laut.de-Kritik
Synthie-Pop-Klassiker und Möwengeschrei.
Review von Philipp KauseKurz vor Beginn ihrer Jubiläumstour hieven Orchestral Manouevres In The Dark, kurz OMD, eine Mega-Box bestehend aus fünf CDs und zwei DVDs in den Handel. Die Synthie-Pop-Experten starteten ihre Karriere vor genau 40 Jahren. Die ersten beiden CDs liefern eine chronologische Zeitreise anhand ihrer Singles von 1979 bis heute (auch separat als Doppel-CD unter demselben Titel erhältlich).
Außerdem bekommt man auf zwei CDs die Live-Qualitäten der Band vorgeführt. Die Show von 2011 vermittelt einen geradezu fulminanten Eindruck von den Bühnen-Manouevres. Das Konzert von 1983 dient eher der Abrundung. Außerdem findet sich Rares und Unveröffentlichtes aus dem 'Unreleased Archive' ein, überwiegend kleine, feine Klangabenteuer, wobei manche Titel vom Charme unfertiger Ideenskizzen leben.
Mit "Electricity" legen die Herren aus Wirral, einer Hafenstadt nahe Liverpool, 1979 eine programmatische, eingängige Debütsingle vor. Da dieser Track zu den tanzbarsten OMD-Songs gehört, fehlt er bei Konzerten laut Aussage der Band nie. Auch die beiden Live-Fassungen würdigen ihn in seiner Brillanz und Stärke. Textlich erzählt Sänger Andy McCluskey von der Widerstandskämpferin Johanna von Orleans im gewagten Experimentalstück "Maid Of Orleans", im romantischen, zuckrig-melodiösen "Jean Of Arc" und in "La Femme Accident". Letzterer Titel wirkt im Rückblick besonders farbenkräftig und wie der Prototyp für Gotyes "Somebody That I Used To Know". "La Femme Accident", "So In Love" und "Secret" stammen aus dem Album "Crush" von 1985, das als Video auf DVD beiliegt. Neben den Songs kommentiert das Duo auch einzelne Karrieremomente.
An die Trägermaschine der Atombombe des 6. August 1945, die auf Hiroshima niederging, erinnert "Enola Gay". Die Weltuntergangsstimmung der atomaren Aufrüstung klingt in den düsteren Sounds wie bei vielen Bands dieser Phase an, so auch in "Messages". Unter den unveröffentlichten Songs auf CD 3 befinden sich etliche Instrumental-Fragmente, zum Beispiel "Organ Ditty (05.1980)". Mit seinen Hochgeschwindigkeits-Effekten zieht es die Aufmerksamkeit sozusagen magnetisch an. "SMPTE (12.1982)" klingt wie gesampeltes Möwen- und Seehundegeschrei. Auch viele fertige Songs aus den 80ern tauchen auf. Das laszive "Cajun Moon (05.1986)" und das stürmische "Liberator (02.1985)" wären als Singles mit Sicherheit Hits geworden. "American Venus (04.1990)" klingt neblig, aber wahnsinnig eingängig.
"Flamenco (04.1990)" zitiert aus dem Flamenco das andalusisch angehauchte Gitarrenspiel, gleichwohl es hier mit den Synthesizer-Kickdrums um die Führung ringt. Im traditionellen Flamenco würden die Metriken wechseln, die Betonungspunkte in den Takten, doch OMD betonen gleichmäßig. Flamenco-Feeling kommt schon aufgrund der tieftraurigen Melodie auf. Der Text spricht von der Erinnerung an verspielte, romantische und wilde One-Night-Stands in Hotels. Das atmosphärische Instrumental "Flutey (03.1984)" würde man gerne hundert Mal am Stück hören. Harte Drums und Electro-Effekte wecken die Erwartung an einen Song im Stile von Billy Idols "Eyes Without A Face" oder Queens "Radio Gaga". Leider fadet der Song nach knappen zwei Minuten aus.
CD 4 vermittelt trotz des oftmals abrupt abgeschnittenen Applauses die Begeisterung des Publikums. "New Babies: New Toys" rockt im Stile einer New-Wave-Band, die intensive Stimmung überträgt sich sofort. Der zu diesem Song gehörende Longplayer "History Of Modern" erzielte 2010 die höchste Album-Platzierung für die Briten (Platz 5). In absolut verkauften Exemplaren führt jedoch die 1991er Hit-Platte "Sugar Tax". Der Titelsong "History Of Modern (Part 1)" fetzt und geht als Hymne durch. Es schließt sich eine intensive Fassung des OMD-Evergreens "Forever" an, bekannt durch die Hookline "I never know / I never know / I never know". "Sister Marie Says" und der Radio-Ohrwurm "Sailing On The Seven Seas" sind weitere Highlights.
Raumklang, satte Bässe und Beats hart wie Granit bietet jener Song auf, der dem Box-Set seinen Namen leiht: "Souvenir" zieht einen sowohl in der Studio- als auch in der Live-Version zum Lautstärke-Regler. Auch der Über-Song der Band, "Julia's Song", stammt vom ansonsten wenig mitreißenden London-Konzert 1983. Von der im Tempo gedrosselten Studioversion entwickelt sich der Track live weiter und gerät zu einem heißen, aber schwermütigen Stimmungs-Tune. Sammlern dürfte das avantgardistische und lange "Stanlow" reinlaufen. Live lag es bis dato 'nur' in einer Version mit Philharmonieorchester vor.
Dass die Musiker selbst aber keine Verwalter ihrer erfolgreichen Vergangenheit sein wollen, belegte Paul Humphreys im laut.de-Interview anlässlich von "The Punishment Of Luxury": "Wer braucht unser 13. Studioalbum? Es muss interessant sein. Es muss etwas Neues aufweisen, starke Emotionen." Diese Haltung durchzieht auch ihr Gesamtwerk. Fast jedes OMD-Stück umweht ein Hauch von Zeitlosigkeit.
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