen sei, das er "generic trap" genannt hat. Straßenrapper mit relativem Hausmannskost-Sound, eben: Lil Baby, Lil Durk, Polo G. Sowas. Das war lange die kommerziell größte Kraft in Rap, aber viele von denen fallen in nationaler Relevanz zurück. Ich habe es ja auch schon eine Weile mitdokumentiert, aber: Während man 2016 bis 2019 eine digitale landesweite Szene besprechen konnte, haben wir es nun zunehmend mit regional geprägten Rapfeldern zu tun.

Viel Mittelfeld, wenig Spektakel

Heißt konkret: Wir haben im Rennen fünf bis sechs Leute aus New York, aus Atlanta, aus Memphis, aus Detroit, aus Texas, aus L.A. Alle davon auf ihre Art und Weise relevant, gar keine Frage. Jede*r von denen hat einen oder zwei Hits mit soliden Klickzahlen, ein wohletabliertes Album in der eigenen Bubble. All diese Leute gegeneinander aufzuwiegen, ist gar nicht so einfach. Ist Kyle Ricch aus New York relevanter als Lil Tony aus Atlanta? Ich habe mir beide nicht ausgedacht. Beide spielen jeweils in ihrer eigenen Szene eine Rolle. Ehrlicherweise wird keiner von ihnen je so groß werden, dass er für uns relevant sein wird.

Aber irgendwie liebe ich diese Liste dafür. Wann würdet ihr sonst auf laut.de über Artists wie den unvergleichlichen 2sdxrt3all lesen? Ich glaube wohl: nie. Und es gibt ja durchaus Unterschiede. Ich versuche also, anhand von zwei Achsen ein bisschen zu sortieren. Einmal natürlich nach kommerziellem Potential: Leute mit mehreren Hits werden priorisiert, weil sie eben einfach schon bewiesen haben, dass sie etwas reißen können. Wenn es dann aber in die Tiefe geht, werde ich einen Hunxho trotz mehr Klicks nicht über einen Wolfacejoeyy stellen, weil der Erste generisch wie die Nacht klingt, während und Zweiterer immerhin in seiner Bubble relativ erfrischend und hörenswert ist.

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