laut.de-Kritik
Ein Unschuldsengel sucht das Paradies.
Review von Dominik LippeSehr zuvorkommend, wenn einem der Pressetext die Arbeit abnimmt. "Das Album 'Carpe Diem' ist bereits jetzt als zeitloser Klassiker zu sehen", verrät Nicoles Label Hypertension darin. Dann reicht es ja wohl, sich dieses Jahrhundertwerk für die Meilenstein-Rubrik vorzumerken. Let's call it a Day. Doch Moment, der Bullshit-Sensor schlägt aus. Das "bisher wohl persönlichste Album in ihrer Karriere"? Sie bleibe sich treu, denke aber weiter? Songs mit "einer echten Aussage und Tiefgang"? Das ist ja ein regelrechter Buzzword-Blizzard, Windstärke 12. Dann muss wohl doch ein Ohr riskiert werden.
Vom Überschwang der Marketing-Abteilung lässt sich die Schlagersängerin nicht beirren. "Schön, mal wieder bei euch zu sein", grüßt sie in "Freunde" bescheiden ihr Publikum. Nicole klingt wie das Madel vom Lande. Die Kühe sind gemolken, der Stall ausgemistet, jetzt genießt sie ihre Brotzeit barfuß auf der Weide. Auf der Akustikgitarre spielt sie nebenbei ebenso unbekümmert wie pragmatisch ihre Hymne auf die Freundschaft, die alle Dorfbewohner beim Scheunenfest bis zum Morgengrauen hochleben lassen. Hier wird sonntags die Kirche besucht und alle paar Jahre die CSU gewählt.
Nicole pflegt familiäre Werte. "In Deinen Augen" singt sie ein Loblied auf die Jüngsten. Brutal werden diese hineingeboren in eine "turbulente Welt" mit allen Antworten und Lösungen im Gepäck. Denn "tief in jedem neugeborenen Kind" schlummere die kristallklare Wahrheit über das Dasein. Es wirkt schon hochgradig albern und im Übrigen auch wie Projektion, Säuglingen aufzubürden, das "Paradies" in ihren Augen zu offenbaren. Die Saarländerin verklärt sie in ihrer vermeintlichen Reinheit und Weisheit schlimmer als es jeder Film von Steven Spielberg getan hat.
Letztlich seien doch alle Menschen "Glieder Einer Kette". "Traditionen muss man prüfen und befragen", erklärt sie in einem liberalen Anflug, "Entkommen kann man ihnen letztlich nicht." Dabei müsste Nicole es doch besser wissen. "Für Immer Dein Kind" lässt sich als etwas grob skizzierte Abrechnung mit der eigenen Mutter lesen. "Die Seele so kalt wie leere Räume. Er ging von dir, der Mann deiner Träume. Was blieb, das war ich. Doch war ich wohl nicht, nicht genug." Fragwürdig bleibt, wieso sie den starken Tobak wie ein Unschuldsengel mit Ziehharmonika und versöhnlichem Gesang in Szene setzt.
"Ich Gratuliere Mir" bemüht sich mit Unterstützung von Heinz Rudolf Kunze um eine Singer-Songwriter-Aura. Noch einmal rekapituliert Nicole ihre "lange Reise", die beim Eurovision Song Contest 1982 ihren Anfang nahm. "Ein kleines Lied nur für den Frieden, ich war so scheu und jung. Da hat mein Leben sich entschieden und die Erinnerung", schwelgt sie in selbiger. "Es sprach den Menschen aus dem Herzen - und das ist nicht so leicht." Bemerkenswert, dass ihr das Thema nicht selbst zum Hals raushängt, immerhin wird sie seit 40 Jahren in jedem einzelnen Interview auf den Triumph angesprochen.
Mit "Wir Sehn Die Selbe Sonne" lässt Nicole ein weiteres Mal weiße Tauben aufsteigen. "So viel Leid nur für ein Stückchen Land, tief getränkt mit unschuldigem Blut", klagt sie die "Rädelsführer" an, die eines Tages "mit sich selber ins Gericht" gehen mögen, bis ihre Menschlichkeit siege. Offenkundig hat sie beste Absichten, doch ihr Schlager-Textchen zerschellt zugleich an der knallharten Realpolitik, die sich gerade auf der Weltbühne vollzieht. Ihre persönliche Utopie von "Was Wäre Wenn" ist dann auch gänzlich entpolitisiert und beschränkt sich weitgehend darauf, öfter mal zu lächeln und zu grüßen.
Tiefer bewegt sie der Gedanke an die eigene Vergänglichkeit, der sicher auch wegen ihrer überstandenen Krebserkrankung eine dominante Rolle spielen dürfte. "Schenkt mir noch zehn Minuten Zeit, ein' Hauch von Ewigkeit, ich bin noch nicht bereit für ein Goodbye", wünscht sie sich in "10 Minuten Zeit". In "Lass Den Sommer Nie Vergeh'n" stemmt sie sich gegen den Fluss der Zeit: "Ich wünschte mir, sie bliebe einfach stehen." Und ihre "Freunde" sollen sie später in Erinnerung behalten: "Wenn ich einmal nicht mehr bin, hoffe ich doch, ich bleibe euch im Sinn."
Verzwickter wird es mit "Nur Durch Gottes Hand", in dem ein Mörder sie zur obligatorischen Spieluhr durch ihre Träume verfolgt. Doch Nicole fällt zurück in die Selbstüberhöhung aus "Ich Bin Zurück": "Wenn ich einmal sterben muss, dann nur durch Gottes Hand." Deutlich geschickter stellt sie sich im abschließenden Titelsong an, das sich an der Grenze zum Chanson bewegt. "Das Beste kommt nicht Immer erst zum Schluss", heißt es in "Carpe Diem" und liefert doch den Gegenbeweis. Ein hoffnungslos naives Album, das jedoch neben Erfolgsacts des Genres wie Fantasy oder Anna-Carina Woitschack wie Gold wirkt.
5 Kommentare mit 8 Antworten
Ich traute mich und schreibte was,
Für mich und Nicki gilt:
"Please, lasse das!"
Carpe Diem Walkthrough (NG+; DS:Hellfire; any%):
https://www.youtube.com/watch?v=x3VR3Qx2d_4
Komische Album-Kritik, die sich ausschließlich darauf beschränkt, die Texte zu analysieren bzw. etwas hineinzuinterpretieren. Was ist mit dem Sound, der Musik, dem Gesang? Kein Wort dazu, dass namhafte Musiker wie Micky Meinert, Jens Carstens und Heinz Rudolf Kunze maßgeblich beteiligt sind. Kein Wort dazu, wie gut Nicole klingt und dass es keine billigen Schlagerboom - Arrangements gibt. #CarpeDiem
"Kein Wort dazu, dass namhafte Musiker wie Heinz Rudolf Kunze maßgeblich beteiligt sind."
Wie erklärst du dir dann diesen Satz?-->
"'Ich Gratuliere Mir' bemüht sich mit Unterstützung von Heinz Rudolf Kunze um eine Singer-Songwriter-Aura."
Liest sich für mich wie mindestens ein Wort.
#+o
„Komische Album-Kritik, die sich ausschließlich darauf beschränkt, die Texte zu analysieren bzw. etwas hineinzuinterpretieren. Was ist mit dem Sound, der Musik, dem Gesang?“
Sag mir, dass es eine Domlip-Review ist ohne mir zu sagen, dass es eine Domlip-Review ist.
Oh wie schön. Der Kindergarten hat wieder auf und die Erzieher haben Urlaub . Deswegen darf uneingeschränkt gequengelt werden. Und das auf jegliche Art und Weise .
1. Buhu..die reden nur über die Texte und nicht über das ander.
2. ätsch bätsch . haben sie doch . musst halt richtig lesen ...
3. andere werden jammern : buhuuu..jetzt schreiben die ne Kritik zu einem Nicole album..das will ich nicht
Halt dein Maul.
Und das älteste Kind, das leider noch nicht reif genug für die Grundschule ist, quengelt über alle anderen und merkt nicht mal, dass es keinen Deut besser ist.
Haha, wie mett sie werden
@Clydeb23 Wie süß
Das Kind das nicht rein darf mosert herum. Heul weiter.
@MeToolic ..einfach mal die Fresse halten.
bitte nicht so hart sein zu metoolican er postet viel hass komentare in internet aber sonst er ist sehr korekte dude
"Denn "tief in jedem neugeborenen Kind" schlummere die kristallklare Wahrheit über das Dasein. Es wirkt schon hochgradig albern und im Übrigen auch wie Projektion, Säuglingen aufzubürden, das "Paradies" in ihren Augen zu offenbaren."
Naja, im Grunde hat sie ja schon Recht. Das Nichts, alles was a priori vorhanden ist jetzt mal ausgeklammert, ist ja letztendlich gleichbedeutend mit der Wahrheit. Von daher ist der Blick in die Augen eines Säuglings immer der Blick an den Anfang, wo alles beginnt und sich direkt dahinter das Verbundensein mit der Mutter befindet, also das du-bist-noch-nicht-da-sein auf engstem Raum und nur durch anatomische Zufuhr von Nahrung eine konstruierte Zeitempfindung, die als Brücke zwischen dem Nein und dem Irgendwas-sofort-sein, dient. Dieser Blick des Säuglings ist es, der das Restempfinden bezüglich des Unverständnisses über die Eigenschaften der Zeit offenbart und das erste mal mit den Bedingungen der Möglichkeit überhaupt(!) konfrontiert wird.