20. September 2024

"Ich bin noch nicht fertig mit Nightwish"

Interview geführt von

Nach den Pandemiejahren tobt wieder das Tourleben. Trotzdem haben sich Nightwish laut eigener Aussage dazu entschlossen, "auf unbestimmte Zeit" keine Liveshows zu geben. Dafür beglückt die Band ihre Fans mit einem neuen Bombastwerk namens "Yesterwynde".

Ihr neues Album"Yesterwynde", für das Nightwish wieder einmal neben weiteren Studios die Londoner Abbey Road Studios aufsuchten, entstand zusammen mit einem über 70-köpfigen Orchester sowie drei verschiedenen Chören. Wie der Entstehungsprozess verlief und was es über den neuen Bassisten Jukka Koskinen (Wintersun), der 2022 Marko Hietala nach seinem Ausstieg ersetzte, und über zukünftige Projekte zu berichten gibt, darüber habe ich mich mit Mastermind Tuomas Holopainen unterhalten, als er im Berliner Mandala Hotel für exklusive Interviews zur Verfügung stand.

Wie geht es dir? Hattest du eine gute Anreise?

Es läuft großartig. Absolut wunderbar. Ich werde hier von der Plattenfirma verwöhnt. Sie hat mir eine Suite und einen Flug in der Business Class spendiert und alles, was ich eigentlich nicht brauche, aber es ist gut, verwöhnt zu werden. Ich fühle mich gut.

Kommen wir auf das neue Album zu sprechen. Das letzte, "Human. :II: Nature", beinhaltete sehr viele folkige Klänge. "Yesterwynde" empfinde ich dagegen wieder als etwas härter und schwerer. War es eine bewusste Entscheidung, die Platte wieder etwas härter zu gestalten, oder hat sich das während des Entstehungsprozesses einfach so ergeben?

Reiner Zufall. Wir haben das nie angestrebt. Ich meine, das war schon immer so bei jedem einzelnen Album, das wir gemacht haben. Wir denken nie im Voraus darüber nach, wie das Album sein soll. Wir sammeln einfach die Geschichten, die wir erzählen wollen, malen sie mit Musik aus und sehen dann, wie sie sich entwickeln. Ich stimme zu, dass dieses Album heavier ist als das vorherige, aber andererseits haben mir gestern ein paar Leute gesagt, dass dieses Album nicht sehr hart ist. Ich denke, es ist ziemlich leicht. Warum ist das so? Also, die Leute hören "Yesterwynde" auf sehr unterschiedliche Weise, was ich sehr interessant finde.

Erkläre mir bitte, was es mit dem Albumtitel "Yesterwynde" auf sich hat.

"Yesterwynde" ist ein erfundenes Wort. Bis zu diesem Album existierte es nicht in der englischen Sprache. Wir mussten uns ein neues Wort einfallen lassen, um ein bestimmtes Gefühl zu
beschreiben. Ein Gefühl, für das es bisher kein Wort gibt.

"Mich inspirieren Dinge, die ich lese oder in einem Dokumentarfilm sehe."

"An Ocean Of Strange Islands" finde ich ein ziemlich interessantes, komplexes Stück, bei dem die Reise ständig woanders hinführt. Kannst du mir die Grundidee dieses Stückes verraten?

In dem Lied geht es darum, dass wir im Laufe unseres Lebens verschiedene Menschen und Persönlichkeiten treffen. Mit einigen der Menschen, die man trifft, ist man sofort verbunden. Sie werden deine guten Freunde. Manche Menschen werden sogar zu deinen Liebhabern. Manche Leute kommen einfach vorbei, man grüßt sie, und manche Leute will man nie wieder sehen. Wir alle kennen diese Geschichte.

Wir treffen so viele Menschen, während wir leben und egal, was passiert, man schätzt diese Kontakte, diese Momente der Begegnung immer. Ich habe dich noch nie getroffen und werde dich vielleicht auch nie wieder treffen, aber ich bin trotzdem froh, dass du hierher gekommen bist und wir diesen Plausch haben. Du bist also eine weitere Insel in diesem seltsamen Ozean.

Auf dem Album verarbeitet ihr Themen wie den Antikythera Mechanismus ("The Antikythera Mechanism") oder eine Geschichte von einer Gruppe von Teenagern, die Schiffbruch erlitt und auf der tonganischen Insel Ata strandete ("The Children Of 'Ata"). Wie findest du die Inspiration für deine Texte? Kann man sich das so vorstellen, dass du über eine Geschichte im Netz stolperst und dann gleich das Bedürfnis hast, einen Text darüber zu schreiben?

In diesem Fall nicht online. Ich habe über den Antikythera Mechanismus in einem finnischen Wissenschaftsmagazin gelesen. Ich wusste vorher nichts darüber. Ich war so fasziniert davon, dass ich ein Musikstück darüber schreiben musste. Über die Kinder von Ata habe ich in einem Buch gelesen, einem Sachbuch namens "Humankind" von Rutger Bregman. Und ich dachte mir, ich habe noch nie von dieser Geschichte über diese Kinder gehört, und sie ist so wunderschön. Wir müssen sie in die Welt bringen.

Also ja, oft lasse ich mich von Dingen inspirieren, die ich lese oder in einem Dokumentarfilm sehe oder was auch immer.

Für "The Children Of 'Ata" hast du auch einen Chor gewinnen können, der sich aus einheimischen Tonganern zusammensetzt. Erzähl mir mehr über die Zusammenarbeit.

Nun, da der Song auf Ata basiert, einer Insel, die zu Tonga gehört, dachte ich, es wäre toll, etwas von der Atmosphäre des südlichen Pazifiks in den Song einfließen zu lassen. Und dann haben wir uns auf die Suche gemacht, ob es in London, wo wir den Chor aufgenommen haben, einheimische tonganische Sängerinnen und Sänger gibt. Und wir fanden fünf Leute, drei Jungs und zwei Mädchen. Und sie kamen ins Studio und haben das gemacht.

Das hat den Song auf eine ganz andere Ebene gehoben, denn wenn der Song beginnt und man dieses tonganische Gebet hört, das von Hanalee, eine der Solistinnen, gesungen wird, ist man sofort im Südpazifik angekommen. Und es ist einfach wunderschön.

Über tausend Takes von Orchestern, Chören und besonderen Gästen entstanden in den Londoner Abbey Road Studios. Hast du beim Schreiben eine genaue Vorstellung davon, wie ein Song am Ende genau klingen könnte, oder kommt es vor, dass ein Song durch die Zusammenarbeit mit klassisch ausgebildeten Musikern auch mal in eine ganz andere Richtung geht als das, was du zunächst angestrebt hattest?

Es geht nie in eine ganz andere Richtung, nicht bloß, um den Gesamtsound zu verbessern. Außerdem haben wir immer einen Arrangeur für das Orchester. Dieses Mal war es eine Person namens James Shearman. Und der kam mit seinen eigenen Ideen für die Arrangements. Das hat einige der Songs, einige Teile, in eine etwas andere Richtung gebracht als das, was wir im Sinn hatten. Das bereichert einfach den Song, aber es führt ihn nie völlig weg von dem, was wir ursprünglich im Sinn hatten.

"Jukka Koskinen ist der geerdetste Mensch, den ich je getroffen habe."

Du konntest die Songs schon "im Zuge der Pandemie" fertigstellen. Würdest du sagen, dass die Pandemie den kreativen Prozess befördert hat?

Zumindest hatten wir die Zeit dazu. Ich meine, wir sollten eigentlich nicht so früh mit dem Album anfangen. Aber weil COVID alle unsere Tourneen zunichte gemacht hat, gab es nichts zu tun. Plötzlich hatten wir jahrelang Zeit. Ich dachte, wir könnten diese Zeit auch nutzen, um mit dem Schreiben für das nächste Album zu beginnen.

Du betrachtest das Album als eine "natürliche Weiterführung von "Human. :II: Nature.". Inwieweit knüpft die Platte für dich an den Vorgänger an?

Ja, das stimmt, ich meine, es bewegt sich im selben Fahrwasser wie "Human. :II: Nature." und das Album davor, "Endless Forms Most Beautiful". Zusammen bilden sie also eine Art Trilogie. Eine Trilogie, die den Menschen, die Wissenschaft, die Existenz zelebriert.

Mittlerweile hat Jukka Koskinen von Wintersun nach Marko Hietalas Ausstieg den Posten am Bass inne. Wie war es, mit Jukka erstmalig im Studio zusammenzuarbeiten?

Jukka ist der umgänglichste und geerdetste Mensch, den ich je getroffen habe. Ich meine, ich habe ihn noch nie verärgert, wütend oder ängstlich gesehen. Er ist immer ruhig, egal was auf einen zukommt. Nun, Troy ist auch so ziemlich genau so. Aber diese erdenden Persönlichkeiten in einer Band zu haben, ist äußerst wichtig, denn ich neige dazu, mich über bestimmte Dinge aufzuregen und zu ärgern. Sie sind also immer da, um mich zu beruhigen. Und als Musiker ist er einfach spitze. Ein unglaublicher Bassist. Er passt also perfekt für die Band.

Ihr habt angekündigt, in naher Zukunft, keine Liveshows mehr geben zu wollen, habt aber euren Vertrag mit Nuclear Blast erneuert. Betrachtest du die Live-Pause auch als eine Chance, neue Kreativität für weitere Projekte zu tanken?

Kreativität war noch nie das Problem. Ich meine, ich arbeite bereits am nächsten Auri-Album, das nächstes Jahr herauskommen wird. Eine andere Band, die ich habe. Aber diese Pause muss einfach jetzt gemacht werden, damit die Band eine Zukunft hat. Das ist so ziemlich alles, was ich dazu sagen kann.

Ihr habt mit der Platte einen Abschluss für eine Trilogie gefunden, die mit "Endless Forms Most Beautiful", dem ersten Album mit Floor, begonnen hatte. Hast du schon eine genaue Vorstellung, in welche Richtung es mit Nightwish in Zukunft weitergehen könnte oder schaust du einfach, was die Zeit so bringt?

Ich werde einfach abwarten, was die Zeit bringt. Vom nächsten Nightwish-Album habe ich noch absolut keine Ahnung. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es ein weiteres geben wird und vielleicht noch eines. Ich bin definitiv noch nicht fertig mit Nightwish. Es gibt noch so viele musikalische Möglichkeiten, die wir mit dieser Band machen können, dass es auf die eine oder andere Weise weitergehen wird. Es ist nur so, dass wir für eine Weile keine Live-Shows mehr spielen werden. Macht euch alle keine Sorgen.

Letzte Frage: Mit Drummer Kai Hahto spielst du auch in der Black Metal-Band Darkwoods My Betrothed. Wird man auch mal wieder etwas von dieser Band hören?

Ich bin sicher, dass wir etwas hören werden, denn der Gitarrist schickt mir die ganze Zeit Demos für das nächste Album. Sie scheinen wirklich darauf erpicht zu sein, schon mit dem nächsten Album zu beginnen. Ich war so sehr mit diesem Nightwish-Album beschäftigt, dass ich noch keine Gelegenheit hatte, mir darüber Gedanken zu machen.

Aber es ist ein wunderbares Projekt oder eine Band, wie auch immer du es nennen möchtest. Es ist ein tolles Gegengewicht zu Nightwish, und ich liebe es einfach, Teil der Gruppe zu sein. Ich kenne die Jungs, seit ich dreizehn bin. Wir kennen uns also schon sehr lange.

Wir sind wie Freunde aus der Highschool. Nach all den Jahren ist es einfach großartig, dass wir immer noch zusammen sind und als beste Kumpels gemeinsam Musik machen.

Danke für das Gespräch. Es war mir eine große Freude.

Dankeschön.

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